Das Lied endete, und ich nahm meine Arme von seiner Schulter.
Er blickte auf mein schlimmes Bein und ließ seine Hände vorsichtshalber an meinen Hüften liegen. »Willst du weitertanzen? Oder soll ich dich irgendwo hinbringen?«
Edward antwortete für mich. »Danke, Jacob, ich mach das schon.«
Jacob zuckte zusammen und fuhr herum; Edward stand direkt hinter ihm.
»Hallo, ich hab dich gar nicht bemerkt«, sagte er. Und dann, an mich gewandt: »Äh, ja, dann bis bald, Bella.« Er trat zur Seite und hob schüchtern seine Hand.
Ich lächelte. »Ja, bis bald.«
»Tut mir leid«, sagte er, dann drehte er sich um und ging.
Das nächste Lied begann und Edward schloss mich in seine Arme. Die Musik war ein bisschen zu schnell für einen Engtanz, doch das schien ihn nicht zu stören. Zufrieden legte ich meinen Kopf an seine Brust.
»Und, fühlst du dich jetzt besser?«, fragte ich scherzhaft.
»Kann ich nicht behaupten«, sagte er kurz angebunden.
»Sei nicht sauer auf Billy«, sagte ich. »Er ist Charlies bester Freund, da macht er sich eben Sorgen um mich. Es hat nichts mit dir speziell zu tun.«
»Ich bin gar nicht sauer auf Billy«, korrigierte er gereizt. »Aber sein Sohn geht mir langsam auf die Nerven.«
Verwundert hob ich den Kopf von seiner Brust und schaute ihm ins Gesicht. Er schien es ernst zu meinen.
»Warum denn das?«
»Erstens hab ich wegen ihm mein Versprechen gebrochen.«
Verständnislos starrte ich ihn an.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich hab versprochen, dich den ganzen Abend nicht loszulassen«, erinnerte er mich.
»Stimmt. Aber ich verzeih dir.«
»Danke. Aber da ist noch etwas.« Er runzelte die Stirn.
Ich wartete geduldig.
»Er hat gesagt, du bist hübsch«, sagte er schließlich. Seine Miene verfinsterte sich noch mehr. »So wie du aussiehst, kommt das quasi einer Beleidigung gleich. Du bist mindestens wunderschön.«
Ich lachte. »Meinst du nicht, du bist ein wenig voreingenommen?«
»Das hat damit nichts zu tun.«
Wir wirbelten wieder umher; ich stand auf seinen Füßen und lag in seinen Armen.
»Willst du mir nicht langsam mal erklären, was das alles soll?«, fragte ich ihn.
Verwirrt schaute er mich an; ich runzelte die Stirn und umfasste mit einem bedeutungsvollen Blick die ganze Veranstaltung.
Er schien kurz zu überlegen, dann schwenkte er mich plötzlich herum und wirbelte mit mir durch die Schülermenge auf die Hintertür der Turnhalle zu. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf Jessica und Mike, die auch gerade tanzten und mich neugierig beäugten. Jessica winkte, ich lächelte. Angela lag, strahlend vor Glück, in den Armen von Ben Cheney, der einen Kopf kleiner war als sie; sie wandte ihren Blick nicht von seinen Augen. Ich sah Lee und Samantha; ich sah Lauren, die uns böse Blicke zuwarf, und Conner – jedem Gesicht, das an mir vorbeiflog, konnte ich einen Namen zuordnen. Und dann standen wir vor der Tür und schauten in das kühle, matte Licht der eben untergegangenen Sonne.
Als uns niemand mehr sehen konnte, nahm er mich hoch und trug mich über den dunklen Schulhof, bis wir bei den Bänken unter den Erdbeerbäumen ankamen, wo er sich, mit mir in seinen Armen, hinsetzte. Mein Kopf lag an seiner Brust. Der Mond stand schon am Himmel, deutlich sichtbar durch die zarte Wolkendecke. Bleich leuchtete Edwards Gesicht im weißen Licht – dem letzten Licht des Tages. Seine Lippen bildeten eine schroffe Linie.
»Und – wozu das Ganze?«, drängte ich sanft.
Doch er blickte betrübt zum Mond und ignorierte mich.
»Wieder eine Dämmerung«, sagte er leise. »Wieder ein Ende. Egal, wie perfekt ein Tag ist, er endet immer.«
Ich war sofort hellhörig. »Manche Dinge müssen nicht enden«, murmelte ich.
Er seufzte und dann beantwortete er meine Frage.
»Ich bin mit dir zum Ball gegangen«, sagte er langsam, »weil ich nicht will, dass du irgendetwas verpasst. Ich möchte nicht, dass dir durch mich etwas entgeht. Ich möchte, dass du ein Mensch bist, dass dein Leben so weitergeht, wie es verlaufen wäre, wenn ich 1918 gestorben wäre, wie es hätte sein sollen.«
Ich erschrak; dann schüttelte ich verärgert den Kopf. »Edward – in welchem Paralleluniversum wäre ich je auf die Idee gekommen, freiwillig zu einem Schulball zu gehen? Wenn du nicht tausendmal stärker wärst als ich, hätte ich das nie mit mir machen lassen.«
Er lächelte flüchtig, doch sein Blick blieb traurig. »So schlimm ist es doch nicht, das hast du selber gesagt.«
»Aber nur, weil ich mit dir hier bin.«
Eine Weile sagte keiner etwas; er blickte zum Mond, ich auf sein Gesicht. Ich wünschte mir, ihm erklären zu können, wie wenig Interesse ich an einem normalen Leben hatte.
»Verrätst du mir etwas?«, fragte er und schaute mit einem schwachen Lächeln auf mich herab.
»Habe ich dir je etwas vorenthalten?«
»Versprich einfach, dass du’s mir sagst«, beharrte er und grinste.
Ich wusste, dass ich das sofort bereuen würde. »Wie du willst.«
»Ich hatte den Eindruck, dass du vorhin ernsthaft überrascht warst, als dir klarwurde, wohin wir fahren.«
»Das stimmt.«
»Das dachte ich mir. Aber du hattest doch bestimmt eine andere Theorie, oder? Was hast du denn geglaubt, was ich vorhatte?«
Ich hatte gewusst, ich würde es bereuen. Unwillig schürzte ich meine Lippen. »Das würde ich dir lieber nicht sagen.«
»Du hast es versprochen«, protestierte er.
»Ich weiß.«
»Warum willst du es nicht sagen?«
Ich wusste genau, was er dachte: dass mir die Antwort peinlich war, sonst nichts. »Weil du wahrscheinlich sauer sein wirst. Oder traurig.«
Nachdenklich schoben sich seine Augenbrauen zusammen. »Trotzdem, ich will es wissen. Sagst du es mir – bitte?«
Ich seufzte. Er wartete.
»Na ja … ich dachte, es wäre ein … besonderer Anlass. Aber nicht so was Banales und Menschliches.« Ich rümpfte die Nase. »Jahresabschlussball!«
»Nicht so was Menschliches?«, wiederholte er verständnislos.
Ich blickte an meinem Kleid hinab und nestelte an einer Chiffonschleife herum. Er schwieg und wartete.
Ich gab mir einen Ruck und sagte ihm die Wahrheit. »Also meinetwegen – ich hatte gehofft, dass du deine Meinung vielleicht geändert hast und mich … doch verwandeln würdest.«
Ein Dutzend Emotionen liefen über sein Gesicht. Verärgerung … Schmerz … Dann schien er sich zu fangen und setzte eine belustigte Miene auf.
»Und du dachtest, das wäre ein Anlass für Abendgarderobe?«, zog er mich auf und berührte den Revers seines Smokings.
Um meine Verlegenheit zu überspielen, guckte ich böse. »Was weiß ich denn, wie so was abläuft. Ich fand’s jedenfalls naheliegender als einen Schulball.« Er grinste immer noch. »Das ist nicht witzig«, sagte ich.
»Du hast Recht, es ist wirklich nicht witzig.« Sein Lächeln verschwand. »Aber ich betrachte es lieber als Witz, als mir vorzustellen, dass du es womöglich ernst meinst.«
»Ich meine es ernst.«
Er seufzte tief. »Ich weiß. Und du willst es wirklich so sehr?«
Seine Augen waren schmerzerfüllt. Ich biss mir auf die Lippen und nickte.
»Du bist also schon bereit für das Ende«, murmelte er vor sich hin. »Bereit für das Ende deines Lebens, obwohl es gerade erst begonnen hat. Bereit, alles aufzugeben.«
»Es wäre nicht das Ende, sondern der Anfang«, widersprach ich leise.
»Ich bin das nicht wert«, sagte er traurig.
»Erinnerst du dich, dass du mir mal gesagt hast, ich könne mich selber nicht sonderlich gut einschätzen?«, fragte ich spöttisch. »Du hast offenbar dieselben Schwierigkeiten.«
»Ich weiß, was ich bin.«
Ich seufzte.
Wieder einmal wechselte abrupt seine Stimmung. Er schob die Lippen vor und musterte mich eindringlich. Sekundenlang ruhte sein Blick auf meinem Gesicht.
»Du bist also wirklich bereit?«
»Ähm.« Ich schluckte. »Ja.«