Ohne sich umzusehen und ohne Andrew loszulassen, griff Celia nach hinten und begann, die Sachen auf den Fußboden zu werfen.
»Schon viel besser«, sagte er, während sie sich auf das freigemachte Bett legten. »Dazu sind Betten schließlich da.«
Sie lachte. »Und wenn wir das Flugzeug verpassen?«
»Wem macht das schon was aus?«
Etwas später sagte sie zufrieden: »Du hast recht. Wem macht das schon was aus?« Und noch später, zärtlich und glücklich: »Mir macht es . . .«, und dann: »Ach, Andrew, ich hab' dich so lieb!«
4
An Bord der PanAm-Maschine nach New York lagen Exemplare der New York Times aus. Celia blätterte darin. »Hat sich nicht viel geändert, während wir fort waren«, bemerkte sie.
Eine Meldung aus Moskau zitierte Nikita Chruschtschow, der die USA zu einem »Raketen-Duell« aufforderte. Der nächste Weltkrieg würde, brüstete sich der Sowjetführer, auf dem amerikanischen Kontinent ausgetragen werden, und er sagte »den Tod des Kapitalismus und den weltweiten Sieg des Kommunismus« voraus. Andererseits versicherte Präsident Eisenhower, daß die US-Verteidigung mit der sowjetischen Herausforderung Schritt halten könne.
Und die Untersuchung des Bandenmords an Mafia-Boß Albert Anastasia, der im New Yorker Park-Sheraton Hotel in einem Friseursessel erschossen worden war, war bisher ohne Erfolg geblieben.
Der Flug der DC-7 B sollte vier Stunden dauern, und schon bald nach dem Start wurde der Lunch serviert. Nach dem Essen wandte Andrew sich an seine Frau: »Du hast vorhin gesagt, ich könnte etwas tun. Wegen der Pharma-Vertreter.«
»Ja, das stimmt.« Celia Jordan machte es sich in ihrem Sitz bequem, dann nahm sie Andrews Hand und hielt sie fest. »Es hat mit dem Gespräch zu tun, das wir an dem Tag führten, als du das Lotromycin angewendet hast und sich deine Patientin wieder erholte. Da hast du gesagt, daß du deine Meinung über die Pharma-Industrie ändern und sie nicht mehr so ungünstig beurteilen würdest, und ich sagte: Ändere sie nicht zu sehr, denn es gibt Dinge, die nicht in Ordnung sind und die auch ich gern ändern würde. Erinnerst du dich daran?«
»Wie könnte ich das vergessen haben?« Er lachte. »Jede Einzelheit jenes denkwürdigen Tages hat sich mir tief eingeprägt.«
»Gut! Dann will ich dir ein bißchen von der Vorgeschichte erzählen.«
Andrew sah seine Frau von der Seite an und bewunderte wieder einmal, wieviel Energie und Intelligenz in dieser kleinen, attraktiven Person steckten. In den Jahren, die vor ihnen lagen, würde er aufmerksam und immer informiert sein müssen, um mit Celia Schritt halten zu können. Jetzt konzentrierte er sich darauf zuzuhören.
1957, begann Celia, hatte sich die pharmazeutische Industrie in gewisser Hinsicht noch nicht von ihren Wurzeln gelöst.
»Es ist noch gar nicht lange her, da verkauften wir auf Jahrmärkten Schlangenöl und Fruchtbarkeitssäfte und eine Pille, die gegen alles war - von Kopfschmerzen bis Krebs. Den Verkäufern, die diese Dinge an den Mann brachten, war es egal, was sie behaupteten oder versprachen. Ihnen ging es nur ums Verkaufen. Sie gaben jede Garantie ab, versprachen jeden Erfolg, nur um zum Ziel zu gelangen. Häufig wurden diese Quacksalbereien und Volksheilmittel von Familien auf den Markt gebracht«, fuhr Celia fort, »und einige dieser Familien eröffneten dann die ersten Drugstores. Später führten ihre Nachkommen die Familientradition fort und errichteten Fabriken, die Arzneimittel herstellten und im Verlauf der Jahre immer größer, wissenschaftlicher und solider wurden. Und allmählich änderten sich auch die ungehobelten Verkaufsmethoden der frühen Jahre. Allerdings nicht grundsätzlich. Das lag zum Teil daran, daß die Angehörigen der Familien weiterhin alles unter Kontrolle hatten und ihnen die harten Verkaufsmethoden noch im Blut lagen.«
»Aber es gibt doch nicht mehr viele Familien, die über Arzneimittelfirmen herrschen«, warf Andrew ein.
»Nicht sehr viele, aber trotzdem besitzen ein paar noch bedeutende Geschäftsanteile. Geblieben jedoch sind, auch wenn jetzt Angestellte die Firmen leiten, die altmodischen, unmoralischen und harten Verkaufsmethoden. Vor allem, wenn es gilt, neue Produkte anzupreisen. Da erzählen dann manche Vertreter das Blaue vom Himmel, um die Arzte dazu zu bringen, die von ihnen vertriebenen Medikamente zu verschreiben. Und obgleich die Arzneimittelfirmen offiziell behaupten, sie würden dergleichen nicht dulden, wissen sie, daß es trotzdem vorkommt.«
Sie wurden von der Stewardeß unterbrochen, die verkündete, daß man in vierzig Minuten in New York landen und die Bar bald geschlossen werde. Celia bestellte sich rasch ihr Lieblingsgetränk, einen Daiquiri, und Andrew Scotch mit Soda. Als die Getränke serviert waren und sie sich wieder in ihren Sitzen zurücklehnten, sagte Andrew: »Sicher, ich habe Ähnliches schon selbst erlebt. Ich kenne auch Geschichten von anderen Ärzten - über Patienten, die krank wurden oder sogar starben, nachdem sie etwas eingenommen hatten, und das alles nur, weil irgendwelche Vertreter den Ärzten falsche Informationen geliefert hatten.« Er trank einen Schluck. »Und dann gibt es auch noch die Werbung der Pharma-Industrie. Die Ärzte werden damit geradezu überschwemmt. Aber ein Großteil der Werbung sagt den Ärzten nicht, was sie eigentlich wissen sollten - vor allem nichts über die Nebenwirkungen, nicht einmal über die gefährlichen. Bei all den Problemen, die man im Kopf hat, kommt man gar nicht auf die Idee, der Pharma-Vertreter oder gar die Firma selbst könne darauf aus sein, einen absichtlich zu täuschen.«
»Aber so was kommt vor«, sagte Celia, »und hinterher wird es unter den Teppich gekehrt, und niemand will etwas davon wissen. Ich weiß das, weil ich versucht habe, bei Felding-Roth darüber zu reden.«
»Und was hast du nun vor?«
»Ich will eine Dokumentation zusammenstellen. Eine Dokumentation, die niemand in Zweifel ziehen kann und die ich zu gegebener Zeit verwenden werde. Von jetzt an - das ist Firmenpolitik - werde nicht mehr ich, sondern irgend jemand anders von Felding-Roth zu dir und Dr. Townsend in die Praxis kommen.
Meine Bitte an dich geht nun dahin, daß du jedesmal, wenn du feststellst, daß ein Vertreter - von welcher Firma auch immer -dir falsche Informationen gegeben hat oder dich nicht vor irgendwelchen Nebenwirkungen gewarnt oder eine wichtige Information verschwiegen hat, einen Bericht schreibst und ihn mir gibst. Ich habe schon ein paar andere Ärzte, die das für mich tun, Ärzte, die mir vertrauen, in Nebraska und auch in New Jersey, und meine Akte wird immer dicker.«
Andrew stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist aber eine ziemlich große Sache. Und nicht ohne Risiko.«
»Man muß Risiken eingehen, wenn man etwas verbessern will. Ich habe keine Angst.«
»Nein«, sagte er, »und ich glaube auch nicht, daß du je welche haben wirst.«
»Ich will dir was sagen, Andrew: Wenn sie großen Pharma-Konzerne nicht bald anfangen, ihr Haus selbst reinzuhalten, wird das über kurz oder lang die Regierung für sie tun. Im Kongreß wird schon Kritik laut. Und wenn erst neue Gesetze mit großen Einschränkungen beschlossen werden, wird die Pharma-Indu-strie es bereuen, nichts aus eigener Initiative unternommen zu haben.«
Andrew schwieg nachdenklich. Schließlich sagte er: »Ich hab' dich das noch nicht gefragt, Celia, aber vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, darüber zu reden.«
Seine Frau blickte ihn ernst an. Andrew wählte seine Worte mit Bedacht.
»Du hast davon gesprochen, daß du Karriere machen möchtest. Dagegen habe ich nichts, und ich bin auch überzeugt, daß du ohne das nicht glücklich sein würdest. Aber ich habe in den vergangenen gemeinsamen Wochen den Eindruck gewonnen, daß du dir unter einer Karriere mehr vorstellst als die Tätigkeit einer Pharma-Vertreterin.«
»Stimmt. Ich will ganz nach oben«, erwiderte Celia gelassen.
»Ganz nach oben?« fragte Andrew verwundert. »Du meinst, an die Spitze eines großen Pharma-Konzerns?«