Sie sah, daß Andrew ihr ein Taschentuch reichte. Erst da wurde ihr bewußt, daß ihr Tränen über das Gesicht rannen.
Lilian und Juliet begleiteten den Sarg allein zum Grab. Celia sprach kurz mit beiden, bevor sie ging. Lilian war blaß, wirkte fast leblos, Juliets Gesicht war hart; sie schien während der Totenfeier nicht geweint zu haben. Dwight war gar nicht erst erschienen.
In den darauffolgenden Tagen hielt Celia hartnäckig an ihren Bemühungen fest, Sams Tod offiziell als einen Unfall hinzustellen. Sie hatte Erfolg damit, vor allem, weil - wie sie Andrew gegenüber erklärte - »niemand das Herz zu haben schien, etwas Gegenteiliges zu sagen. Sam besaß keine Lebensversicherung, so daß es finanziell keinen Unterschied macht«.
Nach einer angemessenen Zeitspanne von zwei Wochen trat der Aufsichtsrat von Felding-Roth zusammen, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Innerhalb der Firma war klar, daß es sich nur um eine Formalität handelte und daß es Celia sein würde.
Seth Feingold kam ein paar Minuten nach Schluß der Sitzung in ihr Büro. Er sah wütend aus.
»Ich bin dazu bestimmt worden, Ihnen folgendes mitzuteilen«, sagte er, »und ich tue es nicht gern: Sie werden nicht zur Präsidentin ernannt werden.«
Als Celia nicht reagierte, fuhr er fort: »Sie werden es vielleicht nicht glauben, und es ist, bei Gott, nicht fair, aber es gibt im Aufsichtsrat noch immer ein paar Männer, die sich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen können, daß eine Frau die Firma leitet.«
»Das glaube ich gern«, sagte Celia. »Und mit dieser Erfahrung stehe ich nicht allein.«
»Es wurde lange diskutiert, manchmal ging es ganz schön hoch her«, sagte Seth. »Die Meinungen waren geteilt, und ein paar haben sich sehr für Sie eingesetzt. Aber die anderen haben sich nicht gebeugt. Und am Ende mußten wir einen Kompromiß schließen.«
Es war ein Präsident pro tempore ernannt worden, erklärte Seth, Preston O'Halloran, ein pensionierter Bankdirektor, der seit vielen Jahren dem Aufsichtsrat von Felding-Roth angehörte. Er war achtundsiebzig Jahre alt und ging am Stock. Ein angesehener Finanzexperte, der aber vom Pharma-Geschäft nicht besonders viel verstand - kaum mehr als das, was er bei den Aufsichtsratssitzungen erfuhr.
Celia war O'Halloran schon mehrmals begegnet, kannte ihn aber nicht besonders gut.
»O'Halloran hat eingewilligt, längstens sechs Monate zur Verfügung zu stehen. In dieser Zeit wird der Aufsichtsrat eine dauerhafte Lösung suchen.« Seth verzog das Gesicht. »Das kann ich Ihnen auch gleich sagen - man sieht sich nach jemandem außerhalb der Firma um.«
»Ich verstehe.«
»Ich schätze, ich sollte das nicht sagen - aber ehrlich, Celia, wenn ich Sie wäre, würde ich sie alle zum Teufel jagen, auf der Stelle meinen Hut nehmen und gehen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht, dann würde es gleich wieder heißen: >Typisch Frau!< Außerdem habe ich eingewilligt zurückzukommen, um Ordnung zu schaffen, und das werde ich auch tun. Aber wenn ich damit fertig bin . . . nun, dann werden wir weitersehen.«
Das Gespräch erinnerte sie an ein anderes, das sie vor fahren mit Sam geführt hatte, als sie lediglich zur stellvertretenden Leiterin der Abteilung für Verkaufstraining ernannt worden war und nicht zur Leiterin, weil das - wie Sam es damals ausgedrückt hatte - »für manche in der Firma einfach zuviel wäre. Für den Augenblick.«
Plus ca change,plus c'esflameme chose, zitierte sie in Gedanken. Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr ähneln sie sich.
»Bist du sehr gekränkt?« fragte Andrew nach dem Abendessen.
Celia dachte nach, bevor sie antwortete. »Ich glaube, ja. Die Ungerechtigkeit macht mir zu schaffen. Aber andererseits stelle ich merkwürdigerweise fest, daß es mir nicht mehr soviel ausmacht wie früher.«
»Das dachte ich mir. Möchtest du, daß ich dir sage, warum?«
Sie lachte. »Bitte, Herr Doktor.«
»Das kommt, weil du eine ausgefüllte Frau bist, meine Liebe. In jeder Hinsicht ausgefüllt. Du bist die beste Ehefrau, die sich ein Mann nur wünschen kann, und eine ausgezeichnete Mutter, und du bist klug, verantwortungsbewußt und tüchtig in deinem Beruf und steckst die meisten Männer in die Tasche. Du hast tausendmal bewiesen, wie gut du bist. Daher hast du Titel und Positionen gar nicht mehr nötig, weil jeder, der dich kennt, weiß, was du wert bist - einschließlich dieser Chauvis bei Felding-Roth, von denen dir kein einziger das Wasser reichen kann. Deshalb sollte dich das, was heute geschehen ist, keine Sekunde lang kränken, denn die Leute, die diese Entscheidung getroffen haben, sind die Dummen, und früher oder später werden sie es merken.« Andrew schwieg, dann sagte er: »Entschuldige. Ich hatte nicht die Absicht, eine Rede zu halten. Ich wollte nur ein paar Wahrheiten aussprechen und dich vielleicht ein bißchen aufmuntern.«
Celia stand auf und legte die Arme um ihn. Sie gab ihm einen Kuß und sagte: »Das ist dir auch gelungen.«
Am nächsten Tag wurde Winnies Baby, ein gesunder Sohn, geboren. Über dieses Ereignis freuten sich nicht nur Winnie und Hank, sondern die ganze Familie Jordan. Lisa rief Winnie aus Kalifornien an, Bruce aus Pennsylvania.
Wie üblich hatte Winnie alles mühelos bewältigt. »Sieht aus, als hätte ich einen Volltreffer gelandet«, erklärte sie zufrieden. »Jetzt könnten wir mal probieren, ob wir Zwillinge schaffen.«
9
Vincent Lord war wie verwandelt. Er wirkte glücklich und strahlte Kraft und Energie aus.
Nach fast zwanzig Jahren konzentrierter wissenschaftlicher Arbeit an einer einzigen Idee, der Verfolgung eines Traums, an den außer ihm nur wenige glaubten - ein Mittel zu entwickeln, das die freien Radikale ausschaltete -, war dieser Traum nun Wirklichkeit geworden.
Jetzt bedurfte es nach den geltenden Gesetzen nur noch der Erprobung an Tieren und Menschen, um ein Präparat herzustellen, das andere Medikamente, deren Einnahme bis dahin mit einem Risiko verbunden war, zuträglicher und unbedenklicher machte.
Hexin W - der provisorische Name für Lords Erfindung -hatte bisher gehalten, was man sich von ihm versprach, und wurde in der Branche eifrig diskutiert, obgleich Einzelheiten natürlich das Geheimnis von Felding-Roth blieben. Andere pharmazeutische Firmen, stets auf der Suche nach Patenten, begriffen, was Hexin W bedeutete, und ließen bereits ihr Interesse erkennen.
Der Chef einer großen Konkurrenzfirma sagte während eines Telefongesprächs zu Celia: »Natürlich hätten wir gern selbst entdeckt, was Dr. Lord anscheinend gefunden hat, aber da es nun mal nicht so ist, wollen wir wenigstens die ersten in der Schlange sein, wenn Sie bereit sind, über eine Lizenz zu verhandeln.«
Genauso interessant war, daß sich das neue Medikament auf zweierlei Weise anwenden ließ. Zum einen konnte es anderen Arzneimitteln beigegeben werden. Und zum anderen konnte man es als Einzelsubstanz in Tablettenform herstellen, damit es zusätzlich zu anderen Präparaten eingenommen werden konnte.
Hexin W war ein »Mehrzweck-Mittel«. Es war ein Medikament, das sich auch von Herstellern anderer pharmazeutischer Produkte verwenden und deshalb vermarkten ließ. Diese anderen Firmen mußten eine Lizenz zu beträchtlichen Gebühren von Felding-Roth erwerben.