Am meisten würden Arthritis- und Krebspatienten von Hexin W profitieren, gegen deren Beschwerden es zwar bereits wirksame Mittel gab, die aber nur wenig oder gar nicht verschrieben wurden, weil sie gefährliche Nebenwirkungen aufwiesen. Hexin W würde diese Nebenwirkungen und Risiken beseitigen oder deutlich reduzieren.
Während einer Marketing-Konferenz erklärte Vincent Lord Celia und einigen anderen mit einfachen Worten, wie sich sein Medikament bei Arthritis auswirken würde.
»Der Betroffene hat eine Entzündung in den Gelenken, die Unbeweglichkeit und Schmerz verursacht. Die Entzündung tritt auf, wenn im Krankheitsverlauf freie Radikale erzeugt werden, die wiederum Leukozyten - weiße Blutkörperchen - anziehen. Die Leukozyten sammeln sich an, verursachen und verschlimmern die Entzündung. Hexin W aber«, fuhr Lord fort, »stoppt die Produktion der freien Radikale und folglich auch die Ansammlung der Leukozyten. Das Ergebnis: keine Entzündung, der Schmerz verschwindet.«
Mehrere Zuhörer klatschten Beifall, und Lord errötete vor Freude.
Den großen Durchbruch hatte Vince Lord vor drei Monaten erzielt. Es war der glorreiche, befriedigende Sieg nach dem mühsamen, ermüdenden Prozeß des Probierens - ein Prozeß, der von sich ständig wiederholenden Mißerfolgen gekennzeichnet war.
Dieser Prozeß selbst war ein weiterer Beweis für Lords große Leistung, denn seine Methode wurde von vielen als unmodern betrachtet.
Mit anderen Worten: Bei diesem System wurden aus alten Medikamenten neue entwickelt, und zwar auf dem Weg der organischen Chemie. Am Anfang stand eine aktive Verbindung, die chemische Zusammensetzung des Medikaments wurde modifiziert . . . immer wieder und wieder und wieder . . . wenn nötig, bis ins Unendliche. Immer ging es um die Suche nach einem neuen, wirksamen Mittel, das aus einem alten heraus entwickelt wurde und keinen oder nur geringen Giftgehalt besaß. Vor zwei Jahren, nach fast tausend erfolglosen Versuchen, hatte Lord sich geschworen, niemals aufzugeben.
Ein anderer, neuerer Zugang - eröffnet von Sir James Black, dem hervorragenden Erfinder von Smith-Kline's Tagamet - war, zu entscheiden, welche biologische Störung sich pharmazeutisch korrigieren ließ, um dann ein völlig neues Medikament zu entwickeln. Martin Peat-Smith arbeitete in Harlow mit genetischen Methoden, die noch neuer waren. Jedoch schlössen die beiden letzten Methoden Jahre des Experimentierens ein und konnten in einem Fehlschlag enden, konnten jedoch ebensogut, wenn sie Erfolg hatten, zu revolutionären neuen Medikamenten führen.
Lord aber hatte sich für die ältere Methode entschieden, die seinen Zwecken und seinem Temperament besser entsprach, und, bei Gott!, er hatte recht gehabt, das wußte er jetzt.
Was im Augenblick für seine gute Laune sorgte, war die kleine Truppe von Spezialisten - Chemiker, Biologen, Physiker, klinische Pharmakologen, Physiologen, Toxikologen, Veterinäre, Pathologen und Statistiker -, die bei Felding-Roth alles daransetzte, Hexin W in seine endgültige Form zu bringen.
Aber wegen des komplexen Testprogramms mit Tieren und Menschen würde es bestimmt noch zwei Jahre dauern, bis der Zulassungsantrag für Hexin W bei der FDA gestellt werden konnte.
Obgleich er es nicht laut sagte, war Lord über den Zwischenfall, der Peat-Smiths Peptid-7-Programm zurückwarf, froh. Dadurch brauchten die in Harlow zwei Jahre länger, so daß Hexin W vielleicht doch zuerst auf den Markt kam.
Lords gehobene Stimmung hatte ihn sogar dazu veranlaßt, eine Initiative zu ergreifen, um mit Celia Frieden zu schließen. Bald nach ihrer Rückkehr in die Firma suchte er sie in ihrem Büro auf. Er gratulierte ihr zu ihrer Ernennung und erklärte: »Ich bin froh, daß Sie wieder bei uns sind.«
»Ich gratuliere Ihnen auch«, sagte Celia. »Ich habe gerade den Bericht über Hexin W gelesen.«
»Ich erwarte, daß Hexin W als eine der großen Entdeckungen des Jahrhunderts anerkannt wird«, erklärte Lord. Er war im Verlauf der Jahre vielleicht ein bißchen reifer geworden - aber seinem übertriebenen Selbstvertrauen hatte das keinen Abbruch getan.
Lord gab Celia gegenüber auch nicht zu, daß sie in bezug auf Montayne recht gehabt hatte und er selbst unrecht. Er fand, daß sie nur - völlig unwissenschaftlich - Glück gehabt hatte; dafür brauchte man ihr keine intellektuelle Anerkennung zu zollen, genausowenig wie einem Lotteriegewinner.
Trotz des Friedens, den er mit Celia geschlossen hatte, war er erleichtert, als sie nach Hawthornes Tod nicht zur Präsidentin ernannt wurde. Das hätte er nicht ertragen. Endlich einmal, dachte er, hatte der Aufsichtsrat Verstand gezeigt.
Mit Beginn des neuen Jahres, 1978, wurde Hexin W für Fel-ding-Roth mehr und mehr zum Gegenstand neuer Hoffnungen.
Die Ernennung von Preston O'Halloran zum Präsidenten auf Zeit änderte für Celia wenig oder gar nichts, was ihre Verantwortung und tägliche Routine betraf.
Am Tag nach der Sondersitzung des Aufsichtsrats hatte O'Halloran ganz offen mit ihr gesprochen.
Sie trafen sich - unter vier Augen - in der Büro-Suite des Präsi-denten. Der Anblick des neuen Amtsinhabers in diesem Zimmer war für Celia eine schmerzliche Erinnerung an Sam. Seinen Tod hatte sie noch nicht verwunden.
O'Halloran, der aus New England stammte, was man ihm deutlich anhörte, sagte: »Mrs. Jordan, ich möchte, daß Sie wissen, daß ich nicht zu denjenigen gehört habe, die sich gegen Ihre Ernennung zur Präsidentin ausgesprochen haben. Ich will aber ehrlich sein und zugeben, daß ich Ihre Kandidatur auch nicht besonders unterstützt habe. Ich hätte mich der Mehrheit jedoch angeschlossen. Das habe ich den anderen vom Aufsichtsrat ausdrücklich gesagt.«
»Interessant, daß Sie es ihnen sogar gesagt haben«, erwiderte Celia mit einer Spur Schärfe.
»Touche!« Der alte Mann lächelte, und Celia dachte: Wenigstens hat er Sinn für Humor.
»In Ordnung, Mr. O'Halloran«, fuhr sie kurz angebunden fort, »jetzt wissen wir also beide, wo wir stehen, und darüber bin ich froh. Und nun benötige ich von Ihnen Anweisungen - was Sie von mir erwarten und wie wir die Pflichten aufteilen sollen.«
»Meine Freunde nennen mich Snow.« Wieder das trockene Lächeln. »Der Name stammt noch aus meiner verbummelten Jugend, in der ich viel Ski gefahren bin. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auch so nennen würden - und vielleicht darf ich Celia sagen?«
»Einverstanden«, erwiderte Celia. »Und jetzt wollen wir überlegen, wie wir uns die Arbeit teilen.«
»Ganz einfach. Ich möchte, daß Sie genauso weitermachen wie bisher - und ich bin mir darüber im klaren, daß es mit großer Kompetenz und Tüchtigkeit geschehen wird.«
»Und Sie, Snow? Was werden Sie tun, während ich kompetent und tüchtig bin?«
»Der Präsident braucht seinem Stellvertreter keine Rechenschaft abzulegen, Celia«, tadelte er sie sanft. »Aber damit es zwischen uns keine Mißverständnisse gibt, will ich gern zugeben, daß ich bei weitem nicht soviel vom Pharma-Geschäft verstehe wie Sie. Aber wovon ich etwas verstehe - ganz sicher mehr als Sie -, das sind die Finanzen einer Firma. Und denen müssen wir gerade jetzt unsere besondere Aufmerksamkeit widmen. Daher werde ich in den sechs Monaten die meiste Zeit damit verbringen, mich um Geldangelegenheiten zu kümmern, jedenfalls solange ich auf diesem Stuhl sitze.«
Celia mußte zugeben, daß er sie höflich und mit Geduld behandelt hatte. Sie sagte, schon freundlicher als vorher: »Danke, Snow, ich werde mich bemühen, meinen Teil der Abmachung, so gut ich kann, zu erfüllen.«
»Ich bin sicher, daß Sie das tun werden.«
Der neue Präsident kam nicht jeden Tag ins Büro, aber er entwickelte einen Plan für die finanzielle Strategie der Firma, der sich über den Zeitraum von fünf Jahren erstreckte und den Seth Feingold Celia gegenüber als »ein Juwel, eine echte Bereicherung« bezeichnete.