Und der Leiter des Rechnungswesens fügte hinzu: »Der alte Kauz braucht vielleicht einen Stock zum Gehen, aber nicht für seinen Verstand - der ist noch immer so scharf wie eine Rasierklinge.«
Auch Celia lernte O'Halloran schätzen - seine Unterstützung bei allem, was sie tat, und seine unfehlbare Höflichkeit. Er war im wahrsten Sinne des Wortes »ein Gentleman der alten Schule«.
Deshalb tat es ihr aufrichtig leid, als sie in der letzten Januarwoche 1979 erfuhr, daß er mit einer Grippe zu Bett lag, und als Snow O'Halloran eine Woche später an einem Verschluß der Herzkranzgefäße starb, war sie traurig.
Diesmal wartete man nicht erst zwei Wochen, um einen Nachfolger zu benennen. Die Angelegenheit wurde bereits einen Tag nach O'Hallorans Beerdigung geregelt.
Außerhalb der Firma hatte sich noch immer kein geeigneter Kandidat gefunden, obwohl seit O'Hallorans Amtsantritt bereits mehr als vier Monate vergangen waren.
Es gab nur eine mögliche Wahl, und der Aufsichtsrat traf die Entscheidung, die er bereits im vergangenen September hätte treffen sollen, innerhalb von fünfzehn Minuten. Celia Jordan wurde zur Präsidentin von Felding-Roth ernannt.
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Die Idee war ihr, ausgelöst durch die Bemerkung von Andrew, im vergangenen August auf dem Flug von Hawaii gekommen.
Andrew hatte damals im Zusammenhang mit der Montayne-Katastrophe bei Schwangerschaften gesagt: »Als Arzt vertrete ich dieMeinung, daß man keinMedikament einnehmen soll, nur um ein Gefühl des Unwohlseins zu beseitigen, bei dem es sich ganz offensichtlich um einen zeitlich begrenzten Zustand handelt
Und wenn es mal bei dir soweit ist, wirst du auch nichts nehmen, kleines Fräulein«, hatte er sich an seine Tochter gewandt.
»Und wenn du ein kräftiges, gesundes Baby haben willst: keinen Alkohol und keine Zigaretten, hörst du ?«
Diese Sätze waren der Grundstein für eine Firmenpolitik, die Celia als »Felding-Roth-Doktrin« zum Vorschlag bringen wollte.
Sie hatte sich schon früher, als Vizepräsidentin, mit diesem Gedanken getragen, hatte ihn aber wieder fallenlassen, weil sie befürchtete, überstimmt zu werden.
Selbst nach ihrer Ernennung zur Präsidentin wartete sie noch eine Weile damit, weil sie wußte, daß das, was sie vorhatte, der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurfte. Jetzt, nach sieben Monaten, wagte sie es.
Bill Ingram, seit kurzem Leiter der Abteilung Verkauf und Marketing, hatte ihr dabei geholfen, die Felding-Roth-Doktrin zu formulieren, die nun folgendermaßen lautete:
Felding-Roth Pharmaceuticals Incorporated gelobt feierlich:
Artikel eins: Felding-Roth wird nie ein pharmazeutisches Produkt entwickeln, herstellen, verteilen oder direkt oder indirekt auf den Markt bringen, das bei einer Schwangerschaft dazu dienen soll, einen vorübergehenden, normalen Zustand wie etwa Übelkeit und Schwindelgefühl zu behandeln, der eine natürliche Begleiterscheinung bei Schwangerschaften ist.
Artikel zwei: Felding-Roth wird sich auf jede mögliche Weise aktiv dafür einsetzen, daß kein Produkt wie in Artikel eins beschrieben, von welchem Hersteller auch immer, in die Hände einer Schwangeren gelangt.
Artikel drei: Felding-Roth wird schwangeren Frauen raten, die Anwendung aller rezeptpflichtigen und nicht rezeptpflichtigen Medikamente zu vermeiden, es sei denn, diese werden aus besonderen Gründen vom Arzt verschrieben.
Artikel vier: Felding-Roth wird sich auch weiterhin dafür einsetzen, daß Frauen während der Schwangerschaft keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen und das Rauchen und den Aufenthalt in verrauchten Räumen vermeiden.
Es gab darüber hinaus eine Empfehlung an die Ärzte, die einerseits die beratende und vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient betraf, andererseits aber der Beschwichtigung der Ärzte diente, die ja als Rezeptschreiber Felding-Roths beste Kunden waren. Und es gab Hinweise auf besondere Umstände, Notfälle, zum Beispiel, bei denen die Verwendung von Medikamenten unumgänglich war.
»Die Sache ist einleuchtend und überzeugend«, meinte Bill Ingram. »Das war längst überfällig.«
Ingram, der bei der entscheidenden Sitzung, die Celias Kündigung vorausgegangen war, für Montayne gestimmt hatte, war zuerst zerknirscht und befangen gewesen, als sie zu Felding-Roth zurückkehrte. Ein paar Wochen später hatte er zugegeben: »Ich habe mich nach allem, was geschehen ist, gefragt, ob Sie überhaupt noch mit mir arbeiten wollen.«
»Aber ja«, hatte Celia ihn beruhigt. »Ich kenne Ihre Fähigkeiten und weiß, daß ich Ihnen vertrauen und mich auf Sie verlassen kann. Was geschehen ist, gehört der Vergangenheit an - Sie haben sich geirrt, und das kann jedem passieren. Es war schlimm, daß dieser Irrtum so schreckliche Folgen hatte, aber Sie waren ja nicht der einzige, und ich kann mir vorstellen, daß Sie aus der Erfahrung gelernt haben.«
»Ja, und ich wünschte, ich hätte damals genug Einblick und Mut besessen, zu Ihnen zu halten.«
»Sie müssen nicht blindlings zu mir halten«, wehrte sie ab. »Auch jetzt nicht. Es wird bestimmt mal vorkommen, daß ich im Unrecht bin, und dann möchte ich, daß Sie's mir sagen.«
Nach Celias Ernennung zur Präsidentin hatte es einige Umstrukturierungen und auch mehrere Beförderungen gegeben, und Bill Ingram bewährte sich bereits in seiner neuen, leitenden Position.
Celia bereitete sich auf die Sitzung, in der die von ihr vorgeschlagene Felding-Roth-Doktrin zur Sprache kommen sollte, sorgfältig vor.
Sie erinnerte sich an Sams Probleme mit dem Aufsichtsrat und an den Widerstand, den es vor Jahren gegen das von ihm geplante britische Forschungsinstitut gegeben hatte, und erwartete auch jetzt eine starke Opposition.
Zu ihrer Überraschung gab es so gut wie keine Gegenstimmen.
Eines der Aufsichtsratsmitglieder, Adrian Caston, Vorsitzender eines Finanztrusts und in seinen Entscheidungen stets bedächtig, fragte: »Ist es klug oder nötig, daß wir uns für alle Zeiten von einem medizinischen Bereich distanzieren, von dem vielleicht irgendwann in der Zukunft neue, sichere und gewinnbringende Entwicklungen ausgehen könnten?«
Sie hatten sich im Konferenzraum der Geschäftsleitung versammelt, und Celia antwortete, während sie den langen Walnußtisch entlangblickte: »Ich meine, wir sollten genau das tun. Wir sollten es tun, weil wir damit uns und andere, die unserem Beispiel folgen, vor der Versuchung bewahren, noch einmal mit etwas Ähnlichem wie Montayne in Verbindung gebracht zu werden.«
Alle hörten ihr aufmerksam zu. »Erinnerungen verblassen. Viele junge Frauen, die jetzt in dem Alter sind, Kinder zu bekommen, erinnern sich nicht mehr an Thalidomid oder haben noch nie etwas davon gehört. In einigen Jahren wird es mit Montayne genauso sein, und dann werden schwangere Frauen wieder irgend etwas, das ihnen ihr Arzt verschreibt, einnehmen. Und wenn das geschieht, wollen wir keinen Anteil daran haben, denn wir wissen, daß der Versuch, den normalen Verlauf einer Schwangerschaft durch Medikamente zu beeinflussen, seit eh und je mit Unheil belastet war.
Die Erfahrung hat gezeigt, daß Schwangerschaft ein Zustand ist, den man am besten der Natur selbst überläßt. Wir bei Fel-ding-Roth müssen mit einer Katastrophe leben, die durch ein Schwangerschaftsmedikament ausgelöst wurde und für die wir jetzt bitter büßen. In Zukunft täten wir - moralisch und finanziell - gut daran, unsere Gewinne woanders zu suchen und andere Hersteller dazu zu bewegen, das ebenfalls zu tun.«
Clinton Etheridge, ein Veteran der Firma, von dem Celia Widerspruch erwartet hatte, meldete sich zu Wort, um sie zu unterstützen.
»Was die Gewinne betrifft, so gefällt mir Mrs. Jordans Idee, unser Montayne-Debakel zum kommerziellen Vorteil zu nutzen. Falls es jemand noch nicht bemerkt haben sollte: diese sogenannte Doktrin« - Etheridge hielt sie in die Höhe - »ist eine verdammt kluge Idee. Sie ist eine ausgezeichnete Reklame für die anderen Medikamente, die wir im Angebot haben. Im Lauf der Zeit werden wir, glaube ich, feststellen, daß sie sich in Dollars bezahlt macht.«