Die Arbeiter- und Arbeitslosenszene war für einen ehrgeizigen Politiker ein fruchtbares Feld, das hatte er frühzeitig erkannt. Aus diesem Grund reihte sich der Senator in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit hin und wieder in die Schlange der Arbeitssuchenden vor den Arbeitsämtern ein und redete mit ihnen. Angeblich, um sich »selbst ein Bild zu machen und zu erfahren, wie man sich als Arbeitsloser fühlt« - ein bewundernswertes Anliegen, gegen das kein vernünftiger Mensch etwas einwenden konnte. Interessant war nur, daß die Medien stets von der Absicht des Senators wußten, so daß immer Fernsehteams und Pressefotografen zur Stelle waren und sein wohlvertrautes Gesicht mit dem seelenvollen Blick noch am selben Abend in den Fernsehnachrichten und am nächsten Tag in den Zeitungen auf-tauchte.
Auch im Zusammenhang mit dem »einfachen Mann« hatte der Senator seit neuestem ein weiteres ergiebiges Thema entdeckt, und zwar die erste Klasse in öffentlichen Verkehrsmitteln und die von der Steuer absetzbaren Flugreisen der Geschäftsleute. Wenn diese Leute Privilegien wollten, so argumentierte er, sollten sie die aus eigener Tasche bezahlen und sie sich nicht von den Steuerzahlern finanzieren lassen. Er legte dem Senat einen Gesetzentwurf vor, nach dem Erster-Klasse-Flüge nicht mehr von der Steuer absetzbar waren; allerdings wußte er, daß ein solcher Gesetzentwurf im Verlauf des Legislaturprozesses irgendwo auf der Strecke bleiben würde.
Es war bemerkenswert, wie oft es ihm gelang, mit diesem Thema in die Nachrichten zu kommen. Um seine Idee zu bekräftigen, machte es sich Senator Donahue zur Gewohnheit, bei Flügen in der Touristenklasse zu reisen, und selbstverständlich informierte er die Presse vor jedem Flug darüber. Es gab keinen Er-ster-Klasse-Passagier, dem soviel Aufmerksamkeit zuteil geworden wäre wie Donahue hinten in der Touristenklasse. Eines allerdings vergaß er zu erwähnen, nämlich daß er den größten Teil seiner Flugreisen mit einem Privatflugzeug zurücklegte, das ihm entweder von der Familie oder von Freunden zur Verfügung gestellt wurde.
Donahue war untersetzt und hatte ein Engelsgesicht, das ihn jünger aussehen ließ, als er mit seinen neunundvierzig Jahren war. Er hatte Übergewicht, ohne fett zu sein, und nannte sich selbst »hübsch gepolstert«. Fast ständig, vor allem, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte, trug er ein leichtes Grinsen zur Schau, das freundlich wirken sollte. Seine Kleidung und sein Haarschnitt waren gewollt leger und sollten zu dem Bild des »einfachen Mannes« passen.
Während objektive Beobachter Donahue für einen Opportunisten hielten, der er auch war, mochten ihn viele Leute gern, nicht nur die Mitglieder seiner eigenen Partei, auch manche aus den Reihen seiner politischen Gegner. Ein Grund dafür war, daß er Sinn für Humor hatte und es auch mal vertragen konnte, wenn auf seine Kosten gelacht wurde. Außerdem war er ein guter Gesprächspartner.
Letzteres machte ihn für manche Frauen anziehend, was er zu seinem Vorteil zu nutzen wußte, obwohl er verheiratet war und sich häufig in Begleitung seiner Frau und seiner Kinder zeigte.
Das also war Senator Donahue, der am ersten Dienstag im Dezember kurz nach zehn Uhr die Sitzung des Senats-Unterausschusses für ethische Verkaufspolitik eröffnete, indem er eine kurze Erklärung abgab.
Der Ausschuß tagte in Raum SR-253 des alten Senatsgebäudes, ein eindrucksvoller Rahmen. Der Vorsitzende und seine Senatoren-Kollegen saßen hinter einem erhöhten V-förmigen Tisch den Zeugen und den Zuhörern gegenüber. Von den drei großen Fenstern aus sah man auf den Park und den Springbrunnen. Der Kamin war aus Marmor, die Vorhänge waren beigefarben und mit dem Wappen der Vereinigten Staaten von Amerika bedruckt.
»Alle, die wir hier versammelt sind«, begann Dennis Donahue und sah auf ein Blatt Papier, »sind uns der gräßlichen, weltweiten Tragödie bewußt, deren Opfer Kinder sind, Kinder, deren Gehirne von einem Medikament zerstört wurden, das noch bis vor kurzem auch in diesem Land verschrieben und verkauft wurde. Der Name dieses Medikaments ist Montayne.«
Der Senator war ein starker, eindringlicher Redner, und die etwa hundert Leute im Raum lauschten aufmerksam. Fernsehkameras waren auf ihn gerichtet. Außer Donahue waren noch acht weitere Senatoren anwesend - fünf von Donahues eigener führender Partei und drei von der Opposition. Links vom Vorsitzenden saß Stanley Urbach, der Anwaltsvertreter des Unterausschusses, ein früherer Staatsanwalt aus Boston. Hinter den Senatoren hielten sich sitzend oder stehend fünfzehn Ausschußhelfer auf.
»In diesem Hearing soll untersucht werden«, fuhr Donahue fort, »wer die Verantwortung für diese Vorfälle trägt und ob . . .«
Celia, die als erste Zeugin vorgesehen war, vernahm eine Er-öffnungserklärung, die sich nach einem vorhersehbaren Muster abspulte. Sie saß an einem grün bespannten Tisch neben ihrem Berater Childers Quentin. Sie hatte Quentin zu dieser Rolle überredet, weil es, wie sie ihm erklärte, »keinen Anwalt gibt, der mehr über Montayne weiß als Sie, und ich Vertrauen zu Ihnen habe«.
Für diesen Tag hatte er ihr einen ganz spezifischen Rat gegeben. »Legen Sie alles so ehrlich und knapp wie möglich dar«, hatte Quentin verlangt, »und versuchen Sie nicht, clever zu sein oder Dennis Donahue übertreffen zu wollen.«
Die letzte Warnung war im Hinblick darauf erfolgt, daß Celia die Absicht geäußert hatte, daran zu erinnern, daß Donahue vor mehr als zwei Jahren, als die Zulassung von Montayne durch die FDA verzögert wurde - was viele für unvernünftig hielten -, zu denen gehört hatte, die gegen diese Verzögerung protestiert und sie als »unter diesen Umständen einfach lächerlich« bezeichnet hatten.
»Das tun Sie auf gar keinen Fall!« hatte Quentin gesagt. »Do-nahue wird sich selbst oder durch seine Leute daran erinnern, so daß er auf diesen Vorwurf vorbereitet ist und entsprechend reagieren würde. Wahrscheinlich würde er sagen, daß er nur eins der vielen Opfer ist, die die Propagandamethoden der Pharmaindustrie auf dem Gewissen haben, oder so ähnlich. Und außerdem würden Sie ihn sich damit zum Feind machen, was außerordentlich unklug wäre.«
Dann klärte der Rechtsanwalt Celia über einige Fakten der Washingtoner Szene auf.
»Ein Senator besitzt unglaubliche Macht und Einfluß, in manchen Fällen mehr als ein Präsident, weil die Macht, die er ausübt, nicht so deutlich sichtbar ist. Es gibt kein Ministerium, in dem ein Senator keinen Einfluß hat, vorausgesetzt, es handelt sich um nichts Ungesetzliches. Wichtige Leute in und außerhalb der Regierung laufen sich die Hacken ab, um einem Senator einen Gefallen zu tun - ohne Rücksicht auf Verluste. Bei diesem System des Gebens und Nehmens übt ein Senator in jeder Hinsicht die größte Macht aus. Deshalb muß jemand schon sehr dumm sein, wenn er es darauf anlegt, sich einen US-Senator zum Feind zu machen.«
Celia hatte sich den Ratschlag zu Herzen genommen und wollte sich Mühe geben, bei jedem Schlagabtausch mit Dennis Donahue daran zu denken.
Vincent Lord war ebenfalls anwesend; er saß auf der anderen Seite von Quentin. Während Celia für Felding-Roth eine Erklärung abgeben und dann ins Kreuzverhör genommen werden sollte, brauchte der Leiter der Forschungsabteilung, falls erforderlich, nur Fragen zu beantworten.
Senator Donahue beendete seine einleitenden Worte, machte eine kurze Pause und verkündete dann: »Unsere erste Zeugin ist Mrs. Celia Jordan, Präsidentin von Felding-Roth Pharmaceuticals in New Jersey. Mrs. Jordan, möchten Sie uns Ihre Begleitung vorstellen?«
Mit wenigen Worten stellte Celia Quentin und Lord vor.
Donahue nickte. »Mr. Quentin kennen wir gut. Und wir freuen uns auch, Dr. Lord bei uns zu haben. Mrs. Jordan, Sie möchten sicher eine Erklärung abgeben.«
Celia blieb am Zeugentisch sitzen, während sie ins Mikrofon sprach. »Herr Vorsitzender, Mitglieder des Unterausschusses: Zuerst und vor allem möchten wir all jenen Familien, die von dem Unglück betroffen sind, das Senator Donahue vor ein paar Minuten völlig richtig als eine weltweite Tragödie bezeichnet hat, unsere Betroffenheit und unser Mitgefühl aussprechen. Obwohl noch keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise vorliegen und es vielleicht noch Jahre dauern wird, bis alles geklärt ist, muß zur Zeit als sicher angenommen werden, daß das Medikament Montayne für die Schäden an den ungeborenen Kindern verantwortlich zu machen ist - bei einem sehr kleinen Teil der Gesamtbevölkerung und unter Begleitumständen, die bei der umfassenden Erprobung dieses Medikaments, zuerst in Frankreich, später in anderen Ländern und vor der offiziellen Zulassung durch die FDA auch in den Vereinigten Staaten, unmöglich vorauszusehen waren.«