12
Quentin und Celia aßen auf dem Rücksitz einer Limousine, die vor dem alten Senatsgebäude auf sie gewartet hatte, ein Sandwich und tranken dazu Kaffee aus einer Thermosflasche. »Das geht schneller, und wir sind hier ganz unter uns«, hatte Quentin gesagt. Sie parkten am Jefferson Drive, nicht weit vom Smith-sonian Institut entfernt, während der Chauffeur draußen auf und ab ging.
Vincent Lord war auch dazu eingeladen gewesen, hatte aber wegen einer anderen Verabredung abgesagt.
»Die versuchen, Sie persönlich schlecht aussehen zu lassen«, erklärte Quentin nach einer Weile. »Wie fühlen Sie sich dabei?«
Celia verzog das Gesicht. »Es gefällt mir nicht besonders.«
»Das ist nichts als Taktik.« Der Rechtsanwalt nahm einen Schluck Kaffee. »Derlei Untersuchungen sind ja immer eine politische Übung, und dafür benötigt man eben ein schwarzes Schaf. Da Sie die Firma repräsentieren, sind Sie dran. Aber ich könnte etwas unternehmen, um es zu unterbinden.«
»Was denn?«
»Dazu muß ich Ihnen etwas erklären: Donahue und seine Leute wissen natürlich, daß Sie sich intern gegen Montayne ausgesprochen und auch aus diesem Grund gekündigt haben. Sie kennen wahrscheinlich auch die Bedingungen, die Sie für den Fall Ihrer Rückkehr gestellt haben, und sie kennen ganz bestimmt auch die Felding-Roth-Doktrin, deren Verfasserin Sie sind.«
»Aber warum . . .«
»Versuchen Sie es mal von deren Warte aus zu betrachten. Warum sollten Donahues Leute daran interessiert sein, Ihr gutes Image aufrechtzuerhalten? Und wenn - wen sollen sie dann unter Beschüß nehmen? Etwa einen Toten?«
»Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen«, stimmte Celia zu. »Trotzdem - ist denn die Wahrheit überhaupt nicht wichtig?«
»Wenn ich als Anwalt auf der anderen Seite stünde«, sagte Quentin, »würde ich Ihre Frage folgendermaßen beantworten: Die Wahrheit ist immer wichtig. Aber im Fall von Montayne liegt die Wahrheit in dem, was Felding-Roth getan hat: daß die Firma Montayne auf den Markt gebracht hat und die Verantwortung trägt. Und was Sie persönlich betrifft - nun gut, Sie sind zurückgetreten. Aber dann sind Sie zurückgekehrt und haben damit dokumentiert, daß Sie bereit sind, die Verantwortung für Montayne mitzutragen.« Quentin lächelte grimmig. »Natürlich könnte ich die ganze Sache auch anders herum betrachten und genauso überzeugend sein.« »Rechtsanwälte!« Celia lachte spöttisch. »Glauben die eigentlich an gar nichts?«
»Wir bemühen uns. Allerdings ist diese Ambivalenz eine ständige Gefahr.«
»Sie sagten, daß Sie etwas tun könnten . . .«
»Im Unterausschuß sitzen einige Mitglieder aus der Minderheitspartei, die Ihrer Branche durchaus freundlich gesonnen sind. Sie haben auch einen Anwalt in ihren Reihen. Bis jetzt hat keiner von ihnen das Wort ergriffen, und wahrscheinlich werden sie es auch weiterhin nicht tun, um nicht in den Ruf zu geraten, sie seien für Montayne. Aber wenn ich einen von ihnen bitte, Fragen zu stellen, die Sie in positivem Licht erscheinen lassen, würde er es tun.«
»Würde das dann auch für Felding-Roth günstig sein?«
»Nein. Wahrscheinlich nicht - ganz im Gegenteil.«
Celia zuckte resigniert die Achseln. »Dann sollten wir es lieber bleibenlassen.«
»Wie Sie wollen«, sagte der Rechtsanwalt enttäuscht. »Schließlich geht es um Ihren Kopf.«
Als die Nachmittagssitzung begann, griff Vincent Lord zu dem für die Zeugen bestimmten Mikrofon.
Urbach begann die Befragung, indem er Lord seine wissenschaftliche Laufbahn beschreiben ließ. Dann ging der Anwalt des Untersuchungsausschusses zu den Anfängen von Montayne zurück, und Lord beantwortete alle Fragen selbstsicher und entspannt.
Nach etwa fünfzehn Minuten fragte Urbach: »Als diese Berichte aus Australien, Frankreich und Spanien in Ihrer Firma bekannt wurden, kurz bevor Montayne in den Vereinigten Staaten auf den Markt kommen sollte, haben Sie da empfohlen, den Start zu verschieben?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Zu diesem Zeitpunkt war es Sache der Geschäftsleitung, zu entscheiden, ob der Start verschoben würde. Als Forschungslei-ter gingen mich nur die wissenschaftlichen Fakten etwas an.«
»Erklären Sie das bitte genauer.«
»Gern. Ich hatte die Aufgabe, die damals verfügbaren Informationen, die wir von Laboratoires Gironde-Chimie erhielten, wissenschaftlich zu bewerten. Und von dieser Warte aus hatte ich keinen Grund, davon abzuraten, Montayne, wie geplant, auf den Markt zu bringen.«
Hartnäckig bohrte Urbach weiter. »Sie haben von einer wissenschaftlichen Bewertung< gesprochen. Hatten Sie, abgesehen von der rein wissenschaftlichen Seite, irgendein Gefühl, einen Instinkt in bezug auf diese drei Berichte?«
Zum ersten Mal zögerte Lord, bevor er antwortete. Dann sagte er: »Das könnte sein.«
»Könnte es nur sein, oder war es so?«
»Na ja, irgendwie war mir nicht ganz wohl dabei. Aber schließlich war vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nichts einzuwenden.«
Celia, die bisher entspannt zugehört hatte, wurde plötzlich aufmerksam.
»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Dr. Lord«, fuhr Urbach fort, »dann befanden Sie sich gewissermaßen in einem Dilemma.«
»Ja, das könnte man sagen.«
»Ein Dilemma zwischen dem wissenschaftlichen Aspekt einerseits und Ihrem persönlichen >Unbehagen< andererseits - ich wiederhole Ihre eigenen Worte. Ist das richtig?«
»Ich glaube, so könnte man es nennen.«
»Es geht nicht um die Frage, wie man es nennen könnte, Dr. Lord, sondern einzig und allein darum, wie Sie es nennen.«
»Nun . . . ja, ich würde es so nennen.«
»Danke.« Der Anwalt des Untersuchungskomitees warf einen Blick in seine Notizen. »Um es noch einmal festzuhalten, Doktor: Haben Sie sich, nachdem Sie diese Berichte, von denen hier die Rede ist, gelesen hatten, für den Verkauf von Montayne ausgesprochen oder nicht?«
»Nein, das habe ich nicht.«
Celia fuhr zusammen. Das war eine Lüge. Lord hatte sich nicht nur für Montayne eingesetzt, er hatte auch auf der Sitzung, die Sam abgehalten hatte, dafür gestimmt, hatte sich über Celias Zweifel und ihre Bitte um Verschiebung lustig gemacht.
Senator Donahue beugte sich zum Mikrofon. »Ich möchte dem Zeugen gern folgende Fragen stellen: Dr. Lord, wenn Sie für das Management verantwortlich gewesen wären und nicht nur für die wissenschaftliche Seite, hätten Sie sich dann für eine Verschiebung ausgesprochen?«
Wieder zögerte Lord. Dann antwortete er mit fester Stimme: »Ja, Herr Senator, das hätte ich getan.«
Dieses Schwein! Celia kritzelte etwas auf einen Zettel, den sie Quentin zuschieben wollte: Das ist nicht wahr . . . Dann hielt sie inne. Was machte es für einen Unterschied? Angenommen, sie stellte Lords Ehrlichkeit in Frage und es entwickelte sich daraus ein Streit - was würde das ändern? Bei diesem Hearing jedenfalls nichts. Angewidert zerknüllte sie den Zettel.
Nach ein paar weiteren Fragen dankte man Lord für sein Erscheinen und entließ ihn. Er verließ sofort den Saal, ohne in Ce-lias Richtung zu blicken.
Als nächste Zeugin wurde Dr. Maud Stavely aufgerufen.
Die Vorsitzende der Organisation »Bürger für mehr Sicherheit in der Medizin« schritt selbstbewußt nach vorn zum Mikrofon am Zeugentisch, der nicht weit von Celia und Quentin entfernt war. Sie blickte nicht in ihre Richtung.
Senator Donahue begrüßte die Zeugin freundlich, und Dr. Stavely verlas eine vorbereitete Erklärung. Darin führte sie ihre medizinischen Qualifikationen an, beschrieb die Struktur der New Yorker Organisation, die negative Einschätzung der Pharma-Fir-men und die Zweifel an Montayne, die ihre Gruppe von Anfang an zum Ausdruck gebracht hatte.