»Zwölf Jahre sind gar nichts.«
»Heutzutage schon«, entgegnete Martin. »Das sind zwei völlig verschiedene Generationen. Außerdem braucht Yvonne ihre Freiheit und ich auch. Für den Augenblick haben wir ein Arrangement getroffen, das uns beiden zusagt, aber das kann sich ändern.«
»Männer!« sagte Celia mit einem Seufzer. »Manchmal holt ihr das Beste aus euren >Arrangements< heraus, aber manchmal seid ihr auch blind.«
An Celias Abreisetag starb Martins Mutter. Sie glitt still und ohne Aufhebens aus dem Leben. »Wie ein Boot, das auf einem stillen See in die Nacht hinaustreibt«, hatte einer der Ärzte zu Martin gesagt.
Diese Stille, mußte Martin in einem Gefühl von Traurigkeit und Erleichterung denken, hatte für seine Mutter viel zu lange gedauert. Es waren die Stürme, nicht die stillen Gewässer, die dem Leben seine Würze gaben. Die Alzheimersche Krankheit hatte seiner Mutter diese Würze genommen, und bei dem Gedanken daran erwachte wieder die Hoffnung, die sich mit Pep-tid 7 verband.
An der Beerdigung nahmen nur Martin, sein Vater und Yvonne teil. Gleich darauf kehrte Martins Vater zu dem Marmorstein zurück, den er bestellt hatte und der vor ein paar Tagen geliefert worden war. Martin und Yvonne fuhren schweigend zurück nach Harlow.
In den folgenden Monaten wurden bei Felding-Roth in New Jersey wichtige Entscheidungen getroffen.
Der wirksame Bestandteil von Peptid 7, ein weißes, kristallines Pulver, sollte in einer neu zu errichtenden Fabrik, für die der Platz bereits ausgewählt und die Pläne der Architekten in Vorbereitung waren, in der Republik Irland hergestellt werden. Es würde die erste Fabrik von Felding-Roth sein, die sich auf Molekularbiologie spezialisierte. Sie wurde von vornherein großzügig geplant um später genügend Platz für die Herstellung des chemischen Grundstoffs von Hexin W zu bieten.
Die Herstellung der endgültigen flüssigen Form von Peptid 7 sollte in einer bereits bestehenden Fabrik in Puerto Rico erfolgen. Dorthin sollten die Behälter, die von noch einer anderen Firma geliefert wurden, verschifft werden. Diese Arrangements boten wesentliche Steuervorteile gegenüber einer Herstellung in den Vereinigten Staaten.
Für das gesamte Unternehmen waren riesige Investitionen nötig, die nach heftigen Debatten und gegen starke Bedenken vom Aufsichtsrat genehmigt wurden.
Eines Abends beim Essen erläuterte Celia Andrew diese Bedenken: »Wir haben das Geld nicht selbst, müssen es uns also leihen. Und wenn es ein Flop wird, bedeutet das auch das Ende für Felding-Roth. Wir haben uns entschlossen, es dennoch zu tun - ein gewagtes Spiel.«
Es ging auch um andere, vielleicht nicht ganz so wesentliche Entscheidungen, zum Beispiel um den Markennamen für Peptid 7.
Die Werbeagentur von Felding-Roth - Quadrille-Brown in New York - führte eine kostspielige, ausgiebige Untersuchung über bereits existierende Markennamen durch und schlug nach langen Überlegungen neue vor, von denen die meisten sofort abgelehnt wurden. Nach mehrmonatigem Hin und Her traf man sich zu einer Konferenz auf höchster Ebene in der Geschäftszentrale von Felding-Roth.
Von seiten der Firma nahmen Celia, Bill Ingram und ein halbes Dutzend andere Mitarbeiter teil.
Howard Bladen, jetzt Präsident von Quadrille-Brown, war persönlich erschienen, »um der guten alten Zeiten willen«, wie er sich ausdrückte, und führte das kleine Team der Agentur an. Bevor die Sitzung begann, erinnerten sich Celia, Ingram und Bladen an die sechzehn Jahre zurückliegende Konferenz, bei der sie sich kennengelernt hatten und die zu dem erfolgreichen Plan für das neue Healthotherm geführt hatte, das sich noch immer gut verkaufte.
Tafeln und Staffeleien wurden in den Sitzungsraum gebracht.
»Unter den Vorschlägen, die wir in Betracht gezogen haben«, erklärte ein Mitarbeiter der Agentur, »sind Namen, die sich auf das Gehirn oder die menschliche Wahrnehmung beziehen: Appercep, Compre, Percip und Braino.«
Der vierte Name wurde eilig zurückgezogen, als Bill Ingram auf seine Ähnlichkeit mit Drano - einem Haushaltsreiniger -hinwies.
»Das ist mir äußerst peinlich«, sagte Bladen, »und ich verstehe nicht, daß wir das alle nicht bemerkt haben.«
Es folgten Namen, die »an etwas Kluges erinnern sollen - etwas, das vor Intelligenz nur so strahlt«: Argent und Nitid.
Zwei weitere: Genus und Compen. Letzteres sollte, wie es hieß, zum Ausdruck bringen, daß das Medikament etwas »kompensiert«, was sonst verlorengehen könnte.
Eine Stunde lang wurde über die Namen diskutiert. Bill Ingram gefiel Appercep, Nitid lehnte er ab, und die anderen ließen ihn ziemlich kalt. Drei Firmenangehörige sprachen sich für Ar-gent aus, Bladen war für Compen.
Celia hielt sich zurück und ließ sich die Argumente durch den Kopf gehen.
Schließlich fragte Bladen: »Und was meinen Sie dazu, Mrs. Jordan? Sie hatten früher immer so ausgezeichnete Ideen.«
»Ich frage mich, warum wir unser neues Medikament nicht einfach Peptid 7 nennen«, sagte Celia.
Nur Ingram kannte Celia so gut, daß er es sich erlauben konnte, laut herauszulachen.
Bladen zögerte, dann hellte sich sein Gesicht langsam auf. »Was Sie eben vorgeschlagen haben, Mrs. Jordan, ist, glaube ich, schlicht genial.«
»Nur weil ich Kunde bin, muß es nicht gleich genial sein. Es ist einfach vernünftig«, erwiderte Celia schroff.
Nach einer äußerst kurzen Diskussion wurde beschlossen, Peptid 7 unter diesem Namen zu verkaufen.
Das folgende Jahr verging in Windeseile.
Die klinischen Erprobungen von Peptid 7, die schneller vorangegangen waren, als irgend jemand erwartet hatte, waren sowohl in England als auch in den Vereinigten Staaten außerordentlich erfolgreich verlaufen. Ältere Patienten hatten auf das Medikament positiv angesprochen. Nachteilige Nebenwirkungen waren nicht aufgetreten. Jetzt waren alle Daten an das Komitee für die Sicherheit in der Medizin in London und an die FDA in Washington geschickt worden. Nach eingehenden Beratungen sowohl in Harlow als auch in Boonton, an denen Martin Peat-Smith, Vincent Lord, Celia und einige andere teilnahmen, wurde beschlossen, einen »offiziellen Hinweis« auf die gewichtsreduzierende Wirkung von Peptid 7 nicht zu beantragen. Das bedeutete, daß dieser Nebeneffekt des Medikaments zwar in den Informationen für die Ärzte erwähnt wurde, das Mittel aber nicht zu diesem Zweck empfohlen wurde.
Man war sich darüber im klaren, daß manche Ärzte es dennoch zu diesem Zweck verschreiben würden. Aber dafür würden sie selbst die Verantwortung tragen und nicht Felding-Roth.
Was die sexuelle Stimulans betraf, so hatten die Untersuchungen an Tieren derartiges tatsächlich bewiesen, bei den Tests an Menschen aber hatte man nicht eigens danach gesucht und die-sen Effekt in dem Untersuchungsbericht auch so unauffällig wie möglich erwähnt.
In beiden Fällen vertrat man auch weiterhin die Ansicht, daß es sich bei Peptid 7 um ein ernsthaftes Medikament handelte, das den mentalen Alterungsprozeß hinauszögern sollte. Jeder andere, »frivole« Gebrauch würde von dieser wichtigen Funktion ablenken und dem Ruf des Medikaments abträglich sein.
Angesichts der makellosen Resultate aus den klinischen Tests und der Tatsache, daß ein besonderer Indikationshinweis nicht verlangt wurde, schien es unwahrscheinlich, daß die Zulassung von Peptid 7 auf sich warten lassen würde.
Inzwischen waren die Arbeiten an der Fabrik in Irland und die Umstellungen in dem Werk in Puerto Rico so gut wie abgeschlossen.
In Harlow hatte Martin, obwohl er an den Ergebnissen der klinischen Erprobungen sehr interessiert war, alle Einzelheiten seinem Personal überlassen. Er arbeitete an einer Modifizierung von Peptid 7, erforschte die Möglichkeiten, andere Gehirnpep-tide herzustellen, um an die früheren Erfolge anzuknüpfen.
Martin und Yvonne lebten noch immer zusammen. Im Januar 1980 hatte Yvonne ihr Examen gemacht und zu ihrer eigenen und Martins großer Freude in allen Fächern mit Auszeichnung bestanden. Aufgrund ihrer guten Examensergebnisse war sie beim Lucy Cavendish College angenommen worden. Der College-Prospekt hatte Yvonne gefallen, weil darin von einer »Gemeinschaft der Frauen, besonders derjenigen, die ihr Studium verschieben oder unterbrechen mußten«, die Rede war. Sie besuchte das College seit dem September, nachdem sie bei Felding-Roth gekündigt hatte.