Inzwischen war ein Monat vergangen, und sie hatte sich daran gewöhnt, zu den Vorlesungen täglich nach Cambridge und wieder zurück zu fahren, was eine Stunde in Anspruch nahm.
Regen Anteil nahm Yvonne an der königlichen Romanze zwischen dem Prince of Wales und »Lady Di«, wie die Engländer sie nannten. Yvonne diskutierte dieses Thema unermüdlich mit Martin. »Ich habe ja schon immer gesagt, daß er nur lange genug warten muß, um eine englische Rose zu finden«, erklärte sie. »Und jetzt hat er sie gefunden.«
Im Januar - Präsident Reagan hatte viertausend Meilen entfernt gerade sein Amt als Präsident übernommen - erteilte der britische Gesundheitsminister die Genehmigung, Peptid 7 in England auf den Markt zu bringen. Zwei Monate später erfolgte die Zulassung durch die FDA für die Vereinigten Staaten. Kanada folgte, wie so oft, kurz danach.
In England sollte das Medikament im April, in den Vereinigten Staaten und Kanada im Juni auf den Markt kommen.
Im März aber, bevor das Medikament im Handel war, trat etwas ein, das die früheren Befürchtungen bestätigte und, wie es schien, die Zukunft von Peptid 7 gefährdete.
Es begann damit, daß ein Reporter der Londoner Daily Mail im Harlower Institut von Felding-Roth anrief. Er verlangte Dr. Peat-Smith oder Dr. Sastri zu sprechen. Als man erklärte, daß beide an diesem Morgen nicht anwesend seien, hinterließ er eine Nachricht, die eine Sekretärin notierte und auf Martins Schreibtisch legte. Sie lautete:
Die Mail hat erfahren, daß Sie in Kürze eine Wunderdroge herausbringen werden, die sexuell anregend wirkt, Gewichtsverlust herbeiführt und Menschen mittleren und gehobenen Alters dazu bringt, sich wieder jung zu fühlen. Eine Story darüber wird in unserer morgigen Ausgabe erscheinen, und wir hätten dafür gern noch heute eine Erklärung Ihrer Firma.
Als Martin eine halbe Stunde vor der Mittagspause diese Notiz las, reagierte er entsetzt. War diese verdammte Zeitung, die auf Sensationen aus war, etwa drauf und dran, seine Arbeit und seine Träume zu zerstören?
Als erste Reaktion rief er Celia in ihrer Privatwohnung an. In Morristown war es 6.30 Uhr morgens, und Celia stand gerade unter der Dusche. Martin wartete ungeduldig, bis sie sich abgetrocknet und einen Bademantel übergezogen hatte.
Als Celia sich meldete, las er ihr die Nachricht vor. Seine Stimme klang zornig. Celia war besorgt, sah die Dinge aber auch von der praktischen Seite.
»Die sexuelle Komponente von Peptid 7 ist also raus. Damit hatte ich eigentlich schon lange gerechnet.«
»Können wir nicht irgend etwas tun, um das zu verhindern?«
»Offensichtlich nicht. Der Bericht beruht auf Tatsachen. Daher können wir ihn nicht einfach dementieren. Außerdem wird keine Zeitung von einer derartigen Story ablassen, wenn sie erst mal dran ist.«
Martin, der ungewöhnlich hilflos klang, fragte: »Und was sollen wir jetzt tun?«
»Rufen Sie den Reporter an und beantworten Sie seine Fragen ehrlich, aber so kurz wie möglich«, riet sie ihm. »Betonen Sie, daß dieser sexuelle Nebeneffekt bis jetzt nur bei Tieren beobachtet wurde und daß das auch der Grund ist, warum wir das Mittel den Menschen in dieser Hinsicht nicht empfehlen. Das gleiche gilt für den Gewichtsverlust.« Und Celia fügte hinzu: »Vielleicht beschränken sie sich dann auf einen kurzen Artikel, der keine allzugroße Aufmerksamkeit erregt.«
»Das bezweifle ich sehr«, sagte Martin düster.
»Ich auch. Aber versuchen Sie es wenigstens.«
Drei Tage nach Martins Anruf erstattete Julian Hammond Celia Bericht. »Es ist, als hätte diese Zeitungsmeldung eine Schleuse geöffnet«, sagte er.
Die Daily Mail hatte ihren Bericht folgendermaßen überschrieben:
Wissenschaftlicher Durchbruch
Eine neue Wunderdroge, die Sie sexy, jünger und schlank macht.
Der Artikel ging ausführlich auf die sexuell stimulierende Wirkung von Peptid 7 ein, ließ aber die Tatsache, daß dies bisher nur bei Tieren beobachtet worden war, unerwähnt. Der Begriff »Aphrodisiakum«, vor dem sich Martin und die anderen bei Fel-ding-Roth gefürchtet hatten, wurde mehrmals verwendet. Noch schlimmer war, daß die Zeitung auf irgendeine Weise von Mik-key Yates erfahren und ihn interviewt hatte. Ein Foto trug die Überschrift »Ich danke dir, Peptid 7!« und zeigte den alternden Yates, vor Stolz strahlend, nachdem er seine neugeweckten sexuellen Kräfte herausposaunt hatte; neben ihm seine Frau, mit geziertem Lächeln, die die Aussage ihres Mannes bestätigte.
Darüber hinaus wurde erwähnt, daß auch noch mehrere andere freiwillige Testpersonen ebenfalls eine ungewöhnliche Belebung ihres Sexualtriebs verspürt hatten. Auch sie waren namentlich genannt und zitiert.
Celias Hoffnung, daß es mit dem einen Zeitungsartikel sein Bewenden haben würde, erfüllte sich nicht. Die Story der Daily Mail wurde nicht nur von der gesamten britischen Presse und dem Fernsehen übernommen, sondern auch von allen Nachrichtenagenturen ins Ausland verbreitet. In den Vereinigten Staaten herrschte sofort reges Interesse, und die meisten Zeitungen übernahmen die Meldung; im Fernsehen fanden Diskussionen statt.
Unmittelbar darauf liefen die Telefonleitungen von Felding-Roth heiß. Presse, Funk und Fernsehen wollten Einzelheiten erfahren. Obwohl man zögerte, der Sensationsgier Vorschub zu leisten, wurden die Informationen erteilt. Es gab keine andere Möglichkeit.
Nur einige wenige Anrufer interessierten sich für das eigentliche Anwendungsgebiet des Medikaments.
Fragen aus der Öffentlichkeit folgten. Die meisten Fragesteller waren nur an der sexuellen Stimulans oder dem Gewichtsverlust interessiert. Den Anrufern wurde eine kurze Erklärung des Inhalts vorgelesen, daß Peptid 7 für derartige Anwendungszwecke nicht empfohlen werden könne. Die Telefonistinnen berichteten, daß diese Antwort offenbar nicht als zufriedenstellend akzeptiert wurde.
Einige Anrufer gaben Obszönitäten von sich. »Mit einem Schlag ist alles, was wir so sorgsam geplant hatten, zu einer Nebensache geworden«, klagte Bill Ingram.
Wie würden die Ärzte reagieren? grübelte Celia. Würden sie beschließen, Peptid 7, dem schon jetzt ein schlechter Ruf vorauseilte, lieber nicht zu verschreiben?
Andrew bestätigte ihre Ängste. »Eine Reihe von Ärzten wird leider so reagieren. Die ganze Publicity läuft darauf hinaus, daß Peptid 7 auf eine Stufe mit Laetril, Ozo oder Spanish fly gestellt wird.«
»Hätte ich lieber nicht gefragt!« seufzte Celia. Weniger als einen Monat vor der geplanten großangelegten Einführung von Peptid 7 war sie aufs äußerste besorgt.
Martin aber war zutiefst verzweifelt.
17
»Wie sich herausstellte«, pflegte Celia sich später zu erinnern, »hatten wir in den ersten Monaten nach der Einführung von Pep-tid 7 tatsächlich Probleme - sehr ernste Probleme. Wir von der Geschäftsleitung verbrachten unzählige schlaflose Stunden. Aber das Merkwürdige war, daß die Probleme, die dann auf uns zukamen, völlig anders waren als erwartet.« Lachend pflegte sie hinzuzufügen: »Es hat sich wieder einmal gezeigt, daß man die Reaktion der Leute nie voraussagen kann.«
Die Probleme, die Celia meinte, betrafen die Lieferbarkeit des Präparats.
Von dem Augenblick an, da Peptid 7 verfügbar war - auf ärztliches Rezept in Apotheken erhältlich -, konnte das Angebot die Nachfrage über Monate nicht befriedigen. In den Apotheken bildeten sich lange Schlangen, und die meisten Kunden mußten wieder weggeschickt werden.