Das lag, wie später bekannt wurde, auch daran, daß, wie Bill Ingram meinte, »die verdammten Ärzte und Apotheker das Zeug selbst nahmen und den Rest für ihre Freunde auf die Seite legten«.
Diese Knappheit, die eine Zeitlang geradezu bedrohliche Ausmaße annahm, herrschte sowohl in England als auch in den Vereinigten Staaten. Langjährige Mitarbeiter der Firma hatten so et-was noch nie erlebt. Hektische Telefongespräche gingen zwischen New Jersey, Irland, Harlow, Puerto Rico, Chicago und Manchester hin und her - in den beiden letzten Orten wurden die Plastikbehälter und Druckhebel hergestellt. Vor allem in Puerto Rico schrie man nach neuen Behältern, die im Eiltempo gefüllt und umgehend wieder verschifft wurden.
Die Fabriken in Irland und Puerto Rico arbeiteten rund um die Uhr. Gleichzeitig pendelte ein Charterflugzeug zwischen Irland und Puerto Rico hin und her und lieferte die wertvolle aktive Peptid-7-Substanz ab. Ingram mußte in dieser schwierigen Zeit die Hauptlast tragen. Nach seinen Worten »lebten wir von der Hand in den Mund, jonglierten mit den vorhandenen Vorräten und bemühten uns, so gut es ging, die Massen, die nach Peptid 7 verlangten, zufriedenzustellen«.
Dann pflegte auch er bei der Erinnerung an diese Tage zu lachen. »Aber Gott sei Dank haben unsere Leute alle zugepackt, wo sie nur konnten. Sogar die Ärzte und Apotheker, die sich zunächst aufgespielt hatten, haben Peptid 7 zu seinem glänzenden, ja goldenen Erfolg verholfen.«
Das Wort golden war durchaus angemessen. Ein Jahr, nachdem das neue Medikament wie eine Bombe auf der pharmazeutischen Szene eingeschlagen hatte, überschrieb das Magazine Fortune einen Artikel folgendermaßen:
FELDING-ROTH FINDET REICH IST BESSER
Fortune schätzte die Einkünfte aus dem Verkauf von Peptid 7 im ersten Jahr auf 600 Millionen Dollar. Diese und frühere Schätzungen führten dazu, daß die Felding-Roth-Aktien, die an der New Yorker Börse gehandelt wurden, »durch das Dach in die Stratosphäre schössen«, wie es ein Börsenmakler ausdrückte. Kurz nachdem das Medikament im Handel war, verdreifachten sich innerhalb eines Monats die Aktienkurse und verdoppelten sich innerhalb eines Jahres noch einmal und nochmals während der darauffolgenden acht Monate. Danach beschlossen die Direktoren eine Aufteilung von fünf zu eins, um den Aktienkurs in vernünftigen Grenzen zu halten.
Bei der endgültigen Abrechnung dann erwies sich die FortuneSchätzung als immer noch um einhundert Dollar zu niedrig.
Und noch etwas schrieb Fortune: »Seit Tagamet, Smith Kline's bemerkenswertes Mittel gegen Geschwüre, 1976 eingeführt wurde, hat es kein Präparat gegeben, das sich mit dem Peptid-7-Phänomen vergleichen läßt.«
Der Erfolg war aber nicht nur auf die finanzielle Seite beschränkt. Tausende und Abertausende älterer Menschen sprühten sich das Medikament zweimal täglich in die Nase und erklärten, daß sie sich wohler fühlten, daß ihr Gedächtnis besser funktionierte, daß sie vitaler seien.
Wenn man sie fragte, ob diese »Vitalität« auch die sexuelle Energie mit einschließe, antworteten manche ganz offen mit ja, während andere nur lächelten und erklärten, daß das ihre Privatsache sei.
Aus medizinischer Sicht wurde die gedächtnisstärkende Eigenschaft des Mittels als die wesentlichste angesehen. Wer Pep-tid 7 nahm und früher an Vergeßlichkeit gelitten hatte, erinnerte sich jetzt mühelos an Namen und Telefonnummern. Ehemänner, die früher den Geburtstag ihrer Frau und ihren Hochzeitstag zu vergessen pflegten, dachten jetzt daran. Ein älterer Mann behauptete, sich spielend den gesamten Busfahrplan der Umgebung eingeprägt zu haben, und bewies es auch. Psychologen arbeiteten Gedächtnis-Tests für »davor und danach« aus und bestätigten die Wirksamkeit von Peptid 7.
Obwohl der gewichtsreduzierende Effekt erst an zweiter Stelle kam, war auch er bald unumstritten. Dicke Menschen, auch jüngere, nahmen ab und wurden gesünder. Diese Tatsache wurde von medizinischer Seite so weitgehend akzeptiert, daß Felding-Roth in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kanada den Antrag stellte, dem Präprarat offiziell eine »Indikation« für Gewichtsverlust beizugeben. Es wurde kaum daran gezweifelt, daß dem Antrag stattgegeben würde.
Überall in der Welt bemühte man sich um die Lizenz für Pep-tid 7 und um die Lieferung von Vorräten.
Es war noch zu früh für den Beweis, daß das Medikament sich auch auf die Alzheimersche Krankheit auswirkte. Erkenntnisse würden sich erst in einigen Jahren einstellen, aber viele Menschen machten sich Hoffnungen.
Die Frage, ob Peptid 7, wie früher schon andere Medikamente, zu häufig verschrieben wurde, mußte mit ziemlicher Sicherheit mit ja beantwortet werden. Aber Peptid 7 unterschied sich von all den anderen Medikamenten dadurch, daß es, selbst wenn man es nicht benötigte, keinen Schaden anrichtete. Es machte nicht süchtig; nachteilige Berichte über irgendwelche Nebenwirkungen gab es so gut wie überhaupt nicht.
Eine Frau aus Texas beklagte sich in einem Brief, daß sie jedes Mal, wenn sie Peptid 7 genommen und danach Geschlechtsverkehr gehabt hatte, Kopfschmerzen bekäme. Die Beschwerde wurde von Felding-Roth routinemäßig an die FDA weitergeleitet und auch untersucht, dann aber fallengelassen, als sich herausstellte, daß die Frau zweiundachtzig Jahre alt war.
Ein Kalifornier klagte auf Garderobeersatz, da ihm seine alten Sachen nach der Einnahme von Peptid 7 nicht mehr paßten. Er hatte dreißig Pfund abgenommen. Die Klage wurde abgewiesen.
Aber das war auch fast schon alles.
Und der Enthusiasmus der Ärzte schien keine Grenzen zu kennen. Sie empfahlen ihren Patienten Peptid 7 als nützlich und unbedenklich und bezeichneten es als einen der größten Fortschritte in der Geschichte der Medizin.
»Diesmal hast du dich geirrt«, sagte Celia zu Andrew. »Die Ärzte haben sich durch die Publicity nicht abschrecken lassen. Ganz im Gegenteil.«
»Gut, ich habe mich geirrt«, gab ihr Mann zu, »und wahrscheinlich wirst du mich für den Rest meiner Tage daran erinnern. Aber ich bin froh, daß ich unrecht hatte. Du und Martin -ihr habt es verdient.«
Die Publicity hielt unvermindert an, vielleicht, meinte Celia, weil Peptid 7 so viel zur Verlängerung des menschlichen Glücks beitrug.
Presse und Fernsehen berichteten häufig darüber.
»Sie haben mal gesagt, daß uns das Fernsehen vielleicht eines Tages helfen würde«, erinnerte Bill Ingram Celia. »Das ist nun tatsächlich eingetroffen.«
Ingram, der ein Jahr zuvor zum geschäftsführenden stellvertretenden Präsidenten befördert worden war, hatte den größten Teil der Last zu tragen. Celia war im wesentlichen mit Überlegungen beschäftigt, was mit dem vielen Geld geschehen sollte, das zur Zeit und voraussichtlich auch im nächsten Jahr hereinfloß.
Seth Feingold, inzwischen pensioniert, übte weiterhin eine beratende Funktion aus und kam gelegentlich in ihr Büro. Eineinhalb Jahre nach der Zulassung von Peptid 7 in den USA warnte Seth Celia: »Sie müssen sich schnell entscheiden, wofür Sie einen Teil des Gelds verwenden wollen, sonst schlucken die Steuern alles.«
Eine Möglichkeit bestand darin, andere Firmen aufzukaufen. Auf Celias Drängen hin stimmte der Aufsichtsrat zu, die Chicagoer Firma, die die Peptid-7-Behälter produzierte, zu erwerben. Es folgte der Kauf eines Konzerns in Arizona, der sich auf neue Methoden der Auslieferung von Medikamenten spezialisiert hatte. Verhandlungen über den Kauf einer Firma für optische Geräte waren im Gange. Mehrere Millionen Dollar sollten für ein neues Forschungszentrum für Gentechnik ausgegeben werden.
In der Planung war auch eine neue Firmenzentrale, da das Gebäude in Boonton zu eng geworden war und manche Abteilungen außer Haus untergebracht waren. Der neue Bau sollte in Morristown entstehen, und ein Teil des hoch aufragenden Gebäudekomplexes sollte ein Hotel beherbergen.