Einen Augenblick herrschte Stille, dann sagte Stowe konsterniert: »Wir haben vor vier Tagen unseren Vertrag mit Ihnen gelöst, Celia. Wußten Sie das nicht?«
»Nein. Sind Sie sicher, daß derjenige, den Sie damit beauftragt haben, es auch wirklich erledigt hat?
»Ich habe es selbst erledigt«, sagte Stowe, offenbar noch immer irritiert. »Ich habe mit Vince Lord gesprochen. Aber heute fiel mir ein, daß ich noch gar nicht mit Ihnen darüber geredet habe, und das erschien mir mehr als unhöflich.«
Celia war verärgert, weil sie erst jetzt etwas erfuhr, das sie eigentlich längst hätte wissen müssen. »Ich werde mit Vince ein Wörtchen reden müssen. Und warum haben Sie den Vertrag gekündigt?«
»Also . . . ehrlich gesagt, wir machen uns Sorgen wegen dieser Todesfälle durch Infektionen. Wir hatten selbst zwei unter unseren Patienten, die unter Beobachtung standen, und auch wenn es nicht den Anschein hat, als wäre eines der beiden Medikamente -Arthrigo oder Hexin W - dafür verantwortlich, so gibt es doch eine Reihe offener Fragen. Deshalb haben wir beschlossen, nicht weiterzumachen, vor allem auch wegen der anderen Todesfälle.«
Celia fühlte, wie ein eiskalter Schauer sie erfaßte. Plötzlich wußte sie, daß das noch nicht alles war, daß noch mehr kommen und daß es ihr nicht gefallen würde.
»Was für andere Todesfälle?«
Diesmal dauerte die Pause länger. »Wollen Sie sagen, daß Sie davon auch nichts wissen?«
»Wenn ich davon wüßte, Alex, würde ich wohl nicht fragen«, gab sie ungeduldig zurück.
»Wir wissen von vier Fällen, wenn auch nicht in Einzelheiten, nur, daß alle Verstorbenen Hexin W genommen haben und an unterschiedlichen Infektionen gestorben sind.« Stowe unterbrach sich, und als er weitersprach, klang seine Stimme beherrscht. »Celia, ich möchte Ihnen raten, und halten Sie mich bitte nicht für anmaßend, da es ja schließlich um Ihre Firma geht, sich unbedingt mit Dr. Lord zu unterhalten.«
»Das wird wohl nötig sein.«
»Vince weiß von den Todesfällen - von denen bei uns und auch von den anderen -, wir haben darüber gesprochen. Außerdem wird er über die Einzelheiten unterrichtet sein und die FDA informiert haben.« Wieder ein kurzes Zögern. »Ich hoffe jedenfalls, daß er die FDA informiert hat.«
»Alex«, sagte Celia, »ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie es mir gesagt haben.«
»Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie irgendwelche Informationen benötigen oder wenn ich Ihnen sonst irgendwie behilflich sein kann. Der eigentliche Grund meines Anrufs aber war, Ihnen zu sagen, wie leid es mir tut, daß wir von dem Vertrag zurücktreten mußten. Ich hoffe, daß es ein andermal besser klappt.«
Celia war mit ihren Gedanken schon woanders. »Vielen Dank, Alex. Das hoffe ich auch«, sagte sie automatisch.
Sie wollte sich gerade mit Vincent Lord verbinden lassen, überlegte es sich dann aber anders. Sie würde persönlich zu ihm gehen. Und zwar auf der Stelle.
Die erste Meldung von einem Todesfall, bei dem Hexin W eine Rolle spielte, traf zwei Monate nach Einführung des Medikaments bei Felding-Roth ein. Sie war, wie üblich, an Dr. Lord gegangen. Gleich nachdem er den Bericht gelesen hatte, verbannte er ihn aus seinen Gedanken.
Der Bericht stammte von einem Arzt aus Tampa, Florida, und besagte, daß der Verstorbene Hexin W in Kombination mit ei-nem anderen Medikament genommen hatte und an Fieber und einer Infektion gestorben war. Lord zog daraus den Schluß, daß der Tod in keinem Zusammenhang mit Hexin W stehen könne. Allerdings gab er den Bericht nicht wie üblich in die Ablage, sondern verschloß ihn in einem Ordner in seiner Schreibtischschublade.
Der zweite Bericht traf zwei Wochen später ein. Er kam von einem Felding-Roth-Vertreter nach einem Gespräch mit einem Arzt in Southfield, Michigan. Er hatte alle Informationen, die er bekommen hatte, sorgfältig aufgeführt.
Berichte über Nebenwirkungen von Medikamenten, auch nachteiliger Art, gelangten von verschiedenen Seiten zu den pharmazeutischen Firmen. Manchmal schrieben die Ärzte direkt an die Firma. Ein anderes Mal handelte es sich um routinemäßige Mitteilungen aus Krankenhäusern. Verantwortungsbewußte Apotheker reichten ebenfalls weiter, was sie erfuhren. Gelegentlich meldeten sich auch die Patienten selbst. Außerdem hatten die Pharma-Vertreter und -Vertreterinnen die Anweisung, alles, was sie über die Wirkung eines Präparats in Erfahrung bringen konnten, zu melden, wie banal es ihnen auch erscheinen mochte.
Jede pharmazeutische Firma sammelte solche Berichte und gab sie alle drei Monate an die FDA weiter. Dazu war sie gesetzlich verpflichtet.
Ein weiteres Gesetz forderte, daß jede schwerwiegende Reaktion auf ein Medikament innerhalb von fünfzehn Tagen nach Bekanntwerden mit dem Hinweis »Dringend« an die FDA weitergegeben werden mußte, auch wenn die Firma der Meinung war, daß ihr Medikament mit dem betreffenden Fall nichts zu tun hatte.
Der Bericht des Vertreters aus Southfield, den Lord ein zweites Mal las, legte dar, daß der Patient Hexin W und ein anderes an-tiarthritisches Medikament eingenommen hatte und kurz daraufhin an einer schweren Leberinfektion gestorben war. Das hatte eine Autopsie bestätigt.
Wieder entschied Lord, daß Hexin W unmöglich die Todesur-sache gewesen sein konnte. Er legte den Bericht zu dem anderen in den Ordner in seiner Schreibtischschublade.
Ein Monat verging, dann trafen gleichzeitig, aber unabhängig voneinander zwei weitere Berichte ein. Sie betrafen den Tod eines Mannes und einer Frau. In beiden Fällen hatten die Verstorbenen Hexin W in Kombination mit einem anderen Medikament eingenommen. Bei der Frau, die schon älter war, entwickelte sich am Fuß, den sie sich bei einem Unfall zu Hause verletzt hatte, eine schwere bakterielle Infektion. Der Fuß wurde amputiert, aber die Infektion breitete sich schnell weiter aus und führte schließlich zum Tod. Der Mann, der in einem schlechten Gesundheitszustand gewesen war, starb an einer schweren Gehirninfektion. Lord war verärgert. Warum mußte bei den beiden und ihren verdammten Krankheiten, an denen sie ohnehin gestorben wären, unbedingt Hexin W erwähnt werden, obwohl doch ganz eindeutig feststand, daß das Medikament in keinem der beiden Fälle verantwortlich gemacht werden konnte? Trotzdem - die sich häufenden Berichte wurden allmählich peinlich, begannen ihm Sorgen zu machen.
Inzwischen war sich Lord darüber im klaren, daß er die Gesetze verletzt hatte, als er die früheren Vorfälle nicht sofort der FDA meldete. Er befand sich jetzt in einer prekären Situation.
Wenn er die letzten Berichte an die FDA weiterleitete, konnte er die ersten nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Aber die waren nach der Fünfzehn-Tage-Frist längst überfällig, und wenn er sie jetzt nachreichte, würde man sowohl Felding-Roth als auch ihn selbst belangen. Voller Unbehagen dachte er an Dr. Gideon Mace, der wahrscheinlich in seinem Büro saß und auf eine solche Gelegenheit wartete.
Lord legte die beiden letzten Berichte zu den anderen. Schließlich war er der einzige, der davon wußte, beruhigte er sich. Alle Berichte waren einzeln eingetroffen. Die Absender wußten nichts voneinander.
Bis zu dem Zeitpunkt, als Alexander Stowe anrief, um den Vertrag zwischen Felding-Roth und Exeter& Stowe zu kündigen, hatte Lord zwölf Berichte gesammelt und lebte in ständiger Angst. Und dann erfuhr er, daß Stowe auf irgendeine Weise von vier dieser mit Hexin W in Verbindung gebrachten Todesfälle erfahren hatte. Lord sagte Stowe nicht, daß sich die tatsächliche Zahl auf zwölf belief; dazu kamen noch zwei weitere, von denen Lord noch gar nichts gehört hatte. Damit belief sich die Gesamtzahl der nunmehr bekannten Todesfälle bereits auf vierzehn.
Ein fünfzehnter Bericht traf an dem Tag ein, als Stowe mit Celia telefonierte. Inzwischen hatte Lord eine vage Idee, was der Grund für die Todesfälle gewesen sein könnte - jedenfalls für den überwiegenden Teil.