Aber was passierte, wenn sie es tat? Was würde aus den beteiligten werden? Lord und Mace würden vernichtet werden - ein Gedanke, der sie nicht sonderlich berührte. Was sie aber sehr wohl berührte, war das Bewußtsein, daß auch die Firma an den Rand des Abgrunds geraten würde, und nicht nur die Firma als Institution, sondern alle Firmenangehörigen: die Angestellten, die Führungskräfte, die Aktionäre, die Wissenschaftler. Nur sie selbst würde vielleicht gut dastehen, aber das war unwichtig.
Deshalb würde sie nicht »ihrem Gewissen folgen«. Sie würde nicht an die Öffentlichkeit gehen. Sie wußte, ohne lange darüber nachzudenken, daß auch sie den Mund halten würde, daß sie sich an der Korruption beteiligen würde. Sie hatte keine andere Wahl. Lord wußte es. Auf seinen schmalen Lippen lag ein geisterhaftes Lächeln.
Sie verabscheute ihn. Haßte ihn mehr als irgend jemanden in ihrem Leben.
Er hatte sich selbst korrumpiert, hatte Mace korrumpiert. Sam korrumpiert. Jetzt hatte er auch sie korrumpiert.
Sie stand auf. Ihre Gefühle entluden sich in einem fast zusammenhanglosen Schrei: »Machen Sie, daß Sie mir aus den Augen kommen! Gehen Sie!«
Und er ging.
Andrew, der ein Londoner Krankenhaus besucht hatte, kehrte eine Stunde später zurück.
»Es ist etwas passiert«, sagte Celia. »Ich muß übermorgen sofort nach der Party zurückfliegen. Wenn du noch ein paar Tage bleiben möchtest . . .«
»Wir fliegen gemeinsam«, sagte Andrew und fügte beruhigend hinzu: »Ich erledige das. Du hast genug anderes im Kopf.«
Etwas später berichtete er: Die Concorde nach New York war für Donnerstag ausgebucht. Aber er hatte zwei Erster-Klasse-Plätze auf einer Maschine der British Airways bekommen. Sie würden am Donnerstagnachmittag in New York eintreffen und von dort aus gleich nach Morristown weiterfahren.
21
Yvonne konnte es kaum glauben. Befand sie sich wirklich im Buckingham-Palast? War das wirklich sie, die mit den anderen, deren Partner oder Eltern die gleichen Ehren empfingen, im State Ballroom saß - alle aufgeregt, je nach Temperament, und in Erwartung der Königin? Oder war das alles nur ein Traum?
Wenn es ein Traum war, dann war er wunderbar. Und dazu die Musik, die die Regimentskapelle der Coldstream Guards auf der Galerie über ihnen spielte: Early OneMorning.
Aber nein, es war kein Traum. Denn sie war mit Martin, der jetzt in einer Vorhalle auf die Zeremonie wartete, hergekommen. Martin hatte schon alles geprobt - mit einem Oberst in Paradeuniform.
Plötzlich eine Pause, die Musik brach ab. Alles erstarrte. Oben auf der Galerie hob der Kapellmeister den Taktstock und wartete auf ein Zeichen. Diener in Livree öffneten die Doppeltüren, und dann erschien die Königin.
Die Uniformierten standen stramm. Die Gäste hatten sich erhoben. Die Nationalhymne erklang.
Die Königin, im türkisfarbenen Seidenkleid, lächelte. Sie bewegte sich auf die Mitte des Ballsaals zu. Pflichtgemäß folgten ihr Lord Chamberlain und der Home Secretary. Die Zeremonie begann. Die Kapelle spielte gedämpft einen Walzer von Strauß.
Alles ging würdevoll und rasch vonstatten; es war ein Augen- blick, den keiner der Anwesenden je vergessen würde.
Yvonne speicherte jede Einzelheit in ihrem Gedächtnis. Martin war gleich nach einem Knight Commander of St. Michael and St. George an der Reihe. Gemäß den Anweisungen betrat Martin den Saal, machte drei Schritte nach vorn, verbeugte sich . . . schritt zu einem Schemel, um niederzuknien . . . rechtes Knie auf dem Schemel, linker Fuß am Boden . . . während Martin vor ihr kniete, reichte ein Oberstallmeister der Königin das Schwert, und sie berührte damit Martins Schultern, rechts und links. Martin stand auf . . . machte einen halben Schritt nach rechts, einen Schritt nach vorn . . . und während er mit leicht gebeugtem Kopf dastand, legte ihm die Königin ein goldenes Medaillon an einem rot-goldenen Band um den Hals.
Die Königin wechselte mit jedem ein paar Worte. Mit Martin sprach sie, wie Yvonne fand, länger als mit den anderen. Dann machte Martin drei Schritte rückwärts und eine Verbeugung -und war wieder verschwunden.
Ein paar Minuten später kam er zu Yvonne und setzte sich neben sie. »Was hat die Queen gesagt?« flüsterte sie.
Er lächelte und flüsterte zurück: »Die Queen ist gut informiert.«
Später würde Yvonne alles ganz genau erfahren, jedes Wort, das die Queen gesprochen hatte!
Allerdings war sie ein wenig enttäuscht, daß sie weder den Prinzen noch die Prinzessin von Wales gesehen hatte. Sie hatte sich vorher erkundigt und erfahren, daß sie sich wahrscheinlich gar nicht im Palast aufhielten. Eines Tages aber würde es schon noch dazu kommen - jetzt, da sie mit Martin verheiratet war, schien alles möglich.
Das einzige, woran sie sich nur schwer gewöhnen konnte, war, daß die Leute in Harlow und Cambridge sie nun mit »my lady« anredeten, auch der Pförtner im Lucy Cavendish College. Sie bat ihn, es nicht zu tun, aber er ließ es sich nicht nehmen. Mit der Zeit würde sie sich schon noch daran gewöhnen - wie an so vieles. Nicht mehr lange, dachte Yvonne belustigt, und die Bauern würden nach Lady Peat-Smith, der Tierärztin, rufen lassen, damit sie sich um ihre Schweine und Kühe kümmerte.
Der Empfang und die Party, die Celia und Andrew im DorschesterHotel für Sir Martin und Lady Peat-Smith gaben, war ein großer Erfolg. Er dauerte vom Nachmittag bis zum Abend, und es kamen fast hundert Gäste, auch die meisten leitenden Angestellten des Harlower Instituts. Rao Sastri war da, in Begleitung von Li-lian, und sie schienen guter Dinge. Celia sah, wie sie mehrmals die Köpfe zusammensteckten. Celia wußte, daß Rao alleinstehend war; nach Auskunft von Martin war er nie verheiratet gewesen.
Yvonne sah hübsch aus. Sie strahlte. Sie hatte abgenommen und vertraute Celia an, daß Martin ihr endlich erlaubt hatte, Pep-tid 7 zu nehmen.
Während der Party sagte Celia leise zu Martin: »Andrew und ich fliegen morgen früh zurück. Wenn hier alles vorbei ist, würde ich mich freuen, wenn wir vier ein paar Minuten unter uns sein könnten.«
Es war schon dunkel, als Celia, Andrew, Martin und Yvonne das kurze Stück vom Dorchester zum Fortyseven Park gingen. Es war ein kalter Februartag, klar und belebend.
Jetzt saßen sie entspannt in dem gemütlichen Apartment der Jordans.
»Martin«, sagte Celia, »ich komme gleich zur Sache; es war ein anstrengender Tag heute, und ich glaube, daß wir alle recht müde sind. Wie Sie wissen, baut Felding-Roth eine Forschungsanlage für Gentechnik. Sie wird in New Jersey liegen, nicht weit von unserer neuen Geschäftszentrale in Morristown entfernt, und die Labors werden mit allem ausgestattet sein, was sich ein Wissenschaftler nur wünschen kann.«
»Ich habe schon davon gehört«, sagte Martin. »Man spricht bereits davon, wie phantastisch alles sein wird.«
»Worauf ich hinaus will«, fuhr Celia fort, »ist: Wollen Sie und Yvonne in die Vereinigten Staaten kommen, und würden Sie die Leitung unserer Genforschung übernehmen? Ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, daß Sie gänzlich freie Hand haben werden und alles tun können, was Sie wollen.«
Nach einer kurzen Pause sagte Martin: »Das ist ein wunderbares Angebot, Celia, und ich bin Ihnen sehr dankbar. Aber meine Antwort lautet nein.«
»Sie brauchen mir die Antwort nicht sofort zu geben«, sagte Celia eindringlich. »Denken Sie in aller Ruhe darüber nach. Und sprechen Sie mit Yvonne.«
»Die Antwort ist endgültig, fürchte ich«, sagte Martin. »Denn ich muß Ihnen auch etwas erzählen. Ich hätte es lieber zu einem anderen Zeitpunkt getan, aber: Ich kündige bei Felding-Roth.«
Celia war entsetzt. »Das darf nicht wahr sein.« Dann sah sie ihn scharf an. »Gehen Sie zu einer anderen pharmazeutischen Firma? Hat Ihnen jemand ein besseres Angebot gemacht?«