Martin schüttelte den Kopf. »Das würde ich Ihnen nicht antun. Jedenfalls nicht, ohne vorher mit Ihnen gesprochen zu haben. Nein, ich werde zu meiner alten Liebe zurückkehren.«
»Er meint Cambridge, nicht eine andere Frau«, sagte Yvonne. »Wir werden dort leben. Sein Herz gehört der Universität.«
Die Nachricht kam für sie völlig überraschend, aber instinktiv wußte sie, daß es keinen Sinn hatte, Martin zu überreden, und daher versuchte sie es erst gar nicht. Cambridge hatte gerufen, und er hatte wie eine Taube reagiert, die nach Hause fliegt. An einem sonnendurchfluteten Sonntag vor dreizehn Jahren hatte sie einen Sieg über die Universität errungen. Es hatte sich in jeder Hinsicht gelohnt. Aber die Räder der Zeit drehten sich weiter, und jetzt hatte Cambridge gewonnen und Celia und Felding-Roth waren die Verlierer.
Andrew wandte sich an Martin. »Ich habe mir immer gedacht, daß die Universität Sie eines Tages zurückholen würde. Werden Sie Institutsleiter? Ich habe gelesen, daß es ein paar freie Stellen gibt.«
»Ja«, erklärte Martin, »aber nicht für mich. Mit sechsundvierzig bin ich noch zu jung. Vielleicht wenn ich mal älter, berühmter bin . . .«
»Großer Gott!« rief Celia. »Wie berühmt müssen Sie denn noch werden? Sie haben einen wichtigen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt, werden in der ganzen Welt mit Ehren überschüttet, zum Ritter geschlagen.«
»Martin lächelte. »All dies hat Cambridge schon oft erlebt. Die Universität läßt sich nicht so leicht beeindrucken. Nein, ich werde an dem >neuen Blutprogramm< mitarbeiten.«
Das war, erklärte Martin, ein von der Regierung gefördertes Programm, und er würde einen der wissenschaftlichen Forschungsbereiche leiten. Die Bezahlung sei, wie üblich, nicht besonders hoch - am Anfang nicht einmal zehntausend Pfund im Jahr. Aber ihr Einkommen sei durch Martins beträchtliche Einkünfte aus Peptid 7 trotzdem gesichert, und bestimmt würde er auch einen Teil davon dafür verwenden, die Spendengelder für seine Abteilung aufzustocken.
Ein paar Monate zuvor hatten die Finanzleute und Rechtsanwälte von Felding-Roth in New Jersey für Martin ein finanzielles Arrangement ausgearbeitet, das von Celia und später auch vom Aufsichtsrat akzeptiert worden war.
Nach britischem Gesetz - dem Patents Act von 1977 - hätte Martin vor Gericht gehen und für seine Peptid-7-Entdeckung eine Vergütung beantragen können, aber das wollte er genausowenig wie Felding-Roth. Daher war auf den Bahamas ein Fonds von zwei Millionen Pfund bereitgestellt worden, aus dem Martin regelmäßig Geld zufloß. Der Fonds wurde, im Rahmen der Legalität, so angelegt, daß er vor dem Zugriff des britischen Steuersystems sicher war und, wie Celia es ausdrückte, »Martin nicht seiner gerechten Belohnung beraubt« wurde.
Diese gerechte Belohnung, dachte sie jetzt voller Bedauern, hatte ihm den Weg zurück nach Cambridge geebnet. Aber sie wußte, daß sich Martin auch ohne das Geld von Peptid 7 so entschieden hätte.
Bevor Martin und Yvonne sich verabschiedeten, sagte Celia: »Felding-Roth wird Sie beide vermissen, aber ich hoffe, daß wir vier immer gute Freunde bleiben.«
Das versprachen sie sich gegenseitig.
Bevor Celia und Andrew abreisten, wurde noch eine andere Angelegenheit geregelt.
Ein paar Stunden, nachdem Martin und Yvonne gegangen waren und die Jordans gerade schlafen gehen wollten, klopfte es an die Tür ihres Apartments. Es war Lilian Hawthorne.
Andrew spürte, daß Lilian mit Celia allein sein wollte, und zog sich zurück.
»Ich bin froh, daß Sie mich überredet haben, mit nach England zu kommen«, sagte Lilian. »Sie haben sicher bemerkt, daß es eine schöne Zeit für mich war.«
»Ja«, sagte Celia lächelnd, »und Rao scheint es auch gefallen zu haben.«
»Rao und ich haben entdeckt, daß wir uns mögen - vielleicht sogar mehr als das.« Lilian zögerte. »Ich nehme an, Sie denken jetzt, daß ich eine alte Närrin bin . . .«
»Ich denke nichts dergleichen. Ich meine, daß es an der Zeit ist, daß Sie sich das Leben wieder ein wenig schön machen, Lilian, ein bißchen Spaß am Leben haben. Und zwar so, wie es Ihnen gefällt, und wenn das Rao Sastri mit einschließt - dann finde ich das wunderschön.«
»Ich bin froh, daß Sie so denken, denn ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«
»Alles, was in meiner Macht steht«, sagte Celia.
»Also - Rao würde gern nach Amerika kommen. Er sagt, daß er das schon lange vorhat. Und ich möchte es auch gern, und wenn er vielleicht bei Felding-Roth Arbeit finden könnte . . .«
Sie beendete den Satz nicht.
Celia tat es für sie: »Dann käme es Ihnen beiden sehr gelegen.«
Lilian lächelte. »Ja, so ungefähr.«
»Ich bin sicher«, sagte Celia, »daß wir in dem neuen Genlabor etwas für ihn finden. Sie können Rao sagen, daß er sich darauf verlassen kann.«
Lilian strahlte. »Vielen Dank, Celia. Darüber wird er sich freuen. Er hatte es gehofft. Natürlich weiß er, daß er an jemanden wie Martin nicht heranreicht, daß er keine Führungsqualitäten besitzt. Aber er ist ein guter Wissenschaftler - «
»Ich weiß - und das macht alles ganz leicht«, sagte Celia. »Aber selbst wenn es nicht so wäre, hätte ich ihm geholfen. Sie haben mir vor Jahren einmal einen großen Gefallen getan, Lilian, und jetzt kann ich mich dafür ein bißchen revanchieren.«
Lilian lachte. »Sie meinen damals, als wir uns kennenlernten? Als Sie zu uns nach Hause kamen - so jung, so ungestüm - und hofften, daß ich Ihnen dabei behilflich sein könnte, Pharma-Ver-treterin zu werden, indem ich Sam beeinflußte?«
Von den Erinnerungen an Sam überwältigt, versagte ihr die Stimme.
Epilog
In der Ersten Klasse der 747 war der Lunch beendet, das Geschirr wieder abgeräumt. Andrew, der seinen Platz kurz verlassen hatte, kam zurück.
»Ich mußte da drin gerade daran denken«, sagte er zu Celia und deutete in Richtung der Toiletten, »daß wir heute so viele Dinge als selbstverständlich hinnehmen. Als Lindbergh zum ersten Mal den Atlantik überquerte, mußte er in eine Flasche urinieren.«
Celia lachte. »Ich bin froh, daß sich wenigstens das geändert hat.« Sie sah ihren Mann fragend an. »Ist das alles? Ich habe das Gefühl, daß eine Philosophie dahintersteckt.«
»Völlig richtig. Ich habe über euch - die Pharma-Industrie -nachgedacht. Und da sind mir ein, zwei Dinge eingefallen, die dich vielleicht ein bißchen aufmuntern.«
»Das kann ich gut gebrauchen.«
»Leute wie du, die unter ständigem Streß stehen, sind so tief in ihre Arbeit verstrickt, daß sie manchmal - und ich glaube, dir geht es zur Zeit so - dazu neigen, alles schwarz und voller Wolken zu sehen, aber keinen Regenbogen.«
»Könntest du mir vielleicht ein paar Regenbögen zeigen?«
»Einen hast du mir vor langer Zeit gebracht, mit Lotromycin. Das gibt es heute noch, und es ist noch immer ein gutes Medikament wie damals, als ich es zum ersten Mal angewendet habe -es ist wirksam und kann Leben retten. Natürlich spricht heute niemand mehr von Lotromycin; man hat sich daran gewöhnt. Aber zähl es zu den vielen anderen hinzu, und du hast - seit den fünfziger Jahren - ein ganzes Füllhorn von Medikamenten, so viele, daß man von einer Revolution in der Medizin sprechen kann. Ich habe es miterleben dürfen, aus nächster Nähe.«
Andrew überlegte, dann fuhr er fort: »Als ich sieben Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs mein Examen machte, konnten wir die meiste Zeit nichts anderes tun, als die Kranken moralisch zu unterstützen, konnten nur abwarten und hoffen. Es waren so viele Krankheiten, gegen die wir noch keine Waffe besaßen, es war frustrierend. Heute ist das nicht mehr so. Wir Ärzte haben ein ganzes Arsenal von Medikamenten, mit denen wir kämpfen und heilen können. Und wir verdanken sie euch, der Pharma-Industrie.«