Aber das große unbewohnte und vernachlässigte Haus im Kolonialstil mit weißem Gebälk erschreckte Andrew. »Diese heruntergekommene Scheune ist nichts für uns, Celia!« protestierte er. »Und selbst wenn wir es aufmöbeln, was fast unmöglich erscheint - sag mir bitte, was wir mit fünf Schlafzimmern anfangen sollen!«
»Eins für uns«, erklärte seine Frau geduldig, »eins für jedes der beiden Kinder; und wenn sie erst mal da sind, werden wir jeman-den brauchen, der im Haus wohnt, das wäre also noch mal eins.« Das fünfte Schlafzimmer sollte für Gäste sein. »Meine Mutter wird uns gelegentlich besuchen, und deine vielleicht auch.«
Celia stellte sich auch »ein gemütliches Arbeitszimmer« vor, »das wir uns teilen könnten, damit wir zusammen sind, wenn wir Arbeit mit nach Hause bringen.«
Obwohl Andrew nicht die Absicht hatte, eine derart unpraktische Idee zu unterstützen, lachte er. »Du planst wirklich weit voraus.«
»Wir wollen doch beide verhindern, daß wir alle paar Jahre umziehen müssen, nur weil wir immer mehr Platz brauchen und nicht vorausgeplant haben«, gab Celia zu bedenken. Sie sah sich um und ließ ihren Blick über den mit Spinnweben bedeckten, vor Schmutz starrenden Flur des Hauses schweifen, in dem sie an einem Sonntagnachmittag im Januar standen, während fahles Licht durch die schmutzigen Fenster fiel. »Dieses Haus muß nur geputzt, neu gestrichen und eingerichtet werden, dann ist es wunderschön - ein Zuhause, das wir nur verlassen werden, wenn wir unbedingt müssen.«
»Ich verlasse es augenblicklich«, sagte Andrew. »Was dieses Haus am meisten benötigt, ist ein Bulldozer.« Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Du hattest bisher in vielen Dingen recht, diesmal aber nicht.«
Celia gab nicht auf. Sie schlang die Arme um Andrew und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuß zu geben. »Ich glaube trotzdem, daß ich recht habe. Laß uns nach Hause gehen und noch mal darüber reden.« Ein paar Stunden später willigte Andrew zögernd ein, und bereits am nächsten Tag handelte Celia einen Preis aus, machte den Kauf perfekt und nahm eine Hypothek auf. Die Anzahlung bereitete keine Schwierigkeiten, denn sie hatten beide in den vergangenen Jahren etwas gespart und verdienten auch jetzt nicht schlecht.
Ende April zogen sie ein, und Andrew mußte zugeben, daß er sich in dem Haus getäuscht hatte. »Es gefällt mir schon jetzt«, sagte er gleich am ersten Tag. »Vielleicht werde ich es eines Tages richtig gern haben.« Die Renovierung hatte weniger gekostet als befürchtet, und das Ergebnis war beeindruckend.
Es war für beide eine glückliche Zeit, nicht zuletzt deshalb, weil Celia inzwischen im fünften Monat schwanger war.
6
Die Geburt ihres ersten Kindes verlief - wie Andrew seinen Kollegen im Krankenhaus gern erzählte - »genau nach Celias Plan«.
Im August 1958, neun Monate und eine Woche nach ihrer Hochzeit, kam ein gesundes, siebeneinhalb Pfund schweres Mädchen zur Welt, ein zufriedenes Baby, das fast nie schrie. Sie nannten es Lisa. Schon während der Schwangerschaft hatte Celia, was den Verlauf der Geburt betraf, so feste Vorstellungen gehabt, daß es bald zu einem Zusammenstoß mit ihrem Arzt, Dr. Paul Keating, kam, einem von Andrews Kollegen im St. Bede's Hospital. Keating, ein etwas umständlicher Mann mittleren Alters, konnte es sich eines Tages nicht verkneifen, zu Andrew zu sagen:
»Ihre Frau ist wirklich ganz unmöglich.«
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Andrew verständnisvoll. »Aber das macht das Leben interessant. Merkwürdig ist nur, daß Dinge, die für andere Leute unmöglich erscheinen, für Celia überhaupt kein Problem darstellen.«
Ein oder zwei Tage zuvor hatte Celia zu Dr. Keating gesagt: »Ich beschäftige mich mit der natürlichen Geburt und habe auch schon mit den notwendigen Übungen begonnen.« Als der Arzt nachsichtig lächelte, fügte sie hinzu: »Ich möchte bei den Wehen aktiv mithelfen, den Augenblick der Geburt bewußt miterleben. Das heißt, daß ich keine Narkose benötige. Und einen Dammschnitt möchte ich auch nicht.«
Keatings Lächeln verschwand, er runzelte die Stirn. »Meine liebe Mrs. Jordan, diese beiden Entscheidungen muß Ihr Geburtshelfer während der Entbindung treffen.«
»Das finde ich aber nicht«, sagte Celia ruhig. »In diesem Fall wird man mich wahrscheinlich in einem Augenblick, wenn ich gerade nicht in bester Verfassung bin, überstimmen.«
»Und wenn ein Notfall eintritt?«
»Das ist etwas völlig anderes. In dem Fall müßten Sie die Situation beurteilen und tun, was nötig ist. Allerdings müßten Sie hinterher mich und auch Andrew davon überzeugen, daß es sich tatsächlich um einen Notfall gehandelt hat.«
Dr. Keating brummte etwas vor sich hin, dann sagte er: »Und was die Episiotomie betrifft, so soll durch den Dammschnitt direkt vor der Geburt verhindert werden, daß ein Riß entsteht, wenn der Kopf des Babys durchtritt - ein Riß, der sehr schmerzhaft ist und nicht so gut heilt wie ein sauberer chirurgischer Schnitt.«
»O doch, das ist mir schon klar«, sagte Celia. »Aber ich bin überzeugt, daß auch Sie sich darüber im klaren sind, wie sehr die Zahl der Ärzte und Hebammen zunimmt, die mit dieser Ansicht nicht übereinstimmen.«
Celia kümmerte sich nicht um die wachsende Mißbilligung des Arztes und fügte hinzu: »Es gibt eine ganze Menge Berichte darüber, daß solche Risse schneller verheilt sind als Dammschnitte, bei denen Infektionen oder monatelange Schmerzen auftraten.«
Dr. Keating betrachtete sie mürrisch. »Sie scheinen auf alles eine Antwort zu haben.«
»Durchaus nicht«, versicherte Celia. »Aber es handelt sich hier schließlich um meinen Körper und mein Baby.«
»Da wir schon von Ihrem Körper reden«, reagierte der Arzt gereizt, »möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß durch das spätere Vernähen die Festigkeit der Vagina erhalten bleibt, auch wenn das nicht der Zweck einer Episiotomie ist.«
»Ja, natürlich«, bestätigte Celia. »Ich bin mir im klaren, daß die Scheidenfestigkeit dem erhöhten Genuß meines Partners dient. Und da ich von meinem Mann in dieser Hinsicht keine Klagen hören möchte, Doktor, werde ich, sobald das Baby da ist, mit Übungen beginnen, die die Beckenmuskeln stärken.«
Kurz darauf wechselte Celia im beiderseitigen Einverständnis den Arzt und wurde die Patientin von Dr. Eunice Nashman, der zwar älter als Dr. Keating, aber jung genug geblieben war, um viele von Celias Ideen zu teilen.
»Ihre Frau ist wirklich bemerkenswert«, vertraute Eunice Nashman Andrew nach Lisas Geburt an. »Es gab Augenblicke, in denen sie wirklich große Schmerzen hatte und ich sie fragte, ob sie ihre Meinung über die Narkose ändern wolle.«
Andrew, der vorgehabt hatte, bei der Geburt dabeizusein, aber dringend zu einem seiner Patienten gerufen worden war, fragte neugierig: »Und was hat sie gesagt?«
»Sie sagte nur: >Nein, aber wenn mich bitte jemand festhalten könnte.< Und da hat eine der Schwestern den Arm um Ihre Frau gelegt und ihr Mut zugesprochen, und mehr brauchte sie nicht. Und nachdem Ihre Tochter geboren ist, haben wir ihr das Baby nicht weggenommen, wie es üblich ist, sondern haben es bei ihr gelassen, und die beiden waren zusammen so friedlich, daß es wunderbar anzusehen war.«
Wie Celia es von Anfang an vorgehabt hatte, ließ sie sich ein Jahr lang von ihrer Arbeit beurlauben, um sich voll und ganz ihrer Tochter Lisa zu widmen. Sie nutzte diese Zeit auch, um die Einrichtung des Hauses in Convent Station zu vervollkommnen, das alle ihre Erwartungen erfüllte. »Ich mag es wirklich gern«, erklärte auch Andrew eines Tages.
Die ganze Zeit aber blieb Celia mit Felding-Roth in Kontakt. Sam Hawthorne war inzwischen weiter aufgestiegen und zum Verkaufsleiter für den Inlandsbereich ernannt worden. Er hatte Celia einen guten Posten versprochen, wenn sie bereit wäre, zur Firma zurückzukommen.
Es war ein erfolgreiches Jahr für Felding-Roth Pharmaceuti-cals. Einige Monate, nachdem Dr. Andrew Jordan das Lotromy-cin angewendet und einen so durchschlagenden Erfolg erzielt hatte, gab die Food and Drug Administration das Mittel zum Verkauf frei. Lotromycin war auch weiterhin erfolgreich, erntete weltweites Lob und gehörte zu den einträglichsten Produkten in der Firmengeschichte. Celias Beitrag zu dem erfolgreichen Einsatz von Lotromycin veranlaßte die Firmenleitung, Sam Haw-thornes Wunsch nach ihrer Rückkehr zu unterstützen.