In Großbritannien hatte Prinzessin Margaret, die Schwester der Königin, durch die Eheschließung mit Antony Armstrong-Jones, einem Berufsfotografen, Anlaß zu Klatsch und Tratsch gegeben. Man fragte sich, ob diese Heirat das Ansehen des Throns schmälern würde. Andrew glaubte nicht daran.
Nach dem Essen hörten sie sich eine neue Schallplatte von Elvis Presley an - Fame andFortune, eine Pop-Ballade. Presley hatte nach einjährigem Dienst in der US Army seine Karriere wiederaufgenommen, und die Abwesenheit hatte seiner Popularität nichts anhaben können. Den Frauen gefiel Fame and Fortune. Den Männern nicht.
Beim Brandy in dem geräumigen, geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer der Hawthornes griff dann Sam das Thema auf, das ihnen allen im Kopf herumging.
Er beantwortete Celias Frage, indem er sagte: »Als ich nach Ihnen auf das Podium stieg, konnte ich vielleicht nur nicht widerstehen, an dieser dramatischen Szene meinen Anteil zu haben.«
»Sie wissen, daß es mehr war als das«, widersprach sie.
»Das wissen wir alle«, warf Andrew ein. Er lehnte sich in seinem bequemen Sessel zurück und genoß den Brandy; er hatte in seiner Praxis, die sich immer mehr ausweitete, einen arbeitsreichen Tag mit vielen Patienten hinter sich und war müde. »Sie haben alles aufs Spiel gesetzt, Sam - viel, viel mehr als Celia.«
»Natürlich bin ich dankbar . . .« begann Celia, aber Sam unterbrach sie.
»Das brauchen Sie nicht. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen - ich hatte das Gefühl, einer Prüfung unterzogen zu werden.« Er wandte sich jetzt an Andrew. »Ihre Frau hatte bereits demonstriert, daß sie mehr Verstand besitzt und größeren Respekt vor der Wahrheit hat als jeder der im Saal Anwesenden. Ich wollte nicht unter ihr Niveau sinken.« Sam lächelte Celia an. »Vor allem nicht, weil Sie mir bei Felding-Roth auf der Leiter nach oben folgen wollen.«
»Das wissen Sie?«
»Ich habe es ihm gesagt«, gestand Lilian Hawthorne ein. »Es tut mir leid, wenn ich Ihr Vertrauen mißbraucht habe, Celia, aber Sam und ich haben keine Geheimnisse voreinander.«
»Aber ich habe ein Geheimnis«, sagte Sam, »es betrifft Celia.« Als die anderen ihn neugierig ansahen, fuhr er fort: »Sie wird nicht mehr als Vertreterin tätig sein.«
Andrew stieß ein kurzes Lachen aus. »Sie werfen Sie also doch raus?«
»Nein. Wir befördern sie. Unsere Firma wird eine Abteilung für Verkaufstraining einrichten, genau wie Celia es vorgeschlagen hat. Und sie soll helfen, sie aufzubauen - als stellvertretende Leiterin.«
»Bravo!« Lilian hob ihr Glas. »Die Männer haben also doch Verstand gezeigt. Darauf möchte ich trinken.«
»Wenn alles gerecht zugegangen wäre«, sagte Sam, »hätte Ce-lia die Leitung übernehmen müssen. Aber für manche in der Firma wäre das einfach zuviel. Für den Augenblick. Übrigens wird es morgen bekanntgegeben.«
Andrew stand auf und ging durchs Zimmer, um Celia einen Kuß zu geben. »Ich freue mich für dich, Liebling. Du hast es verdient.«
»Also«, meinte Celia, »ich kann nicht sagen, daß ich darüber böse bin. Ich danke Ihnen, Sam, und ich gebe mich mit der >Stell-vertreterin< zufrieden.« Und mit einem Lächeln fügte sie hinzu: »Für den Augenblick.«
Sie wurden von zwei kleinen Gestalten in Schlafanzügen unterbrochen, die kreischend ins Wohnzimmer gelaufen kamen. Voran Lisa, die Andrew und Celia mitgebracht hatten, und die jetzt zwanzig Monate alt war. Sie war quietschvergnügt und neugierig, obwohl sie schon längst hätte im Bett liegen und schlafen sollen. Hinter ihr kam Juliet, das vierjährige einzige Kind der Hawthornes. Lilian hatte Celia vor einiger Zeit anvertraut, daß sie keine weiteren Kinder würde bekommen können, und daher überschütteten sie und Sam die Tochter, die aufgeweckt, intelligent und anscheinend nicht verzogen war, mit ihrer ganzen Liebe. Die beiden kleinen Mädchen waren völlig überdreht.
Lisa stürzte sich in die Arme ihres Vaters. Kichernd berichtete sie Andrew: »Julie mich jagen.«
Lilian stand auf. »Ich werde euch beide auch gleich jagen. Und zwar zurück ins Bett.« Unter Gelächter und Geschrei verschwanden die drei in Juliets Schlafzimmer.
Als Lilian zurückkam, sagte Celia: »Übrigens - ich werde mich von dem neuen Job schon bald beurlauben lassen müssen, Sam. Ich glaube, ich bin wieder schwanger.«
»Das ist ja eine Nacht voller Offenbarungen«, sagte Lilian. »Zum Glück haben wir noch was zu trinken. Darauf müssen wir anstoßen.« In ihrer Stimme glaubte Celia eine Spur von Neid zu entdecken.
8
Bis Ende 1960 und auch noch Anfang 1961 war Celia damit be-schäftigt, die Vertreter von Felding-Roth in der Praxis des Arzneimittelverkaufs zu unterweisen. Ihr neuer Chef, der Abteilungsleiter für Verkaufstraining, war Teddy Upshaw, früher Generalvertreter von Kansas City. Als sie einander vorgestellt wurden, erkannte Celia ihn sofort wieder. Er war damals, als sie von der Verkaufstagung im Waldorf ausgeschlossen werden sollte, eine der sympathischen Erscheinungen gewesen.
Upshaw, klein, dynamisch und wendig, war Ende Vierzig und hatte die Angewohnheit, sehr schnell zu sprechen; er hatte während seines ganzen Berufslebens nie etwas anderes getan, als Arzneimittel zu verkaufen. Er strahlte Energie aus, war immer in Eile und nickte bei der Unterhaltung ständig mit seinem kleinen runden Kopf. Bevor er in die Geschäftsleitung berufen wurde, war Upshaw der Topverkäufer der Firma gewesen, und er vertraute Celia an, daß er seinem Leben als Handelsreisender nachtrauere. Damals hatte er »frei atmen« können, wie er sich ausdrückte, und er fügte hinzu: »In unserem Geschäft braucht man keine faulen Tricks anzuwenden, um Erfolg zu haben, denn die meisten Arzte verstehen verdammt wenig von Arzneimitteln; und wenn man ehrlich ist und sie merken, daß sie einem vertrauen können, kann man soviel Geschäfte abschließen, wie man will. Nur eins darf man nicht vergessen: Man muß sie wie Götter behandeln. Das erwarten sie.«
Als Celia Andrew eines Nachts im Bett den Satz über die Götter zitierte, lachte er. »Einen netten Boß hast du. Vergiß nur nicht, deinen Doc auch zu Hause so zu behandeln.« Sie warf mit einem Kissen nach ihm, und dann balgten sie sich ein bißchen. Und am Ende schliefen sie miteinander. Danach strich Andrew über Ce-lias Bauch, der die Schwangerschaft schon erkennen ließ, und sagte: »Paß gut auf den kleinen Kerl auf, und vergiß nicht, daß es für dich, solange er da drin ist, keinerlei Arzneimittel gibt!«
Diese Vorsichtsmaßnahme hatte er schon vor Lisas Geburt verlangt, und Celia sagte: »Das ist dir wohl sehr wichtig?«
»Ja, das ist es.« Andrew gähnte erschöpft. »Und jetzt braucht dein Götter-Doktor ein bißchen Schlaf.«
Ein anderes Mal, als sich Celia mit Teddy Upshaw unterhielt, bezeichnete er »faule Verkaufstricks« als »dumm und unnötig«. Trotzdem kam so etwas, wie er zugab, im Pharma-Geschäft sehr häufig vor. »Glauben Sie nur nicht, daß wir die Vertreter davon abbringen können, Dinge von sich zu geben, die nicht stimmen, nicht einmal bei Felding-Roth. Aber wir können versuchen, ihnen zu zeigen, daß die andere Methode klüger ist.«
Upshaw stimmte mit Celia darin überein, daß ein Verkaufstraining notwendig war. Er selbst war für seine Arbeit so gut wie gar nicht ausgebildet worden und hatte sich seine wissenschaftlichen Kenntnisse - in erstaunlichem Umfang, wie sie entdeckte - im Laufe der Jahre selbst angeeignet.
Sie kamen gut miteinander aus und hatten schon bald eine Aufteilung der Pflichten vereinbart. Celia arbeitete Trainingsprogramme aus, eine Tätigkeit, die Upshaw haßte, und er führte sie in der Praxis durch, was ihm Spaß machte.
Eine von Celias Übungsszenen war eine fiktive Begegnung zwischen einem Vertreter und einem Arzt, wobei ersterer ein Fel-ding-Roth-Produkt präsentierte und letzterer harte, manchmal aggressive Fragen stellte. Gewöhnlich spielten Teddy, Celia oder ein anderer Mitarbeiter die Rolle des Arztes; gelegentlich konnte man aber auch mit Andrews Hilfe einen praktischen Arzt überreden, daran teilzunehmen, um das Ganze noch realistischer zu gestalten. Diese Sitzungen erwiesen sich als ungemein populär, sowohl bei den Teilnehmern als auch bei den Zuschauern.