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Dr. Vincent Lord, Leiter der Forschungsabteilung bei Felding-Roth, war ein schwieriger Mensch - unfreundlich und mit sich selbst im unreinen. Einer seiner Kollegen, ebenfalls Wissenschaftler, hatte einmal trocken bemerkt: »Vince benimmt sich, als würde seine Psyche pausenlos in einer Zentrifuge herumgeschleudert und als wüßte er nicht, wie sie da wieder herauskommen wird - oder wie er möchte, daß sie da wieder rauskommt.«

Eine solche Beurteilung war an sich paradox. Denn Dr. Lord hatte mit seinen sechsunddreißig Jahren bereits eine Stufe des Erfolgs erreicht, von der viele träumen, die aber nur wenige erreichen. Doch diese Tatsache bereitete ihm Sorgen, und er begann sich zu fragen, ob es darüber hinaus etwas gab. Und noch etwas ließ sich über Dr. Lord sagen: Wenn es in seinem Leben keine Enttäuschungen gegeben hätte, dann hätte er sie erfunden.

Eine seiner Enttäuschungen bestand darin, daß ihm von akademischer Seite nicht die Achtung zuteil wurde, die ihm, wie er glaubte, zustand - nur weil man über die Wissenschaftler in der pharmazeutischen Industrie die Nase rümpfte und sie ganz allgemein - wenn auch häufig zu Unrecht - als zweitklassig ansah.

Und doch war es Vincent Lords eigene freie Entscheidung gewesen, die Stelle als Assistenzprofessor an der University of Illinois aufzugeben und in die Industrie, zu Felding-Roth, zu gehen. Das war vor drei Jahren gewesen. Allerdings war dieser Entschluß damals stark von Frustration und Zorn bestimmt gewesen, die sich gegen die Universität richteten; der Zorn war auch jetzt noch lebendig - ein ätzendes Gefühl der Bitterkeit.

Manchmal fragte er sich, ob er nicht vielleicht doch voreilig und unklug gehandelt hatte, als er die akademische Laufbahn aufgab. Wäre er heute ein international anerkannter Wissenschaftler, wenn er seinerzeit dort geblieben oder an eine andere Universität gegangen wäre?

Alles hatte 1954, vor sechs Jahren also, begonnen.

Damals hatte Vincent Lord, Student an der University of Illinois, mit einer ausgezeichneten Arbeit über organische Chemie promoviert. Der Fachbereich Chemie in Champaign-Urbana galt als einer der besten auf der ganzen Welt, und Lord war ein brillanter Schüler gewesen.

Er sah aus, wie man sich einen Gelehrten vorstellt, mit einem schmalen, sensiblen, fein geschnittenen und auf gewisse Weise ansprechenden Gesicht. Weniger ansprechend war, daß er selten lächelte und häufig besorgt die Stirn runzelte. Durch jahrelanges intensives Lesen hatte er seine Augen überanstrengt und trug eine randlose Brille, durch die dunkelgrüne Augen - Lords auffälligstes Gesichtsmerkmal - wachsam, ja mißtrauisch blickten. Er war groß und schlank, letzteres, weil ihn Essen nicht sonderlich interessierte. Mahlzeiten waren für ihn reine Zeitverschwendung, und er aß überhaupt nur, weil sein Körper es verlangte. Frauen, die sensible Männer mochten, fanden Vincent Lord attraktiv. Männer schienen geteilter Meinung - entweder sie mochten ihn, oder sie fanden ihn abscheulich. Sein Fachgebiet waren die Steroide, einschließlich der männlichen und weiblichen Hormone - Testosteron, Östrogen, Progesteron -, die Fruchtbarkeit und Sexualverhalten beeinflussen; in den fünfziger Jahren, bei Einführung der »Pille«, wurde den Steroiden großes wissenschaftliches und kommerzielles Interesse zuteil.

Als nach seiner Promotion die Arbeit an den Steroid-Synthe-sen gut voranging, schien es Dr. Lord angebracht, ein zweijähriges Stipendium an der University of Illinois anzunehmen.

Die Universität zeigte sich kooperativ, eine Regierungsstelle stimmte schon bald der Finanzierung eines Forschungsvorhabens zu, und diese beiden Jahre brachten erfolgversprechende wissenschaftliche Resultate und nur geringfügige persönliche Probleme. Die Probleme bestanden im wesentlichen darin, daß Lord die Gewohnheit, ja fast die Obsession hatte, sich selbst über die Schulter zu schauen und zu fragen: Habe ich das Richtige getan?

Er grübelte, ob es ein Fehler gewesen war, »zu Hause«, an der University of Illinois, zu bleiben. Hätte er nicht besser nach Europa gehen sollen, wo man ihm eine abgerundete Ausbildung geboten hätte? Die - höchst überflüssigen - Fragen multiplizierten sich. Er wurde mißmutig und trübsinnig, ein Charakterzug, der ihn im Laufe der Zeit alle seine Freunde kosten sollte.

Andererseits aber besaß Vincent Lord eine hohe Meinung von seinen eigenen Fähigkeiten und seiner Arbeit, eine Meinung, die voll und ganz gerechtfertigt war. Daher überraschte es ihn nicht, als ihm die Universität am Ende seines zweijährigen Forschungsstipendiums eine Stelle als Assistenzprofessor anbot. Er akzeptierte. Wieder blieb er »zu Hause«. Wieder grübelte er während der ganzen Zeit über seine letzte Entscheidung nach, stellte immer wieder dieselben, quälenden Fragen.

Während seiner Tätigkeit als Assistenzprofessor wuchs Lords Ruf als Experte für Steroide über die Grenzen der University of Illinois hinaus. In weniger als vier Jahren veröffentlichte er fünfzehn wissenschaftliche Arbeiten, einige davon waren in angesehenen Fachzeitschriften, unter anderem im Journal of the American

Chemical Society und im Journal of Biological Chemistry. Das war eine beachtliche Leistung, wenn man bedachte, welch niedrigen Rang er am Totempfahl der Universität einnahm.

Und genau das war es, was Dr. Lord mehr und mehr in Wut versetzte.

In der Welt der Gelehrten und Wissenschaftler gehen Karrieren selten schneller vonstatten. Die nächste Stufe auf der akademischen Leiter wäre für Vincent Lord der außerordentliche Professor gewesen - ein Titel, der lebenslanger finanzieller Sicherheit gleichkam, wie man es auch betrachtete. Der Titel eines »außerordentlichen Professors« berechtigte zu der Feststellung: Du hast es geschafft, du gehörst zur akademischen Elite. Du hast etwas, das man dir nicht wieder nehmen kann, und du kannst dir deine Arbeit selbst aussuchen, bis auf ein paar kleine Einmischungen von oben. Du hast es geschafft. Vincent Lord wünschte sich diese Ernennung sehr. Und er wollte sie jetzt. Nicht erst in zwei Jahren.

Und so beschloß er - und wunderte sich, warum ihm die Idee nicht schon früher gekommen war -, die Angelegenheit ein wenig zu beschleunigen. Bei seinem Ruf würde das nicht schwer sein, überlegte er, eine reine Formalität. Voller Selbstvertrauen stellte er eine Bibliographie seiner Veröffentlichungen zusammen, ließ sich für die darauffolgende Woche einen Termin beim Dekan geben und schickte die Liste, nachdem er den Termin ausgemacht hatte, ab - damit sie vor ihm eintraf.

Dekan Robert Harris war ein kleiner Mann, runzlig und weise, so weise, daß er an seiner Fähigkeit zweifelte, sokratische Entscheidungen treffen zu können, die so häufig von ihm gefordert wurden. Im Grunde seines Herzens war er Wissenschaftler, hatte noch immer ein kleines Labor und nahm mehrmals im Jahr an wissenschaftlichen Tagungen teil. Jetzt war der größte Teil seiner Arbeitszeit von Verwaltungsaufgaben ausgefüllt.

An einem Märzmorgen des Jahres 1957 saß Dekan Harris in seinem Büro, blätterte in Dr. Vincent Lords Bibliographie und überlegte, warum man sie ihm geschickt haben mochte. Wenn jemand so launisch und unberechenbar war wie Lord, konnte es dafür ein Dutzend Gründe geben. Nun, er würde es bald heraus-finden. Der Urheber dieser Bibliographie sollte in fünfzehn Minuten bei ihm erscheinen.

Er klappte den umfangreichen Ordner zu, den er sorgfältig von Anfang bis Ende durchgelesen hatte - der Dekan war von Hause aus gewissenhaft -, lehnte sich in dem Sessel hinter seinem Schreibtisch zurück und dachte über die ihm bekannten Tatsachen und seine persönliche instinktive Meinung über Vincent Lord nach.

Der Mann besaß zweifellos geniale Fähigkeiten. Wenn der Dekan es nicht bereits gewußt hätte, dann hätte er es jetzt, beim Lesen von Lords neueren Veröffentlichungen, den Kritiken und Ehrungen, die damit verbunden waren, erfahren. Auf seinem Gebiet konnte Vince Lord höchste wissenschaftliche Höhen erreichen, und das würde ihm vermutlich sogar gelingen. Mit einigem Glück, das Wissenschaftler genauso wie andere Sterbliche benötigen, würde er irgendwann einmal eine Erfindung machen, die ihm und der University of Illinois Ruhm einbringen würde. Alles sah positiv aus, alle Signale standen auf Grün.