Parallel dazu war bei Bray & Commonwealth der jungenhafte Bill Ingram aufgerückt, den Celia zum Marketingchef gemacht hatte, um den Veteranen Grant Carvill zu ersetzen. Für Carvill wurde ein Posten gefunden, auf dem er - wie jemand unfreundlich bemerkte - »bis zur vorzeitigen Pensionierung Büroklammern zählte«.
Ingram, der den Wink von Celia aufgegriffen hatte, kam ständig mit neuen Marketing-Ideen. Und es war ebenfalls Ingram, der ihr die Nachricht überbrachte, daß in Michigan eine kleine pharmazeutische Firma zum Verkauf stand. »Die haben verschiedene Präparate, Mrs. Jordan, aber das einzig interessante ist das System 5, ein flüssiges Mittel gegen Erkältung, zum Abschwellen der Schleimhäute. Wie Sie wissen, haben wir da eine Angebotslücke. Wenn wir die Firma in Michigan kaufen, ihre anderen Präparate fallenlassen und System 5 übernehmen, ließe sich daraus etwas machen.«
Celia mußte an Andrews Worte über Erkältungsmittel denken und fragte: »Ist das System 5 denn gut?«
»Ich habe es von unseren Chemikern überprüfen lassen. Sie sagen, es wäre okay. Nichts Umwerfendes und auch nichts Besseres, als wir selbst zustande bringen könnten, wenn wir von Grund auf neu anfangen würden.«
Ingram fuhr sich mit der Hand durch die ständig zerzausten roten Haare. »Aber System 5 tut, was man von ihm erwartet, und ist bereits mit vernünftigen Absatzzahlen auf dem Markt, so daß wir nicht bei Null anfangen müßten.« Celia wußte, daß es wirtschaftlich rentabler war, ein rezeptfreies Produkt zu übernehmen, das bereits eingeführt war, als etwas völlig Neues auf den Markt zu bringen. Ein Neubeginn war nicht nur unglaublich teuer, die meisten neuen Produkte erwiesen sich als Fehlschläge und zogen ihre Hersteller ins Verderben.
»Geben Sie mir alle Einzelheiten schriftlich, Bill«, wies sie ihn an. »Ich werde es mir ansehen, und wenn ich glaube, daß es eine gute Idee ist, dann werde ich mit Sam reden.«
Ein paar Tage später fand Celia, daß es eine gute Idee war, und empfahl, die Firma in Michigan - und damit auch das Mittel gegen Erkältungen, System 5 - zu kaufen. Daraufhin wurde die kleine Firma in aller Stille über einen Vermittler, eine Anwaltskanzlei, erworben; die Verkäufer wußten nicht, in wessen Auftrag die Rechtsanwälte handelten. Derartige Methoden waren die Regel, denn wenn bekannt geworden wäre, daß ein Pharma-Kon-zern dahinterstand, wäre der Kaufpreis im Nu in die Höhe geschnellt. Bald darauf wurde das Lager geräumt und die Firma in Michigan geschlossen. Die Herstellung von System 5 sowie ein paar Leute, die damit zu tun hatten, wurden von Bray & Commonwealth in New Jersey übernommen.
Bill Ingram wurde damit beauftragt, den Verkauf von System 5 zu verbessern und auszuweiten.
Als erstes gab er eine ins Auge fallende moderne orangefarbene Verpackung in Auftrag, dazu einen passenden Plastikbehälter, der die grüne Glasflasche ersetzen sollte, in der das Mittel früher verkauft worden war; dann wurde es in System 500 umbenannt.
»Die höhere Zahl«, argumentierte er Celia gegenüber, »wird den Eindruck vermitteln, daß wir nicht nur das Äußere umgestaltet, sondern den Inhalt verstärkt und verbessert haben. Tatsächlich nehmen unsere Chemiker ein paar kleinere Änderungen in der Zusammensetzung vor, um die Herstellung effektiver zu machen.«
Celia prüfte das Präsentationsmuster und erklärte: »Ich schlage vor, direkt unter dem Namen noch eine Zeile hinzuzufügen.« Auf ein Blatt Papier kritzelte sie
System 500 bekämpft Erkältung systematisch und reichte es Ingram.
Er sah sie bewundernd an. »Ausgezeichnet! Die Leute werden das Gefühl haben, daß es wirklich ein System gibt, mit dem man Erkältungen bekämpfen kann. Es wird ihnen gefallen!«
Vergib mir, Andrew! dachte Celia. Das ist alles nur für ein Jahr. Aber dann fiel ihr ein, wie schnell die Zeit vergangen war und daß es bereits eineinhalb Jahre her war, seit sie zu Bray & Commonwealth gekommen war. Ichbin so damit verwachsen, dachte sie, daß ich manchmal fast meinen Wunsch vergesse, wieder zu den rezeptpflichtigen Mitteln zurückzukehren. Es macht wirklich Spaß hier.
»In sechs Monaten«, fuhr Bill Ingram begeistert fort, »wenn die neue Verpackung eingeführt ist, können wir mit den Tabletten rauskommen.«
»Mit was für Tabletten?«
Er sah beleidigt aus. »Haben Sie denn meine Aktennotiz nicht gelesen?«
Celia deutete auf einen Papierstapel auf ihrem Tisch. »Wahrscheinlich liegt sie irgendwo darunter. Erzählen Sie's mir also.«
»Okay. Die Tabletten sind nur eine andere Form von System 500. Die Substanzen werden dieselben sein, die Wirkung ebenfalls. Aber wir werden getrennt werben und das öffentliche Interesse gleich zweifach wecken. Natürlich wird die Version für Kinder abgeschwächt. Sie soll System 50 heißen; die kleinere Zahl weist darauf hin . . .«
»Ja«, sagte Celia. »Ja, ich verstehe - kleinere Zahl, kleinere Leute.« Sie lachte.
»Für den nächsten Winter«, fuhr Ingram unerschrocken fort, »wenn ganze Familien mit Erkältungen im Bett liegen, schlage ich vor, eine große Flasche System 500 als Familienpackung auf den Markt zu bringen. Wenn die ankommt, können wir mit einer noch größeren nachfassen.«
»Bill«, sagte Celia, noch immer lachend. »Das ist fast schon zuviel! Aber es gefällt mir. Wie war's denn mit System 500 in Aspik?«
»Für den fahrenden Handel?« Jetzt mußte auch er lachen. »Ich werde mich der Sache annehmen.«
Und während Celia und die rezeptfreien Pharmaerzeugnisse von Erfolg zu Erfolg eilten, spielten sich auf der Bühne der Welt wie eh und je Tragödien, Komödien und Konflikte ab.
Die Engländer und Franzosen verkündeten zuversichtlich wie seit 150 Jahren, daß in Kürze mit der Untertunnelung des Ärmelkanals begonnen würde. Jack Ruby, der Mörder von Präsident Kennedys Attentäter Oswald, wurde für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Präsident Johnson war mehr Erfolg beschieden als Kennedy - er brachte ein wichtiges Bürgerrechtsgesetz durch den Kongreß. Vier freche, charmante Liverpooler mit dem ungewöhnlichen Namen The Beatles entfachten die »Beatle-Manie«, die die ganze Welt erfaßte.
Kanada bekam - nach landesweiten Diskussionen, bei denen Zorn und Dummheit vorherrschten - eine neue Nationalflagge. Winston Churchill, der den Anschein erweckt hatte, ewig zu leben, starb mit neunzig Jahren. Und in den USA verabschiedete der Kongreß ohne großes Aufsehen die »Golf-von-Tonkin-Reso-lution«, die mit Vietnam, einem weit entfernten Land, zu tun hatte, und keiner ahnte, daß sich dadurch eine ganze Generation entfremden und Amerika entzweien würde.
»Ich möchte heute die Nachrichten im Fernsehen sehen«, sagte Andrew eines Abends im August 1965 zu Celia. »An einem Ort namens Watts, einem Stadtteil von Los Angeles, hat es Unruhen und Brandstiftungen gegeben.«
Sie verbrachten einen gemütlichen Abend zu Hause - ein seltenes Ereignis, da Celia in letzter Zeit häufig dienstlich unterwegs war. Wann immer es sich einrichten ließ, aßen die Kinder mit ihren Eltern zusammen zu Abend.
Celia hätte es auch gern gesehen, wenn die beiden ihre Großmutter häufiger bei sich gehabt hätten. Aber die Besuche von Mildred fanden - zum allgemeinen Bedauern - wegen ihres schlechten Gesundheitszustands nur noch selten statt. Celias Mutter litt seit längerem an Asthma, hatte jedoch Andrews Vorschlag, zu ihnen zu ziehen, abgelehnt. Sie zog ihre Unabhängigkeit in ihrem bescheidenen Heim in Philadelphia vor.
Andrews Mutter, die jetzt in Europa lebte, ließ selten von sich hören und hatte sie trotz zahlreicher Einladungen noch nie besucht. Sie kannte nicht einmal ihre Enkelkinder und verspürte offenbar auch kein Bedürfnis danach. »Wenn sie von uns hört, wird sie daran erinnert, daß sie alt ist«, bemerkte Andrew. »Und das möchte sie nicht. Es ist sicher besser, wenn wir sie in Ruhe lassen.«