Выбрать главу

Die Augen des Toten waren geschlossen, die Gesichtszüge gefaßt. Außer einer leicht blauvioletten Färbung der Gesichtshaut, die auch andere Ursachen haben konnte, waren keine Anzeichen eines anaphylaktischen Schocks zu erkennen, der, wovon Andrew jetzt überzeugt war, diesen jungen Mann völlig unnötig das Leben gekostet hatte.

»Ist eine Autopsie angeordnet?« fragte er den Wärter, der ihn begleitet hatte.

»Nein, Sir. Es gibt eine Schwester, die angeblich aus Kansas herkommt. Er soll eingeäschert werden, sobald sie da ist.«

Andrews Gedanken wirbelten durcheinander. Er erinnerte sich an seine Erfahrung mit dem Verwaltungsdirektor des Krankenhauses und wußte immer noch nicht, was er als nächstes tun sollte. Sollte er auf die Notwendigkeit einer Autopsie hinweisen? Eines wußte Andrew mit Sicherheit: Eine Autopsie würde zeigen, daß kein Herzversagen vorgelegen hatte. Aber selbst ohne eine Autopsie waren die Eintragungen im Krankenblatt Beweis genug. Es war fast Abend, die Krankenhausärzte waren nach Hause gegangen, und er konnte nichts anderes tun, als bis zum nächsten Tag zu warten.

Die ganze Nacht lag Andrew wach und grübelte, während Ce-lia, die von den Problemen ihres Mannes nichts wußte, neben ihm schlief. Sollte er dem Ärztekomitee des Krankenhauses mitteilen, was er wußte, oder war eine unparteiische Untersuchung vorzuziehen? Sollte er sich an offizielle Stellen außerhalb des Krankenhauses wenden oder zunächst mit Noah Townsend reden und sich seine Erklärung anhören? Aber dann rief er sich ins Gedächtnis, wie sehr Noahs Persönlichkeit sich verändert hatte, mehr noch, als nach außen hin sichtbar wurde.

Der Noah, den Andrew einmal gekannt und respektiert, ja sogar geliebt hatte, war aufrecht und ehrbar, hatte strenge Ansichten über ärztliche Ethik und Moral und hätte weder sich selbst noch anderen eine solche verhängnisvolle Nachlässigkeit oder die darauffolgenden Ausflüchte verziehen. Der alte Noah Townsend hätte sich gestellt und die Konsequenzen auf sich ge-nommen, wie hart sie auch ausgefallen wären. Nein, eine persönliche Konfrontation würde nichts bringen.

Am Ende beschloß Andrew erschöpft, seine Erkenntnisse nicht über die Grenzen des Krankenhauses hinauszutragen. Wenn weitere Maßnahmen nötig waren, sollten das andere entscheiden. Am nächsten Morgen schrieb er in der Praxis einen ausführlichen Bericht über das, was er wußte. Kurz vor Mittag ging er ins St. Bede's Hospital und trat dem Verwaltungsdirektor gegenüber.

4

Wenn ich die Augen zumache, dachte Andrew, komme ich mir vor wie bei einer Elternversammlung in der Schule oder bei einer geschäftlichen Besprechung in einer Schraubenfabrik, auf der gerade alltägliche, routinemäßige Entscheidungen getroffen werden.

Satzfetzen drangen an sein Ohr. »Könnte ich darüber einen Beschluß haben ?«

»Herr Vorsitzender, ich schlage vor. . . «

»Stimmt dem jemand zu ?«

». . . vorgeschlagen undZustimmunggefunden. . . diejenigen, die für den Beschluß sind. . . «

Im Chor ein »Ja«.

»Dagegen ?«

Schweigen.

». . . erkläre ich den Beschluß für einstimmig angenommen: Dr. Townsend wird von seinem Dienst im Krankenhaus suspendiert.«

Waren diese wenigen Sätze alles, was sich über das plötzliche Ende einer lebenslangen hingebungsvollen ärztlichen Tätigkeit sagen ließ?

Andrew schämte sich nicht, als er spürte, wie ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Er war sich bewußt, daß ihn die anderen, die mit ihm im Sitzungszimmer saßen, beobachteten, machte aber keine Anstalten, seine Tränen zu verbergen.

»Dr. Jordan«, sagte der Vorsitzende des Ärztekomitees rück-sichtsvoll, »bitte glauben Sie, daß wir alle Ihre Trauer teilen. Noah war und ist unser Freund und Kollege. Wir achten Sie um dessentwillen, was Sie getan haben. Wir wissen alle nur zu gut, wie schwierig der Entschluß für Sie gewesen sein muß. Was wir getan haben, war genauso schwierig, aber auch genauso notwendig.« Andrew nickte, weil ihm die Stimme versagte.

Der Vorsitzende, Dr. Ezra Gould, Neurologe und Chefarzt, war seit drei Jahren Nachfolger von Noah Townsend in diesem Amt. Gould war ein kleiner, sanfter Mann, der auf seine ruhige Art großen Respekt genoß. Zum Komitee gehörten außerdem die Chefärzte der verschiedenen Abteilungen - Chirurgie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Pathologie, Kinderheilkunde, Radiologie und so weiter. Andrew kannte die meisten recht gut. Es waren integre, teilnahmsvolle Menschen, die nur taten, was sie tun mußten, wenn sie in Andrews Augen auch zu lange gezögert hatten.

»Herr Vorsitzender«, sagte Leonard Sweeting, »ich sollte das Komitee darüber informieren, daß ich in Erwartung seiner Entscheidung eine Stellungnahme vorbereitet habe, die überall im Haus verteilt werden wird - an die Abteilungen, die Aufnahme, die Krankenhausapotheke und so weiter. Ich habe mir erlaubt, als Anlaß für Dr. Townsends Suspendierung gesundheitliche Gründe< anzugeben. Ich glaube, das ist einigermaßen diskret. Sind Sie einverstanden?«

Gould sah die anderen fragend an. Es gab zustimmendes Murmeln.

»Einverstanden«, sagte Gould.

»Ich möchte Sie auch inständig bitten«, fuhr der Verwaltungsdirektor fort, »von dieser Angelegenheit so wenig wie möglich nach außen dringen zu lassen.«

Leonard Sweeting hatte von dem Augenblick an, als der Anlaß des Treffens bekannt wurde, das Verfahren an sich gerissen -zum Schrecken und zur Verwirrung der Ärzte, die so eilig zusammengerufen worden waren. Außerdem hatte sich Sweeting schon vor der Sitzung mit Fergus McNair, dem Präsidenten des Krankenhauses, einem älteren Rechtsanwalt, der eine Kanzlei in Mor-ristown hatte, telefonisch beraten. Die Unterhaltung war in An-drews Gegenwart geführt worden, und obgleich er nur die eine Seite hören konnte, waren die emphatischen letzten Worte des Präsidenten bis zu ihm gedrungen: »Schützen Sie das Krankenhaus.«

»Ich werde mein möglichstes tun«, hatte der Verwaltungsdirektor gesagt.

Danach war Sweeting in den an sein Büro grenzenden Sitzungssaal gegangen, hatte die Tür hinter sich zugemacht und Andrew allein gelassen. Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür wieder, und Andrew wurde hereingerufen.

Alle um den Konferenztisch Versammelten blickten ihn ernst an.

»Dr. Jordan«, sagte Dr. Gould, der Vorsitzende, »wir sind über Ihre Anschuldigungen informiert worden. Bitte berichten Sie uns nun, was Sie wissen.«

Andrew wiederholte, was er zuvor schon dem Verwaltungsdirektor vorgetragen hatte, und zog dabei gelegentlich seine Notizen zu Rate. Auf seiner Erklärung folgten ein paar Fragen und eine kurze Diskussion. Leonard Sweeting legte dann die Krankengeschichte des Verstorbenen Kurt Wyrazik vor, die zusammen mit der Karteikarte und ihren belastenden Eintragungen, die die Ärzte mit betroffenem Kopfschütteln prüften, herumgereicht wurde.

Andrew hatte den Eindruck, daß das Thema an sich die Mitglieder des Komitees nicht sonderlich überraschte, auch wenn sie die heutigen Enthüllungen nicht erwartet hatten. Als nächstes war die förmliche Abstimmung erfolgt, durch die Noah Townsend seines Amtes im St. Bede's Hospital, das er so lange ausgeübt hatte, enthoben wurde.

Dann sagte der Chefarzt der Kinderabteilung, ein hagerer Mann aus New England, mit schleppender Stimme: »Worüber wir noch nicht gesprochen haben: Was soll mit dem jungen Mann geschehen, der gestorben ist?«

»Nach allem, was wir wissen«, erwiderte der Verwaltungsdirektor, »wird es nötig sein, eine Autopsie vorzunehmen. Kurz vor der Sitzung habe ich mit dem Vater des Verstorbenen in Kansas telefoniert - seine Schwester ist auf dem Weg hierher -, und er hat die notwendige Erlaubnis erteilt. Die Autopsie wird noch heute vorgenommen.« Sweeting warf einen Blick auf den Chef der Pathologie, der seine Zustimmung bekundete.