Vergnügen bereitete es Andrew auch, in den einheimischen Läden zu feilschen. Die Drugstores - droguerias -, in denen die Ware oft auf kleinstem Raum zusammengedrängt war, hatten es ihm besonders angetan. Er unterhielt sich mit Apothekern, und gelegentlich gelang es ihm auch, einheimische Ärzte kennenzulernen. Er hatte sich ein Gemisch aus Spanisch und Portugiesisch angeeignet, das er mit der Zeit immer mehr vervollkommnete.
Dennoch war nicht jede Reise ein Erfolg. Manche lokal bedingten Probleme waren für Celia nur schwer zu lösen, und sie war häufig abgespannt und nervös. Es kam zu Reibereien und bei einer Gelegenheit zu dem heftigsten, bittersten Streit ihrer ganzen Ehe, den sie so schnell nicht vergessen würden.
Es geschah in Ecuador, und wie bei den meisten Streitigkeiten zwischen Eheleuten begann alles mit einem ganz nichtigen Anlaß.
Sie befanden sich mit Lisa und Bruce in der Hauptstadt Quito, hoch oben in den Anden, einem Ort größter Kontraste - vor allem zwischen Religion und Realität. Auf der einen Seite eine Fülle überladener Kirchen und Klöster mit vergoldeten Altären, geschnitztem Chorgestühl, Kruzifixen aus Silber und Elfenbein und juwelenbesetzten Monstranzen. Auf der anderen Seite schmutzige, barfüßige Armut und Bauern, die zweifellos die ärmsten Menschen auf dem ganzen Kontinent waren, und deren Löhne - wenn sie überhaupt das Glück hatten, eine Arbeit zu finden - zehn Cent pro Tag betrugen.
Ein krasser Gegensatz zu all der Armut war das Hotel Quito, ein ausgezeichnetes Haus, in dem die Jordans eine Suite bewohnten. Nach einem anstrengenden, unerfreulichen Tag, den sie mit Senor Antonio Jose Moreno, dem gerente local von Felding-Roth, verbracht hatte, kehrte Celia am frühen Abend in die Suite zurück.
Moreno, fett und selbstgefällig, hatte deutlich gemacht, daß jeder Besuch eines Abgesandten aus der Zentrale für ihn nicht nur ein unwillkommenes Eindringen in sein Territorium, sondern auch eine Beleidigung für ihn persönlich darstellte. Mehr noch, immer wenn Celia irgendwelche Änderungen vorschlug, hatte er mit dem Standardsatz geantwortet: »En este pais, asi se hace, Senora.« Als Celia daraufhin bemerkte, daß die Einstellung, »in diesem Land ist das eben so«, nur Untüchtigkeit entschuldige und zuweilen sogar unmoralisch sei, zuckte er mit ausdrucksloser Miene die Achseln.
Was Celia Sorgen bereitete, waren die unzureichenden Informationen, die die Ärzte in Ecuador über die Medikamente von Felding-Roth erhielten, besonders in bezug auf eventuelle Nebenwirkungen. Als sie darauf hinwies, erklärte Moreno: »Die anderen Firmen tun es nicht, also brauchen wir es auch nicht zu tun. Wenn wir zuviel über etwas reden, was vielleicht gar nicht eintritt, ist das für uns nur von Nachteil.«
Obwohl Celia befugt war, ihm Anweisungen zu erteilen, wußte sie, daß Moreno unter Berufung auf die Sprachschwierigkeiten später alles so interpretieren würde, wie es ihm paßte.
Jetzt, im Wohnraum der Hotelsuite, war sie noch immer verärgert, als sie Andrew fragte: »Wo sind eigentlich die Kinder?«
»Die schlafen schon«, antwortete er. »Sie haben beschlossen, zeitig ins Bett zu gehen. Wir hatten einen ziemlich anstrengenden Tag.« Die Tatsache, daß sie Lisa und Bruce, auf die sie sich gefreut hatte, nun nicht mehr sehen konnte, und der - wie sie meinte - etwas kühle Ton von Andrew irritierten Celia, und sie fuhr ihn an: »Ihr seid nicht die einzigen, die einen lausigen Tag hinter sich haben.«
»Ich habe nicht gesagt, daß er lausig war, sondern nur, daß er anstrengend war«, bemerkte er. »Obwohl es für mich ein paar unerfreuliche Dinge gegeben hat.«
Ohne daß sie es wußten, übte Quitos Höhenlage - fast 3000 m über dem Meeresspiegel - auf beide ihre Wirkung aus. Celia fühlte sich schlapp und abgespannt, und Andrew legte eine Aggressivität an den Tag, die nicht zu seiner sonstigen ruhigen Art paßte.
»Ein paar unerfreuliche Dinge?« wiederholte Celia. »Ich weiß , gar nicht, wovon du redest.«
»Davon rede ich!« Andrew deutete auf einen Haufen Flaschen und Arzneimittelpackungen auf einem Nebentisch.
»Von dem Zeug da hatte ich heute schon mehr als genug«, erklärte Celia mit einem Ausdruck des Abscheus. »Daher schlage ich vor, du schaffst es hier raus.«
»Soll das heißen, daß es dich nicht interessiert?« Seine Stimme klang ironisch.
»Ja! Verdammt noch mal!«
»Das hätte ich, ehrlich gesagt, nicht erwartet. Denn was ich hier habe, hat mit Arzneimittelfirmen zu tun, und es ist nichts Erfreuliches.« Andrew nahm einen kleinen Plastikbehälter in die Hand. »Als ich heute mit den Kindern unterwegs war, habe ich mich ein bißchen in den Läden umgesehen und ein paar Fragen gestellt.«
Er ließ den Deckel des Behälters aufschnappen, schüttete die Tabletten in seine Hand und streckte sie ihr entgegen. »Weißt du, was das ist?«
»Natürlich nicht!« Celia ließ sich in einen Sessel fallen und schleuderte ihre Schuhe von sich. »Und außerdem interessiert es mich nicht.«
»Das sollte es aber! Es ist Thalidomid, und ich habe es heute in einer drogueria gekauft - ohne Rezept.«
Bei seiner Antwort zuckte Celia zusammen, und der Wortwechsel hätte hier zu Ende sein können, wenn Andrew nicht wei-tergesprochen hätte: »Die Tatsache, daß ich es kaufen konnte -fünf Jahre, nachdem es vom Markt verschwunden sein sollte, wie auch andere gefährliche Mittel, die hier ohne Warnung im Handel sind, weil es keine Behörden gibt, die auf Hinweisen bestehen -, ist typisch für die Gleichgültigkeit, mit der amerikanische Arzneimittelfirmen vorgehen, einschließlich deiner eigenen hochgepriesenen Felding-Roth!«
Seine Ungerechtigkeit - als die es Celia empfand, nachdem sie den größten Teil des Tages damit verbracht hatte, genau das, was Andrew gerade kritisierte, zu ändern - ließ wilden Zorn in ihr aufsteigen, so daß sie nicht mehr vernünftig denken konnte. Anstatt Andrew zu sagen - wie sie es eigentlich vorgehabt hatte -, wie frustriert sie wegen Antonio Jose Moreno war, warf sie ihm ihre Version von Morenos Antwort an den Kopf. »Was, zum Teufel, weißt du denn schon über die Probleme hier und über die Gesetze? Mit welchem Recht glaubst du eigentlich, den Leuten in Ecuador sagen zu können, wie sie es in ihrem Land halten sollen?«
Andrew war blaß geworden. »Das Recht dazu habe ich, weil ich Arzt bin! Und weil ich weiß, daß schwangere Frauen, die diese Tabletten nehmen, Babys mit verstümmelten Gliedern bekommen können. Weißt du, was mir der Apotheker heute gesagt hat? Er sagte, er habe von Thalidomid gehört, aber er wisse nicht, daß das diese Tabletten sind, weil sie hier Ondasil heißen. Und falls du es nicht weißt, Celia, oder nicht wissen willst: Thalidomid ist von der Pharmaindustrie unter dreiundfünfztig verschiedenen Namen verkauft worden.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wetterte er weiter: »Warum gibt es eigentlich so viele verschiedene Namen für ein einziges Medikament? Doch wohl nicht, um den Patienten oder den Ärzten zu helfen. Der einzige Grund, den man sich denken kann, ist der, daß Verwirrung gestiftet werden soll, damit sich die Firmen aus der Affäre ziehen können, wenn es Schwierigkeiten gibt. Und wenn wir schon von Schwierigkeiten reden - sieh dir das hier an!«
Andrew nahm eine andere Flasche und hielt sie Celia entge-gen, so daß sie den Aufkleber lesen konnte: Chloromycetin.
»Wenn du das in den USA gekauft hättest«, erklärt er, »hätte ein Hinweis auf mögliche Nebenwirkungen darauf gestanden, vor allem auf die lebensgefährliche Dyskrasie. Aber nicht hier! Kein einziges Wort!«
Er nahm ein weiteres Medikament vom Tisch. »Das habe ich auch heute erhalten. Wirf mal einen Blick auf Felding-Roths Lo-tromycin, das wir beide kennen. Wir wissen, daß es bei Nierenfunktionsstörungen keinesfalls eingenommen werden sollte, auch nicht bei Schwangerschaft oder von Frauen, die stillen. Aber findest du hier einen Hinweis darauf? Nicht die Spur! Wen kümmert es, wenn ein paar Leute in diesem Land leiden oder sterben, weil man sie nicht gewarnt hat. Schließlich sind wir hier ja nur in Ecuador, weit entfernt von New Jersey. Warum sollte Felding-Roth so etwas kümmern? Warum sollte Celia Jordan so etwas kümmern?«