»Der Meinung bin ich auch«, bestätigte Andrew, und das Gesicht ihres Sohns begann zu strahlen, genauso wie das von Lisa neben ihm.
»Da bin ich aber froh«, erklärte Bruce, und das schien der passende Abschluß eines Alptraumes zu sein, der nun vorüber war.
Es gab aber auch andere, vergnüglichere Reisen, die die Familie in den fünf Jahren, während Celia den internationalen Verkauf leitete, unternahm. Für Celias berufliche Karriere erwies sich diese Zeit als höchst erfolgreich und verschaffte ihr bei Felding-Roth mehr und mehr Ansehen. Es gelang ihr sogar, gegen den Widerstand innerhalb der Firma durchzusetzen, daß die Hinweise auf den Felding-Roth-Arzneimitteln, die in Lateinamerika vertrieben wurden, dem Stand angenähert wurden, der in den Vereinigten Staaten gesetzlich vorgeschrieben war. Allerdings war der Fortschritt, wie sie Andrew gegenüber zugab, »nicht gerade groß«.
»Eines Tages«, erklärte Celia, »wird irgend jemand dieses ganze Thema an die Öffentlichkeit bringen. Dann werden uns neue Gesetze oder die öffentliche Meinung dazu zwingen, das zu tun, was wir schon lange hätten tun müssen. Aber die Zeit ist noch nicht reif dafür.«
Eine Ahnung davon, wessen Zeit jedoch gekommen war, bekam Celia in Peru. Dort lag der Verkauf der Felding-Roth-Präpa-rate zum großen Teil in den Händen von Frauen. Der Grund dafür war, wie Celia erfuhr, nicht die Emanzipation der Frau, sondern eine Landessitte. In Peru galt es als unhöflich, eine Frau warten zu lassen; daher wurden Vertreterinnen bei den Ärzten schneller vorgelassen als ihre männlichen Konkurrenten, die zu-weilen stundenlang warten mußten.
Diese Entdeckung veranlaßte Celia, ein Memorandum an Sam Hawthorne zu verfassen und ihn zu drängen, auch in den USA mehr Vertreterinnen einzusetzen. »Ich erinnere mich an meine Zeit als Vertreterin«, schrieb Celia. »Ich mußte zwar manchmal auch lange warten, bis mich die Ärzte vorließen, aber zuweilen wurde ich ganz schnell empfangen, und ich glaube, nur deshalb, weil ich eine Frau bin. Warum sollten wir diese Tatsache nicht nutzen?«
In einer späteren Diskussion stellte Sam ihr die Frage: »Ist das, was Sie vorschlagen, nicht die falsche Art, Frauen zu fördern? Daß paßt nicht zur Women's Lib. Hier wird doch die Weiblichkeit der Frau benutzt.«
»Und warum nicht?« gab Celia zurück. »Schließlich benutzen die Männer ihre Männlichkeit seit Jahrhunderten, häufig zum Nachteil der Frauen. Und jetzt sind wir an der Reihe. Auf jeden Fall ist jeder, ob Mann oder Frau, dazu berechtigt, das Beste daraus zu machen.«
Am Ende wurde Celias Anregung ernst genommen und leitete bei Felding-Roth einen Prozeß ein, der in den darauffolgenden Jahren von anderen Arzneimittelfirmen nachgeahmt wurde.
Während dieser Zeit nahmen auch außerhalb des Pharma-Ge-schäfts die Dinge ihren Lauf. Die Tragödie von Vietnam zeichnete sich ab - eine ganze Generation junger Amerikaner ging in den Tod, und niemand wußte so recht, wofür. Ein RockmusikKult namens »Woodstock Nation« loderte kurz auf und verglühte dann wieder. In der Tschechoslowakei schaffte die Sowjetunion brutal die Freiheit ab. Dr. Martin Luther King und Robert Kennedy wurden ermordet. Nixon wurde Präsident, Golda Meir Ministerpräsidentin von Isarel. Jackie Kennedy heiratete Onassis. Eisenhower starb. Kissinger fuhr nach China, Armstrong zum Mond, Edward Kennedy nach Chappaquiddick.
Im Februar 1972 wurde Sam Hawthorne im Alter von 51 Jahren Präsident und Geschäftsführer von Felding-Roth. Sein Aufstieg erfolgte ganz plötzlich und in einer besonders schwierigen Phase der Firmengeschichte.
Sam Hawthorne war ein sogenannter Renaissance-Mensch. Er hatte viele Interessen intellektueller und sportlicher Art, aber in seinem Herzen war er ein Gelehrter, der sich trotz seiner tiefen Verstrickung in kommerzielle Geschäfte sein Leben lang für Literatur, Kunst und Musik interessierte. In fremden Städten fand, auch wenn der Arbeitsdruck noch so groß war, immer Zeit, Buchhandlungen, Galerien und Konzerte zu besuchen. In der Malerei bevorzugte er die Impressionisten, insbesondere Monet und Pissarro. In der Bildhauerei galt seine große Liebe Rodin. Lilian Hawthorne erzählte einmal einem Freund, daß ihr Mann in Paris im Garten des Rodin-Museums eine Viertelstunde lang schweigend und mit Tränen in den Augen »Die Bürger von Calais« betrachtet habe.
In der Musik galt Sams Leidenschaft Mozart. Er war ein geübter, wenn auch kein brillanter Klavierspieler, der sich auf Reisen hin und wieder ein Klavier in seine Hotelsuite bringen ließ, um ein bißchen Mozart zu spielen, wie etwa die A-Dur-Sonate, KV 331 - das getragene und klare Andante, das geschwindere Menuett und schließlich den fröhlichen »Türkischen Marsch«, der ihn nach einem ermüdenden Tag belebte.
Sam war wohlhabend und besaß einen beträchtlichen Teil der Felding-Roth-Aktien, die er von seiner früh verstorbenen Mutter geerbt hatte.
Sie war eine geborene Roth, und Sam war das letzte Mitglied der Familien Felding und Roth, das mit der Firmenleitung zu tun hatte. Aber seine familiären Bindungen waren für seine Karriere nicht ausschlaggebend gewesen. Was Sam erreicht hatte, hatte er durch seine Fähigkeiten und seine Integrität geschafft, und das wurde auch weitgehend anerkannt.
Sam und Lilian Hawthorne führten eine gute, dauerhafte Ehe; beide vergötterten ihre Tochter Julie, die jetzt fünfzehn Jahre alt war.
Im College war Sam Langstreckenläufer gewesen und absol-vierte noch immer mehrmals wöchentlich seinen morgendlichen Lauf. Er war ein begeisterter und recht erfolgreicher Tennisspieler, auch wenn seine Begeisterung seinen Stil übertraf. Sams besondere Stärke war ein gefährlicher Volley am Netz, der ihn zu einem gefragten Partner im Doppel machte.
Alle sportlichen oder geistigen Interessen aber wurden von einem übertroffen - von seiner Anglophilie.
Solange er sich erinnern konnte, war er immer gern nach England gefahren und hatte für die meisten Dinge, die englisch waren - Tradition, Sprache, Bildung, Humor, Stil, die Monarchie, London, alte Autos -, Bewunderung verspürt. Deshalb kam er auch jeden Morgen in einem prächtigen silbergrauen Rolls-Bent-ley zur Arbeit.
Und es gab noch etwas, wovon Sam eine hohe Meinung hatte: das war die britische - nicht nur die englische - Wissenschaft. Dies veranlaßte ihn während seiner ersten Monate als Präsident von Felding-Roth zu einem ungewöhnlichen Vorschlag.
In einer vertraulichen schriftlichen Mitteilung an den Aufsichtsrat hob er einige unerfreuliche Tatsachen hervor.
»In der Arzneimittelforschung und -herstellung - unserem raison d'etre - macht unsere Firma eine unfruchtbare Zeit durch, die sich weit über die >Flaute< hinaus erstreckt, von der unsere Branche allgemein erfaßt ist. Unser letzter großer >Durchbruch< war vor fast fünfzehn Jahren das Lotromycin. Während unsere Konkurrenz erfolgreiche neue Mittel eingeführt hat, haben wir kaum etwas von Bedeutung vorzuweisen. Und es ist auch weit und breit nichts in Sicht. All dies war dem Ruf unserer Firma nicht gerade förderlich und hatte auch Auswirkungen in finanzieller Hinsicht. Wir haben im vergangenen Jahr unsere Dividende herabsetzen müssen, woraufhin unsere Aktien gefallen sind und sich bis jetzt nicht wieder erholt haben.
Wir haben intern begonnen, >den Gürtel enger zu schnallen<, aber das genügt nicht. In zwei bis drei Jahren werden wir uns, wenn wir nicht bald ein starkes und positives Programm für die Zukunft entwickeln, in einer ernsten finanziellen Krise befinden.«
Sam erwähnte nicht, daß sein Vorgänger, der nach Auseinandersetzungen mit dem Aufsichtsrat entlassen worden war, eine Politik des »Schleifenlassens« verfolgt hatte, die im wesentlichen für die gegenwärtige schlechte Lage der Firma verantwortlich war.
Statt dessen ging Sam, nachdem er auf diese Weise den Boden bereitet hatte, zu seinem Vorschlag über.