»Vielen Dank, meine Herren«, sagte Sam abschließend. »Ich glaube fest daran, daß aus dieser Entscheidung etwas Produktives hervorgehen wird.«
Noch am selben Tag ließ er Celia rufen.
»Sie werden sich wieder verändern müssen«, sagte er, ohne viel Zeit mit Vorreden zu verschwenden. »Den internationalen Verkauf haben Sie jetzt hinter sich. Sie werden meine persönliche Assistentin und rechte Hand bei der Einrichtung eines englischen Forschungsinstituts werden.«
»In Ordnung.« Celias Stimme war trotz aller Freude so knapp und sachlich wie die von Sam. Man sah ihm den Druck an, unter dem er stand, fand sie. Er war jetzt fast völlig kahl, nur noch ein dünner Haarkranz war ihm geblieben. Zum Feiern würde heute abend Zeit sein, wenn sie Andrew die Neuigkeit mitteilte.
»Wann fangen wir an?« fragte sie. Gleichzeitig überlegte sie, wie lange sie brauchen würde, um ihre lateinamerikanischen Aufgaben einem Nachfolger zu übergeben. Ein Monat müßte genügen.
»Ich würde am liebsten gleich heute nachmittag anfangen«, erwiderte Sam. »Aber wir brauchen erst ein Büro für Sie. Sagen wir also: morgen früh, neun Uhr.«
»Diese neue Aufgabe«, sagte Sam am nächsten Tag zu Celia, »wird nicht lange dauern. Ihre Hauptaufgabe wird darin bestehen, unser englisches Forschungsinstitut zu etablieren, Personal einzustellen und alles in Gang zu bringen. Es wäre mir lieb, wenn das innerhalb eines Jahres gelänge, je früher, desto besser. Danach werden wir so bald wie möglich etwas anderes für Sie finden.«
Das wichtigste war, einen englischen Wissenschaftler zu finden, der die Leitung des Instituts übernahm, eine Entscheidung über den Standort zu treffen und dann ein Gebäude zu kaufen oder zu mieten, das sich schnell für ihre Zwecke umbauen ließ.
Viel Zeit blieb ihnen nicht - deshalb hatte Sam Celia auch so plötzlich vom internationalen Verkauf abgezogen. Sam würde die Suche nach einem angesehenen und tüchtigen wissenschaftlichen Leiter selbst in die Hand nehmen, und Celia sollte ihm, falls erforderlich, dabei helfen. Alles andere würde Celia allein erledigen und Sam und den anderen Vorschläge unterbreiten.
Sam und Celia sollten bereits in der nächsten Woche nach England fliegen, aber vorher wollten sie noch Vincent Lord um Rat fragen, der dem Projekt zwar ablehnend gegenüberstand, sich aber gut in der englischen Wissenschaftsszene auskannte und ihnen vielleicht einige Namen für den Posten des Institutsleiters nennen konnte.
Die Beratung mit Dr. Lord fand ein paar Tage später in Celias Anwesenheit in Sams Büro statt.
Zu Celias Überraschung war Vince Lord kooperativ, ja fast freundlich, soweit er dazu überhaupt imstande war. Sam wußte auch, warum. Nachdem es nun einmal beschlossene Sache war, in England Forschung zu betreiben, wollte Lord die Kontrolle übernehmen. Aber Sam war noch immer entschlossen, das nicht zuzulassen.
»Ich habe eine Liste mit Namen vorbereitet«, berichtete Lord, »die für uns in Frage kommen. Sie werden sehr diskret Kontakt aufnehmen müssen, weil es sich entweder um Universitätsprofessoren oder um Mitarbeiter unserer Konkurrenzfirmen handelt.«
Sam und Celia prüften die Liste, die acht Namen enthielt. »Wir werden diskret vorgehen«, versprach Sam, »aber wir werden auch keine Zeit verlieren.«
»Wenn Sie schon dort sind«, sagte Lord, »könnten Sie sich vielleicht das hier auch gleich ansehen.« Er zog einen Stoß Papiere und Briefe aus einer Mappe. »Ich korrespondiere seit einiger Zeit mit einem jungen Wissenschaftler von der Universität Cambridge. Er hat einige interessante Arbeiten über das mentale Altern und die Alzheimersche Krankheit durchgeführt, aber ihm ist das Geld ausgegangen, und er braucht eine Unterstützung.«
»Nennt man das so, wenn das Gehirn nicht mehr ordentlich funktioniert?« fragte Celia.
Lord nickte: »Ein Teil des Gehirns. Das Gedächtnis schwindet. Der geistige Verfall beginnt ganz allmählich und wird immer schlimmer.«
Trotz der Abneigung, die der Leiter der Forschungsabteilung früher gegen Celia gehegt hatte, akzeptierte er sie jetzt als festen und einflußreichen Bestandteil der Firma; es war daher sinnlos, sich weiterhin gegen sie zu stellen.
Sie waren sogar schon dazu übergegangen, sich mit dem Vornamen anzureden - zunächst ein bißchen verlegen, aber das hatte sich inzwischen gelegt.
Sam nahm die Briefe, blätterte sie durch und las laut vor: »Dr. Martin Peat-Smith.« Er reichte Celia die Blätter und fragte Lord: »Würden Sie eine Unterstützung befürworten?«
Der Forschungsleiter zuckte die Achseln. »Das ist eine langwierige Sache. Die Alzheimersche Krankheit beschäftigt die Wissenschaftler seit 1906, als sie zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Peat-Smith untersucht nun den Alterungsprozeß des Gehirns und hofft, auf diese Weise die Ursache für die Alzheimer-sche Krankheit zu finden.«
»Und wie sind seine Chancen?«
»Gering.«
»Vielleicht können wir etwas Geld investieren«, sagte Sam» »Wenn wir Zeit haben, werden wir mit ihm reden. Aber zuerst muß alles andere erledigt sein.«
»Celia, die die Briefe gelesen hatte, fragte: »Kommt Dr. Peat-Smith möglicherweise für den Posten des Institutsleiters in Frage?«
Lord sah erstaunt aus. »Nein«, sagte er dann.
»Und warum nicht?«
»Erstens, weil er zu jung ist.« Celia sah auf das Blatt, das sie gerade gelesen hatte. »Er ist zweiunddreißig.« Sie lächelte. »Waren Sie nicht genauso alt, Vince, als Sie zu uns kamen?«
»Das waren ganz andere Umstände«, antwortete er steif.
»Reden wir zuerst von diesen Leuten hier«, sagte Sam. Er hatte sich wieder Lords Liste zugewandt. »Geben Sie mir ein paar zusätzliche Informationen, Vince.«
9
Juni 1972. London war prunkvoll und farbenprächtig wie eine Orgie. In öffentlichen Parks und Gärten war die Luft vom Duft der Blumen erfüllt - Rosen, Flieder, Azaleen, Schwertlilien. Touristen und Einheimische ließen sich von der Sonne wärmen. Zur Parade, die anläßlich des Geburtstags der Queen feierlich abgenommen wurde, spielten zahlreiche Kapellen auf. Im Hyde Park ritten elegant gekleidete Reiter im leichten Galopp über die Rotten Row. Ganz in der Nähe fütterten Kinder fröhlich die Enten, die mit den Badenden im Wasser wetteiferten. In Epsom war das Derby im traditionellen Stil und mit viel Rummel gelaufen; den Sieg hatten der Hengst Roberto und Jockey Lester Piggott davongetragen, die damit ihr sechstes Derby gewannen.
»In dieser Jahreszeit hier zu sein, empfinde ich nicht als Arbeit«, sagte Celia zu Sam. »Ich habe das Gefühl, als müßte ich der Firma etwas dafür zahlen, daß ich hier sein darf.«
Sie wohnte im Berkeley-Hotel in Knightsbridge und hatte sich in den vergangenen Wochen mehr als ein Dutzend mögliche Standorte für das Felding-Roth-Forschungsinstitut angesehen. Celia war allein, da Andrew sie nicht hatte begleiten können. Sam und Lilian Hawthorne wohnten im Claridge 's.
Und dort, in der Suite der Hawthornes, rückte Celia in der dritten Juni-Woche mit ihrer Neuigkeit heraus.
»Ich bin im ganzen Land herumgereist«, sagte sie zu Sam. »Und ich glaube, der beste Platz für uns ist in Harlow, in Essex.«
»Davon habe ich noch nie etwas gehört«, warf Lilian ein. »Das liegt daran, daß Harlow ein kleines Dorf ist«, erklärte Ce-lia. »Die britische Regierung hat rund dreißig sogenannte >neue Städte< gegründet, um Menschen und Industrieanlagen aus den großen Städten abzuziehen, und Harlow ist eine davon. Der Ort bietet alles, was wir brauchen. Er liegt nicht weit von London entfernt, hat eine Schnellbahnverbindung, gute Straßen und einen Flughafen in der Nähe. Es gibt dort Häuser und Schulen, und ringsherum liegen Wiesen und Felder - eine wunderschöne Gegend für unsere Mitarbeiter.«
»Und was ist mit dem Institutsgebäude?« fragte Sam.
»Das habe ich auch schon gefunden.« Celia blickte in ihre Notizen. »Eine Firma namens Comthrust, die kleine Kommunikationsgeräte herstellt - Intercom-Systeme, Alarmeinrichtungen und dergleichen -, hat in Harlow eine Fabrik gebaut, ist aber in Geldschwierigkeiten geraten. Sie wird das Werk, das ungefähr die Größe hat, die wir brauchen, wieder aufgeben müssen. Es ist nie in Betrieb gewesen, und Comthrust ist an einem schnellen Barverkauf interessiert.«