»Könnte man das Gebäude in Labors umwandeln?«
»Leicht.« Celia faltete mehrere Blaupausen auseinander. »Ich hab' die Pläne mitgebracht, hab' auch schon mit einem Bauunternehmer gesprochen.«
»Während ihr beide euch in diese langweiligen Pläne vertieft«, verkündete Lilian, »gehe ich zu Harrods einkaufen.«
Zwei Tage später fuhren Sam und Celia nach Harlow. Während Sam den gemieteten Jaguar in nördliche Richtung durch den morgendlichen Verkehr steuerte, las Celia die International Herald Tribüne.
Die Friedensgespräche über Vietnam, die zum Stillstand gekommen waren, würden in Paris bald wiederaufgenommen werden, prophezeite ein Bericht auf der ersten Seite. In einem Krankenhaus in Maryland hatte man aus der Wirbelsäule von Gouverneur George Wallace aus Alabama eine Kugel herausoperiert, die von einem Attentat stammte, das vor einem Monat auf ihn verübt worden war. Präsident Nixon teilte seine persönliche Einschätzung des Vietnamkrieges mit und versicherte den Amerikanern: »Hanoi wird sein verzweifeltes Hasardspiel verlieren.«
Eine Nachricht aus Washington, D. C., der ungewöhnliche Aufmerksamkeit zuteil wurde, betraf einen Einbruch in die Zentrale der Demokratischen Partei an einem Ort namens Watergate.
Es schien keine wichtige Sache zu sein. Celia legte die Zeitung uninteressiert zur Seite.
»Wie sind Ihre letzten Besprechungen verlaufen?« fragte sie Sam.
Er verzog das Gesicht. »Nicht besonders. Sie sind weiter gekommen als ich.«
»Mit Orten und Gebäuden wird man leichter fertig als mit Menschen«, erklärte Celia.
Sam hatte sich um Vincent Lords Liste mit Vorschlägen für die Leitung des Forschungsinstituts gekümmert. »Die meisten von denen, die ich bis jetzt kennengelernt habe«, vertraute er Celia an, »sind mir ein bißchen zu sehr wie Vince - Leute mit eingefahrenen Methoden und Statusbewußtsein, die ihre besten Berufsjahre wahrscheinlich schon hinter sich haben. Ich suche jemanden mit neuen Ideen, hochqualifiziert natürlich, und möglichst jung.«
»Und woran wollen Sie merken, daß Sie ihn gefunden haben?«
»Ich werde es merken«, sagte Sam. Er lächelte. »Vielleicht ist es genauso, wie wenn man sich verliebt. Man weiß nicht genau, warum. Aber wenn es passiert, dann weiß man es einfach.«
Auf den dreiundzwanzig Meilen zwischen London und Har-low herrschte zunehmend starker Verkehr. Aber als sie die A 414 verließen, gelangten sie in eine Gegend mit breiten Straßen, die an hübschen Häusern und großen Feldern vorbeiführten. Das Industriegelände lag ein ganzes Stück davon entfernt, hinter Wohngebieten und Erholungsparks verborgen. Ein paar alte Bauten waren noch erhalten. Als sie an einer Kirche aus dem 11. Jahrhundert vorbeikamen, hielt Sam an und sagte: »Steigen wir aus und sehen wir uns ein bißchen um.«
»Dies ist uralter Boden«, erklärte Celia, als sie herumschlenderten und die ländlich-moderne Szenerie betrachteten. »Hier hat man Reste aus dem Steinzeitalter gefunden. Damals waren die Sachsen hier; der Name Harlow stammt aus dem Sächsischen und bedeutet >Der Hügel der Armeec. Und im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt errichteten die Römer hier eine Niederlassung und bauten einen Tempel.«
»Wir werden uns bemühen, auch ein bißchen Geschichte zu machen«, sagte Sam. »Und jetzt wollen wir uns die Fabrik ansehen. Wo ist sie?«
Celia deutete nach Westen. »Da drüben, hinter den Bäumen. Ein Industriepark, er heißt >Gipfelhöhe<.« Inzwischen war es später Vormittag geworden.
Sam musterte mit raschem Blick das leerstehende Gebäude, während er den Jaguar parkte. Der Teil mit dem geplanten Ausstellungsraum und den Büros erwies sich als ein zweistöckiger Bau aus Beton und Glas. Der Rest war eine einstöckige geräumige Fabrikhalle aus Stahlrahmen mit Metallverkleidungen. Schon jetzt sah Sam, daß Celia recht hatte - das Gebäude ließ sich leicht zu Forschungslabors umbauen.
Ein Stück vor ihnen parkte ein Auto, aus dem jetzt ein untersetzter Mann mittleren Alters stieg und sich dem Jaguar näherte. Celia stellte ihn als Mr. LaMarre von der Immobilienfirma vor, mit dem sie sich hier verabredet hatte.
Nach der Begrüßung zog LaMarre ein Schlüsselbund aus der Tasche. »Man sollte nie die Scheune kaufen, ohne einen Blick auf das Heu geworfen zu haben«, sagte er scherzend. Sie gingen zum Haupteingang, und er schloß auf.
Eine halbe Stunde später nahm Sam Celia auf die Seite. »Ganz ausgezeichnet geeignet. Sie können dem Mann sagen, daß wir interessiert sind, und gleich unsere Anwälte mit dem Kauf beauftragen. Sagen Sie ihnen, daß sie alles so schnell wie möglich abwickeln sollen.«
Als Celia ein paar Minuten später zu ihm in den Jaguar stieg, erklärte Sam: »Ich habe ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß wir noch nach Cambridge fahren. Das ist nicht weit von hier, und deshalb habe ich eine Verabredung mit Dr. Peat-Smith getroffen - dem jungen Wissenschaftler, der sich mit Gehirnforschung und der Alzheimerschen Krankheit beschäftigt und um ein Forschungs-Stipendium nachgesucht hat.«
»Ich bin froh, daß Sie doch noch Zeit für ihn haben«, erklärte Celia.
Nach etwa einstündiger Fahrt bei strahlender Sonne durch eine wunderschöne Landschaft kamen sie kurz nach Mittag in der Trumpington Street in Cambridge an. »Cambridge ist eine herrliche, altehrwürdige Stadt«, sagte Sam. »Da drüben, das ist Peter-house - das älteste College. Waren Sie schon einmal hier?«
Celia, die von den alten, historischen Gebäuden, die traulich Seite an Seite standen, fasziniert war, schüttelte den Kopf.
Sam hatte unterwegs angehalten, um telefonisch einen Tisch im Garden House Hotel zu bestellen. Sie würden sich dort zum Mittagessen mit Martin Peat-Smith treffen.
Das malerische Hotel war idyllisch gelegen, ganz in der Nähe von »The Backs« - den Landschaftsgärten, von denen man einen prächtigen Blick auf die Rückseite der Collegegebäude hatte -und direkt am Cam, dem kleinen Fluß, auf dem Puntfahrer mit Muße und manchmal etwas unsicher ihre Boote stakten.
In der Hotelhalle entdeckte Peat-Smith sie zuerst und kam auf sie zu - ein stämmig gebauter junger Mann mit einem Wust wirrer blonder Haare, die lange nicht geschnitten worden waren, und einem jungenhaften Lächeln, das das kantige Gesicht mit den prägnanten Kieferknochen erhellte. Was Peat-Smith auch immer für Vorzüge haben mochte, dachte Celia, hübsch war er wirklich nicht. Aber sie hatte das Gefühl, einer starken, zielbewußten Persönlichkeit gegenüberzustehen.
»Mrs. Jordan und Mr. Hawthorne, nehme ich an.« Die kultivierte, aber ungekünstelte Stimme paßte zu seinem Äußeren.
»Stimmt«, erwiderte Celia. »Außer, was die Rangfolge betrifft. Da gebührt Mr. Hawthorne der Vortritt.«
Wieder das kurze Lächeln. »Ich werd's mir merken.«
Als sie sich die Hand gaben, stellte Celia fest, daß Peat-Smith eine alte Harris-Tweed-Jacke mit Flicken an den Ellbogen und ausgefransten Ärmeln und ungebügelte, fleckige Hosen trug. Als könne er ihre Gedanken lesen, sagte er ohne Verlegenheit: »Ich komme gerade aus dem Labor, Mrs. Jordan. Ich besitze natürlich auch einen Anzug. Und wenn wir uns mal außerhalb der Arbeitszeit treffen, werde ich ihn anziehen.«
Celia wurde rot. »Es tut mir leid. Entschuldigen Sie bitte.«
»Keine Ursache.« Er lächelte entwaffnend. »Ich bin nur dafür, die Dinge klarzustellen.«
»Eine gute Angewohnheit«, bemerkte Sam. »Sollen wir zum Essen hineingehen?« An ihrem Tisch, von dem aus sie einen Rosengarten und den Fluß sehen konnten, bestellten sie zuerst etwas zu trinken. Celia, wie üblich, einen Daiquiri, Sam einen Martini, Peat-Smith Weißwein.