»Ich habe von Dr. Lord einen Bericht über Ihre gegenwärtigen Forschungen bekommen«, begann Sam. »Wie ich hörte, haben Sie bei Felding-Roth um eine finanzielle Unterstützung nachgesucht, die es Ihnen ermöglichen soll, weiterzuarbeiten.«
»Das ist richtig«, bestätigte Peat-Smith. »Meinem Projekt - die Untersuchung des mentalen Alterns und der Alzheimerschen Krankheit - ist das Geld ausgegangen. Die Universität hat keins, jedenfalls nicht für mich, und daher muß ich mich anderswo umsehen.«
»Das ist nicht ungewöhnlich«, versicherte Sam. »Unsere Firma unterstützt akademische Forschungen, wenn wir glauben, daß es sich lohnt. Lassen Sie uns also darüber reden.«
»In Ordnung.« Zum erstenmal zeigte Dr. Peat-Smith eine Spur von Nervosität, wahrscheinlich, dachte Celia, weil die Unterstützung für ihn wichtig war. »Um mit der Alzheimerschen Krankheit zu beginnen - wieviel wissen Sie darüber?«
»Sehr wenig«, gab Sam zu. »Gehen Sie also davon aus, daß wir nichts wissen.«
Der junge Wissenschaftler nickte. »Es ist keine sehr verbreitete Krankheit - jedenfalls noch nicht. Und man weiß bisher nur sehr wenig über ihre Ursachen, es gibt lediglich ein paar Theorien.«
»Sind nicht hauptsächlich alte Leute davon betroffen?« fragte Celia.
»Von fünfzig aufwärts - im besonderen aber die Altersgruppe über fünfundsechzig. Die Alzheimersche Krankheit kann jedoch auch bei jüngeren Menschen vorkommen. Es hat schon Fälle gegeben, bei denen die Patienten erst siebenundzwanzig waren.«
Peat-Smith nahm einen Schluck Wein und fuhr dann fort: »Die Krankheit beginnt graduell, mit Gedächtnislücken. Die Leute vergessen ganz einfach Dinge, zum Beispiel, wie man Schuhbänder zubindet oder wozu ein Lichtschalter da ist oder wo sie gewöhnlich beim Essen sitzen. Wenn es schlimmer wird, läßt das Erinnerungsvermögen immer stärker nach. Häufig erkennen die Kranken ihre Umgebung nicht mehr wieder, selbst den Ehemann oder die Ehefrau nicht. Oder sie vergessen, wie man ißt, und müssen gefüttert werden; wenn sie Durst haben, kann es vorkommen, daß sie nicht einmal mehr um Wasser bitten können. Oft sind sie hemmungslos, in schlimmen Fällen gewalttätig und zerstörerisch. Am Ende sterben sie an der Krankheit, aber das kann zehn bis fünfzehn Jahre dauern - und diese Jahre sind für diejenigen, die mit einem Opfer der Alzheimerschen Krankheit zusammenleben müssen, am schlimmsten. Was im Gehirn vor sich gegangen ist, zeigt die Autopsie. Die Alzheimersche Krankheit befällt die Nervenzellen der Großhirnrinde - wo das Gedächtnis angesiedelt ist. Das führt zu einer Entartung der Nervenfasern und zum Schwund der Gehirnrindensubstanz.«
»Ich habe ein bißchen über Ihre Forschungen gelesen«, sagte Sam, »aber ich würde gern von Ihnen selbst hören, welche Richtung Sie einschlagen.«
»Eine genetische Richtung. Und weil die Alzheimersche Krankheit bei Tieren nicht auftritt - soviel wir wissen, ist noch kein Tier von dieser Krankheit befallen worden -, konzentrieren sich meine Untersuchungen an Tieren auf die chemischen Vorgänge des mentalen Alterungsprozesses. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich auf Nukleinsäuren spezialisiert.«
»Meine chemischen Kenntnisse sind ein wenig eingerostet«, sagte Celia, »aber wenn ich mich recht erinnere, sind Nukleinsäuren die >Bausteine< der DNS, aus denen sich unsere Gene zusammensetzen.«
»Richtig, ist ja gar nicht so eingerostet.« Peat-Smith lächelte. »Und höchstwahrscheinlich werden in der Zukunft große medizinische Fortschritte gemacht werden, wenn wir die chemische Zusammensetzung der DNS erst besser verstehen und sehen, wie die Gene funktionieren und warum sie manchmal nicht funk-tionieren. Damit befassen sich meine Forschungen im Augenblick, ich verwende junge und alte Ratten, um festzustellen, wie sich die m-RNS - die Messenger-Ribonukleinsäure - mit zunehmendem Alter verändert.«
Sam unterbrach ihn: »Aber die Alzheimersche Krankheit und der normale Alterungsprozeß sind zwei verschiedene Dinge, nicht wahr?«
»Es hat den Anschein, aber es könnte Überschneidungen geben.« Während Peat-Smith eine Pause machte, konnte Celia fast spüren, wie er sich bemühte, einfachere, weniger wissenschaftliche Worte zu finden.
»Bei einem Opfer der Alzheimerschen Krankheit könnte bei der Geburt eine Abweichung in der DNS aufgetreten sein, die die codierte genetische Information enthält. Aber auch bei jemandem, der mit einer normalen DNS-Struktur geboren wurde, kann eine Veränderung dadurch eintreten, daß das >Umfeld<, der menschliche Körper, zerstört wird, durch Rauchen zum Beispiel oder durch eine falsche Diät. Eine Weile wird sich unser eingebauter DNS-Reparaturmechanismus darum kümmern, aber wenn wir älter werden, kann der genetische Reparaturprozeß sich verlangsamen oder ganz aufhören. Wonach ich suche, ist der Grund für diese Verlangsamung . . .«
Am Ende der Erklärung sagte Celia: »Es macht Ihnen offensichtlich Spaß, Wissen zu vermitteln, nicht wahr?«
Peat-Smith schien überrascht. »Etwas Unterrichtspraxis wird von jedem Mitarbeiter einer Universität erwartet. Aber ja, es macht mir auch Spaß.«
»Ich fange an, die Fragen zu verstehen. Aber wie weit sind Sie noch von den Antworten entfernt?« wollte Celia wissen, die die Persönlichkeit von Peat-Smith zu interessieren begann.
»Vielleicht Lichtjahre. Wir könnten aber auch dicht vor dem Ziel sein.« Peat-Smith zeigte sein offenes Lächeln. »Dieses Risiko müßte ein Geldgeber eingehen.«
Ein Kellner brachte die Speisekarte, und nachdem sie bestellt hatten, sagte Peat-Smith: »Ich hoffe, Sie kommen nachher mit in mein Labor. Dort kann ich Ihnen alles besser erklären.«
»Das hatten wir vor«, sagte Sam. »Gleich nach dem Essen.«
»Welchen Status haben Sie in Cambridge, Dr. Peat-Smith?« fragte Celia, während sie aßen.
»Ich bin Dozent, das ist so etwas Ahnliches wie ein Assistenzprofessor in Amerika. Es bedeutet, daß ich im biochemischen Gebäude ein Labor habe, einen Techniker, der mir hilft, und die Freiheit, Forschungen eigener Wahl zu betreiben.« Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Freiheit, das heißt, soweit ich finanzielle Unterstützung bekomme.«
»Der fragliche Betrag beläuft sich, soweit ich weiß, auf 60.000 Dollar«, warf Sam ein.
»Ja. Das wären drei weitere Jahre, und es ist das mindeste, was ich brauche - um Geräte und Tiere zu kaufen, drei Techniker einzustellen und die Experimente durchzuführen. Da ist nichts für mich persönlich drin.« Peat-Smith verzog das Gesicht. »Trotzdem, es ist eine Menge Geld, nicht wahr?«
Sam nickte ernst. »Ja, das ist es.« Aber das war es nicht. Sam und Celia wußten beide, daß 60.000 Dollar eine geringfügige Summe war im Vergleich zu den jährlichen Forschungsarbeiten bei Felding-Roth Pharmaceuticals oder jedem anderen großen Pharma-Unternehmen. Wie immer lautete auch hier die Frage: War das Projekt von Dr. Peat-Smith kommerziell interessant genug, um eine Investition zu rechtfertigen?
»Ich habe den Eindruck«, sagte Celia zu Peat-Smith, »daß Sie die Alzheimersche Krankheit auf ganz besondere Weise interessiert. Haben Sie einen speziellen Grund dafür?«
Der junge Wissenschaftler zögerte. Dann sah er Celia in die Augen und sagte: »Meine Mutter ist einundsechzig, Mrs. Jordan. Ich bin ihr einziges Kind; kein Wunder, daß wir uns immer sehr nahe standen. Sie leidet seit vier Jahren an der Alzheimerschen Krankheit, und der Verfall schreitet fort. Mein Vater kümmert sich um sie, so gut er kann, und ich gehe sie fast jeden Tag besuchen. Leider weiß sie nicht mehr, wer ich bin.«
Das biochemische Institut der Universität von Cambridge war in einem dreistöckigen Gebäude untergebracht, das mit seinen ro-ten Ziegeln im Neo-Renaissancestil schlicht und unscheinbar wirkte. Es lag an der Tennis Court Road, einer einfachen Straße, an der es jedoch keine Tennisplätze gab. Martin Peat-Smith, der auf einem Fahrrad zum Essen gekommen war - einem, wie es schien, in Cambridge gebräuchlichen Transportmittel -, radelte voran, während Sam und Celia im Jaguar folgten.