Als Vincent Lord ihn aufsuchte, mußte Mace erst Akten von einem Stuhl räumen, bevor sich der Leiter der Forschungsabteilung von Felding-Roth setzen konnte.
»Es scheint Schwierigkeiten mit Staidpace zu geben«, begann Lord und bemühte sich, freundlich zu sein. »Ich bin gekommen, um herauszufinden, warum.«
»Ihr Antrag ist schlampig und unsystematisch«, erklärte Mace. »Es geht daraus nicht alles hervor, was ich wissen muß.«
»Wieso unsystematisch?« fragte Lord. »Und was müssen Sie noch wissen?«
»Das weiß ich noch nicht genau. Aber Sie werden von mir hören.«
»Wann werden wir von Ihnen hören?«
»Wenn ich soweit bin.«
»Es wäre hilfreich und könnte allen Beteiligten Zeit sparen«, sagte Lord, dem es nur mit Mühe gelang, seinen Ärger zu unterdrücken, »wenn Sie mir einen Hinweis darauf geben könnten, wo wir beide Probleme haben.«
»Ich habe keine Probleme«, sagte Gideon Mace. »Sie haben welche. Ich habe Zweifel an der Unbedenklichkeit Ihres Medikaments; es könnte karzinogen sein. Und was die Zeitersparnis betrifft, so interessiert mich das nicht. Es besteht keine Eile. Wir haben viel Zeit.«
»Sie vielleicht«, gab Lord zurück. »Aber was ist mit den Menschen, die herzkrank sind und Staidpace benötigen - jetzt benötigen? In Europa, wo es seit langem zugelassen ist, hat es schon vielen Menschen das Leben gerettet. Deshalb wären wir an einer baldigen Zulassung interessiert.«
Mace lächelte dünn. »Damit Felding-Roth ganz beiläufig auch einen Haufen Geld verdient.«
Lord mußte sich zusammennehmen. »Das hat für mich nie ir-gendwelche Bedeutung gehabt.«
»Wie Sie meinen«, sagte Mace skeptisch. »Aber für mich hören Sie sich mehr wie ein Verkäufer als wie ein Wissenschaftler an.«
Vincent Lord hatte sich auch jetzt noch in der Gewalt. »Sie erwähnten die Unbedenklichkeit. Wie aus unserem Antrag ersichtlich ist, sind die Nebenwirkungen minimal, in keiner Weise gefährlich, und es hat auch keinerlei Hinweise auf krebserregende Substanzen gegeben. Würden Sie mir also bitte den Anlaß für Ihre Zweifel nennen?«
»Nicht jetzt«, sagte Mace. »Ich denke noch immer darüber nach.«
»Und inzwischen wird keine Entscheidung getroffen.«
»Richtig.«
»Dem Gesetz nach haben sie eine Zeitspanne von sechs Monaten . . .«, begann Lord.
»Halten Sie mir keine Vorträge über Gesetze«, sagte Mace gereizt. »Die sind mir bekannt. Aber wenn ich Ihren Antrag vorübergehend ablehne und auf weiteren Daten bestehe, fangen wir mit der Zeitrechnung ganz von vorn an.«
Das war fraglos richtig. Derartige verfahrenstechnische Verzögerungstaktiken waren bei der FDA üblich - manchmal aus gutem Grund, wie Vincent Lord zugeben mußte, manchmal aber auch nur aus einer Laune heraus oder um Entscheidungen hinauszuzögern.
Lord hatte die Grenzen seiner Geduld erreicht. »Keine Entscheidung zu treffen, ist immer der sicherste Weg für einen Bürokraten, nicht wahr?«
Mace lächelte, gab aber keine Antwort.
Das Gespräch blieb ergebnislos, abgesehen von einer noch größeren Frustration auf seifen Vincent Lords. Und er faßte einen Entschluß: Er würde sich bemühen, soviel wie möglich über Dr. Mace in Erfahrung zu bringen. Manchmal konnten derartige Informationen recht nützlich sein.
Im Lauf der nächsten Monate begab sich Lord noch mehrmals nach Washington in die Zentrale der FDA. Und jedesmal erfuhr er durch beiläufige Fragen, die er Kollegen von Mace stellte, und durch diskrete Nachforschungen außerhalb der Behörde eine erstaunliche Menge.
Inzwischen hatte Mace an einer der Studien, die Staidpace betrafen, etwas auszusetzen - es handelte sich um klinische Untersuchungen an Herzkranken. Mace, der seine Macht sichtlich genoß, verlangte, daß die gesamte Testserie wiederholt wurde. Lord konnte für dieses teure, ein ganzes Jahr währende Verfahren keinen Grund erkennen. Er hätte Einspruch erheben können, aber er war sich darüber im klaren, daß dies der Sache schaden würde und die Gefahr bestand, daß der Staidpace-Antrag bis in alle Ewigkeit storniert oder das Medikament überhaupt nicht zugelassen wurde. Daher gab Vincent Lord zögernd die Anweisung, eine weitere Testserie durchzuführen.
Kurz darauf informierte er Sam Hawthorne über die Entscheidung und berichtete ihm, was er über Gideon Mace in Erfahrung gebracht hatte.
»Mace ist ein verkrachter Arzt«, begann Lord. »Außerdem ist er Alkoholiker und in Geldschwierigkeiten, zum Teil weil er zwei Frauen Alimente zahlen muß. Er ist Doppelverdiener, weil er an den Abenden und Wochenenden in einer privaten Arztpraxis aushilft.«
»Was meinen Sie mit >ein verkrachter Arzt<?«
Lord blätterte in seinen Notizen. »Seit Abschluß seines Medizinstudiums hat Mace in fünf verschiedenen Städten gearbeitet -als Angestellter bei anderen Ärzten. Später hatte er eine eigene Praxis. Soviel ich erfahren habe, wurden alle Arbeitsverhältnisse aufgelöst, weil Mace mit niemandem auskam. Und wenn man ihn fragt, warum er seine eigene Praxis wieder aufgegeben hat, gibt er offen zu, daß er die Patienten nicht ertragen konnte.«
»Vermutlich haben die ihn auch nicht gerade geliebt«, sagte Sam. »Und warum hat die FDA ihn genommen?«
»Sie kennen doch deren Situation. Die haben Probleme, überhaupt jemanden zu kriegen.«
Auch Sam war bekannt, daß die FDA schon immer Schwierigkeiten gehabt hatte, Mediziner und Wissenschaftler einzustellen.
Die Gehälter, die die Regierung zahlte, waren notorisch niedrig; ein Mediziner verdiente bei der FDA weniger als die Hälfte dessen, was eine Privatpraxis einbrachte, und bei den Wissenschaftlern war die Diskrepanz zum Teil noch eklatanter.
Aber auch andere Faktoren spielten eine Rolle, zum Beispiel das berufliche Prestige. In medizinisch-wissenschaftlichen Kreisen galt ein Anstellungsverhältnis bei der FDA nicht gerade als Renommee. Ein Posten bei den National Institutes of Health, die auch der Regierung unterstanden, war zum Beispiel weitaus gefragter.
Darüber hinaus vermißten die Ärzte bei der FDA den direkten Kontakt mit den Patienten. Hier ging es nur um »Fälle aus zweiter Hand«, wie jemand einmal zu Sam gesagt hatte.
Es war erstaunlich, daß trotz all dieser Einschränkungen viele hochqualifizierte und engagierte Ärzte in der Behörde arbeiteten. Aber natürlich ließ es sich nicht vermeiden, daß es auch schwarze Schafe gab - die Erfolglosen, die Verdrossenen und Eigenbrödle-rischen, die es vorzogen, für sich selbst zu bleiben, statt mit Menschen zu tun zu haben. Die sich selbst schützten und schwierige Entscheidungen vermeiden wollten. Alkoholiker. Aus dem Gleichgewicht Geratene.
Zu ihnen gehörte ganz eindeutig Dr. Gideon Mace.
»Gibt es irgend etwas, das ich tun kann?« fragte Sam. »Vielleicht sollte ich den Leiter der Behörde informieren?«
»Das würde ich nicht raten«, erwiderte Lord. »Die Leiter der FDA sind Politiker; sie kommen und gehen. Aber die Bürokraten bleiben und haben ein gutes Gedächtnis.«
»Sie wollen damit andeuten, daß wir bei Staidpace vielleicht gewinnen, später aber viel mehr verlieren könnten?«
»Genau.«
»Und wie steht es mit Mace - als Alkoholiker?«
Lord zuckte die Achseln. »Das viele Trinken hat zwar seine Ehen zerstört, wie ich höre, aber er hat es unter Kontrolle. Er kommt zur Arbeit. Er funktioniert. Mag sein, daß er eine Flasche im Schreibtisch hat, aber es hat ihn noch niemand beim Trinken ertappt.«
»Verstößt der Doppelverdienst gegen die Vorschriften?«
»Offenbar nicht, solange Mace seine Nebentätigkeit auf seine Freizeit beschränkt. Kann sein, daß er am nächsten Tag im Büro müde ist, aber andere Ärzte in der FDA haben ähnliche Nebeneinkünfte.«