»Dann haben wir also nichts, womit wir Mace festnageln können?«
»Im Augenblick nicht«, sagte Lord. »Aber er muß noch immer die hohen Alimente zahlen, und Geldschwierigkeiten bringen die Leute manchmal dazu, die merkwürdigsten Dinge zu tun. Ich werde ihn im Auge behalten.«
Sam sah den Leiter der Forschungsabteilung nachdenklich an. »Sie sind ein wertvolles Mitglied der Firma geworden, Vince. Wie Sie diese ganze unangenehme Angelegenheit in die Hand nehmen und unsere Interessen wahren . . . Ich weiß das zu schätzen.«
»Also . . .« Vince sah erstaunt, wenn auch nicht gerade unzufrieden aus. »So habe ich es gar nicht gesehen. Ich wollte dieses Schwein nur festnageln, um die Genehmigung für Staidpace zu bekommen. Aber vielleicht haben Sie recht.«
Als Vincent Lord später darüber nachdachte, fand er viel Wahres an dem, was Sam gesagt hatte. Lord war jetzt fast achtzehn Jahre bei Felding-Roth, und nach so langer Zeit entwickelten sich zwangsläufig gewisse Loyalitäten. Er dachte jetzt auch immer weniger darüber nach, ob es richtig oder falsch gewesen war, in die Industrie überzuwechseln. Vielmehr war sein Denken auf seine Forschungen gerichtet, die freien Radikale auszuschaltenwann immer er sich von seinen dienstlichen Pflichten freimachen konnte.
Die Antworten, nach denen Lord suchte, waren noch nicht greifbar. Aber er wußte, daß es sie gab. Er würde nie, niemals aufgeben.
Außerdem hatte er einen neuen Ansporn bekommen - das Institut in Großbritannien, in dem Peat-Smith, den Vincent Lord noch nicht persönlich kannte, den mentalen Alterungsprozeß un-tersuchte. Es war ein Wettkampf. Wer würde zuerst einen Durchbruch erzielen - Lord oder Peat-Smith?
Lord war enttäuscht gewesen, als man ihm nicht auch die Leitung der Felding-Roth-Forschungen in England übertragen hatte. Aber Sam Hawthorne war in diesem Punkt unerbittlich geblieben und hatte darauf bestanden, daß »die da drüben« unabhängig arbeiteten. Vielleicht, so überlegte Lord, war das, wie die Dinge sich entwickelten, sogar besser. Aus Gerüchten, die von England herüberdrangen, durfte man schließen, daß Peat-Smith nicht vorankam. Wenn das zutraf, dann konnte man ihn, Lord, wenigstens nicht dafür verantwortlich machen.
Schließlich aber ergab sich im Hinblick auf Dr. Mace die Gelegenheit, auf die Vincent Lord gewartet hatte, wenn auch zu spät, um für Staidpace von Nutzen zu sein, das nach zahlreichen weiteren Verzögerungen und kleinlichen Querelen endlich doch zugelassen worden war und 1974 in den Handel kam.
Es war im Januar 1975, einen Tag nach seiner Rückkehr aus Washington, wo er wegen einer anderen Angelegenheit die FDA aufgesucht hatte, als Lord einen ungewöhnlichen Anruf bekam.
»Da ist ein Herr am Telefon«, teilte ihm seine Sekretärin mit, »der seinen Namen nicht nennen will. Er besteht darauf, Sie zu sprechen, und behauptet, Sie würden sich darüber freuen.«
»Sagen Sie ihm, er soll sich . . . Nein, warten Sie!« Lord war neugierig geworden. »Stellen Sie bitte durch.«
Lord nahm den Hörer. »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben, aber schnell, sonst lege ich auf.«
»Sie haben Informationen über Dr. Mace eingeholt. Ich habe welche.« Die Stimme des Mannes klang jung, aber gebildet.
Lord war sofort hellwach. »Was für Informationen?«
»Mace hat gegen die Gesetze verstoßen. Mit dem Material, das ich in Händen habe, können Sie ihn ins Gefängnis bringen.«
»Warum glauben Sie, daß ich das will?«
»Hören Sie«, sagte der Anrufer, »Sie wollten doch, daß ich mich beeile. Und jetzt stellen Sie lange Fragen. Sind Sie nun daran interessiert oder nicht?«
Lord war vorsichtig, Telefongespräche konnten schließlich aufgezeichnet werden. »Wie hat sich Dr. Mace denn strafbar gemacht?«
»Er hat vertrauliche FDA-Informationen verwendet, um auf dem Aktienmarkt Gewinne zu erzielen. Zweimal.«
»Und wie wollen Sie das beweisen?«
»Ich habe Unterlagen. Aber wenn Sie sie wollen, müssen Sie dafür zahlen, Dr. Lord. Zweitausend Dollar.«
»Wenn Sie mit solchen Informationen hausieren gehen, sind Sie nicht besser als Mace!«
»Schon möglich«, sagte der Mann. »Aber darum geht es hier nicht.«
»Wie heißen Sie?« fragte Lord.
»Das sage ich Ihnen erst, wenn wir uns in Washington treffen.«
2
Die Bar lag in Georgetown. Sie war elegant in Rot-, Braun- und Beigetönen eingerichtet, das Mobiliar war bronzefarben - ganz eindeutig ein Treffpunkt für Homosexuelle. Mehrere Augenpaare blickten Vincent Lord interessiert entgegen, als er eintrat; er kam sich taxiert vor, was ihm Unbehagen bereitete. Aber bevor er noch darüber nachdenken konnte, stand ein junger Mann, der allein an einem Tisch in einer Nische gesessen hatte, auf und kam auf ihn zu.
»Guten Abend, Dr. Lord. Ich bin Tony Redmond.« Er lächelte verschwörerisch. »Die Stimme am Telefon.«
Lord nickte und ließ sich die Hand schütteln. Er hatte Redmond sofort wiedererkannt: Er hatte ihn bei der FDA mehrmals gesehen, konnte sich aber nicht genau erinnern, wo er arbeitete. Redmond, der Mitte Zwanzig war, sah mit seinen kurzen braunen Locken und den babyblauen Augen mit langen Wimpern recht gut aus.
Er führte Lord zu der Nische, und sie setzten sich. Redmond hatte schon etwas zu trinken. »Leisten Sie mir dabei Gesellschaft, Doktor?« fragte er.
»Ich bestelle mir selbst etwas«, erklärte Lord. Er hatte nicht die Absicht, aus dieser Zusammenkunft ein freundschaftliches Treffen zu machen. Je früher das, weswegen er hergekommen war, erledigt war, desto besser.
»Ich bin als medizinisch-technischer Assistent bei der FDA tätig«, half Redmond seinem Gedächtnis nach. »Ich habe Sie ein paarmal in unserer Abteilung gesehen.«
Jetzt erinnerte Lord sich: Der Mann arbeitete in derselben Abteilung wie Gideon Mace. Daraus erklärte sich auch, wie er an die Informationen gelangt war, die er nun zu Geld machen wollte.
Seit dem ersten Kontakt mit Redmond hatte es noch zwei weitere Telefongespräche gegeben. In dem einen war nochmals über Geld gesprochen worden. Redmond hatte sich von seiner ursprünglichen Forderung - zweitausend Dollar für Dokumente, die er zu besitzen behauptete - nicht abbringen lassen. Bei dem zweiten Anruf hatten sie dieses Treffen vereinbart, für das Redmond den Ort genannt hatte.
Vor ein paar Tagen hatte Lord Sam Hawthorne in seinem Büro aufgesucht. »Ich brauche zweitausend Dollar«, erklärte er. »Ohne Beleg.«
Als Sam die Augenbrauen hochzog, fuhr Lord fort: »Für Informationen, die der Firma nützen könnten. Wenn Sie unbedingt wollen gebe ich Ihnen Einzelheiten, aber meiner Meinung nach wäre es für Sie besser, wenn Sie nichts wüßten.«
»Ich mag so etwas nicht«, entgegente Sam. »Geht es um etwas Illegales?«
Lord überlegte. »Ich nehme an, ein Rechtsanwalt würde es als >an der Grenze der Legalität< bezeichnen. Aber ich kann Ihnen versichern, daß wir niemandem etwas wegnehmen - und es sich auch nicht um Firmengeheimnisse handelt.«
Sam zögerte noch immer, und Lord drängte: »Wenn Sie wollen, erzähle ich es Ihnen.«
Sam schüttelte den Kopf. »In Ordnung, Sie bekommen das Geld.«
»Gut«, sagte Lord. »Aber es wäre bessser, wenn so wenig Leute wie möglich etwas davon erführen. Mrs. Jordan zum Beispiel braucht nicht unbedingt etwas davon zu wissen.«
»Das überlassen Sie bitte mir«, sagte Sam gereizt. Dann gab er nach: »In Ordnung, sie wird nichts davon erfahren.«
Lord war erleichtert. Celia Jordan hatte die unangenehme Angewohnheit, penetrante Fragen zu stellen. Und es konnte durchaus sein, daß sie mit dem, was er vorhatte, nicht einverstanden war.
Noch am selben Tag erhielt Vincent Lord einen Firmenscheck über zweitausend Dollar. Der Betrag war als Rückerstattung für »Sonder-Reisespesen« deklariert.
Lord löste den Scheck in Boonton ein, bevor er nach Washington fuhr. Das Bargeld steckte in einem Umschlag in seiner Jakkentasche.