»Ich weiß«, sagte Lord. »Aber was sollen wir tun? Wenn wir damit an die Öffentlichkeit gehen, gibt es einen großen Wirbel. Wir werden erklären müssen, wie wir an die Papiere gekommen sind. Und was auch passiert - die FDA wird es uns nie verzeihen!«
»Warum haben Sie uns denn da hineingezogen?«
»Weil diese Papiere für uns sehr nützlich sein können«, erwiderte Lord zuversichtlich, »wir müssen die Sache nur richtig anpacken.« Lord gab sich gelassen; er wußte selbst nicht, warum, aber er hatte das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Gerade eben war ihm eingefallen, welchen Weg man am besten einschlagen konnte. »Hören Sie«, sagte er zu Sam, »früher habe ich geglaubt, daß uns so etwas bei Staidpace weiterhelfen könnte. Das ist zum Glück inzwischen gelaufen. Aber es werden garantiert bei anderen Medikamenten neue Probleme auftauchen.«
»Sie wollen damit doch nicht etwa andeuten . . .« Sam war schockiert.
»Ich deute überhaupt nichts an. Außer, daß wir früher oder später wieder mit Mace zu tun haben werden. Und wenn er uns Schwierigkeiten macht, haben wir etwas in der Hand, das wir gegen ihn verwenden können. Daher schlage ich vor, im Augenblick gar nichts zu unternehmen.«
Sam war aufgestanden und ging ruhelos im Zimmer auf und ab. Schließlich brummte er: »Vielleicht haben Sie recht. Aber es gefällt mir nicht.«
»Mace wird es auch nicht gefallen«, sagte Lord. »Und gestatten Sie mir bitte, daran zu erinnern, daß er sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hat, nicht wir.«
Sam schien etwas sagen zu wollen, aber Lord kam ihm zuvor. »Wenn die Zeit gekommen ist, können Sie die schmutzige Arbeit ruhig mir überlassen.« Während Sam zögernd nickte, fügte Lord in Gedanken hinzu: Es wird mir vielleicht sogar Freude machen.
3
Anfang 1975 wurde Celia erneut befördert.
Sie hatte jetzt den Verkauf der rezeptpflichtigen Produkte unter sich und stand damit nur eine Stufe unter dem Leiter der Verkaufs- und Marketingabteilung. Für jemanden, der als Pharma-Vertreterin angefangen hatte, eine beachtliche Leistung - eine ganz außergewöhnliche aber für eine Frau.
Celia hatte jedoch seit geraumer Zeit beobachtet, daß bei Fel-ding-Roth niemand mehr daran Anstoß zu nehmen schien, daß sie eine Frau war.
Sie wurde - wie sie es sich immer gewünscht hatte - nur danach beurteilt, was sie leistete.
Celia gab sich nicht der Illusion hin, daß dies nun auch für andere Firmen Gültigkeit haben mußte, aber es war immerhin ein Beweis, daß die Chancen einer Frau, in Spitzenpositionen zu gelangen, stiegen. Wie bei jeder Veränderung mußte es Pioniere geben, und Celia war sich darüber im klaren, daß sie Pionierarbeit leistete.
Obwohl Celia bei ihrer neuen Aufgabe nicht mehr wie in den vergangenen drei Jahren mit Sam Hawthorne zu tun hatte, hatte Sam ihr versprochen, jederzeit für sie dazusein. »Wenn Ihnen in der Firma irgend etwas auffällt, das einer Korrektur bedarf, oder wenn Sie der Meinung sind, daß wir etwas versäumt haben, möchte ich es erfahren, Celia«, sagte Sam am letzten Tag ihrer Tätigkeit als seine persönliche Assistentin. Und Lilian Hawthorne hatte während eines Essens für Celia und Andrew in ihrem Haus das Glas erhoben und gesagt: »Auf Ihr Wohl, Celia - auch wenn ich mir egoistischerweise wünschte, Sie würden nicht befördert werden und könnten auch weiterhin Sam das Leben erleichtern. jetzt werde ich mir wieder mehr Sorgen um ihn machen müssen.«
An dem Essen nahm auch Julie, die neunzehnjährige Tochter der Hawthornes, teil, die aus dem College zu Besuch gekommen war - eine hübsche, ausgeglichene junge Frau, der es nicht im geringsten geschadet zu haben schien, daß sie als verwöhntes Einzelkind aufgewachsen war. Sie hatte einen interessanten jungen Mann mitgebracht, den sie als »mein Freund Dwight Good-smith« vorstellte. »Er studiert Jura und will Rechtsanwalt werden.«
Wie schnell war doch die Zeit vergangen, seit Juliet und Lisa in ihren Schlafanzügen durch das Zimmer getobt waren, dachte Ce-lia wehmütig.
Nach Lilians Trinkspruch sagte Sam lächelnd: »Von ihrer eigentlichen Beförderung weiß Celia noch gar nichts - sie hat jetzt ihren eigenen Parkplatz auf dem >Laufsteg<.«
Als »Laufsteg« wurde die oberste Etage des mehrstöckigen Parkhauses neben dem Hauptgebäude von Felding-Roth bezeichnet. Diese Etage war den Führungskräften der Firma vorbehalten. Von dort aus konnte man über eine Glasrampe bequem in das gegenüberliegende Stockwerk des Haupthauses und zu dem Aufzug gelangen, der in die elfte Etage, den »Direktionsbereich«, hinauffuhr.
Natürlich gehörte auch Sam zu denjenigen, die den »Laufsteg« benutzen durften. Hier stellte er seinen silbergrauen Rolls-Bent-ley ab, den er einer Limousine mit Chauffeur, die ihm als Präsident zugestanden hätte, vorzog. Die anderen Angestellten parkten ihre Fahrzeuge in den unteren Etagen und erreichten das gegenüberliegende Gebäude weit umständlicher über den Hof.
Über Celias »doppelte Beförderung« wurde, bevor der Abend zu Ende ging, noch viel gescherzt.
»Es war eine weise Entscheidung, dich damals an Sams Fersen zu heften«, sagte Andrew auf der Rückfahrt.
»Ja«, bestätigte Celia. »Aber in letzter Zeit mache ich mir Sorgen um ihn.«
»Warum?«
»Er ist sehr viel mehr eingespannt als früher und trägt eine weit größere Verantwortung. Manchmal habe ich das Gefühl, daß er sich Sorgen macht, die er mit niemandem teilen will.«
»Du hast genug eigene Verantwortung zu tragen«, erwiderte Andrew, »und solltest dir nicht noch wegen Sam den Kopf zerbrechen. Aber da wir gerade beim Thema sind - was ist eigentlich aus dem jungen Mann geworden, der sich an deine Fersen geheftet hat?
»Bill Ingram?« Celia lachte; sie mußte daran denken, wie Ingram ihr zum ersten Mal aufgefallen war - bei Quadrille-Brown, der New Yorker Werbeagentur. »Bill hat zuletzt in meiner früheren Position als Verkaufsleiter für Lateinamerika gearbeitet. Und wir überlegen, ob wir ihn nun befördern und in den Verkauf für rezeptpflichtige Produkte nehmen sollen.«
»Fein«, sagte Andrew. »Sieht fast so aus, als hätte auch er sich an die richtigen Rockschöße gehängt.«
In Celias Freude über die Beförderung fiel ein Wermutstropfen. Teddy Upshaw starb an einem Herzanfall - an seinem SchreibTeddy war Verkaufsleiter für rezeptfreie Produkte geblieben und hatte seinen Platz erfolgreich und zufrieden ausgefüllt. Er hatte ein Jahr vor der Pensionierung gestanden. Celia würde seine lebhafte Stimme, seine Energie und Begeisterung sehr vermissen.
Mit Andrew und ein paar anderen Firmenangehörigen nahm sie an Teddys Beerdigung teil. Es war ein trüber, stürmischer Märztag, mit Regenschauern, die zu Eis gefroren. Die Trauernden waren in dicke Mäntel gehüllt und suchten Schutz unter den vom Wind gebeutelten Schirmen.
Später, im Haus der Upshaws, nahm Zoe, Teddys Witwe, Celia beiseite.
»Teddy hat Sie sehr bewundert, Mrs. Jordan«, sagte Zoe. »Er war stolz darauf, für Sie arbeiten zu dürfen, und sagte immer, daß die Firma ein Gewissen habe, solange Sie da seien.«
Celia erinnerte sich gerührt an den Tag, an dem sie Teddy zum ersten Mal gesehen hatte - vor fünfzehn Jahren, kurz nach ihrer Rede bei der Waldorf- Verkaufskonferenz, als man sie des Saales verwiesen hatte. Teddy hatte zu den wenigen gehört, die sie auf ihrem Weg hinaus mit Mitgefühl begleitet hatten.
»Ich habe Teddy auch sehr gern gemocht«, erklärte sie.
Als sie Andrew später berichtete, was Mrs. Upshaw ihr gesagt hatte, fügte sie hinzu: »Ich habe mich nicht immer an Teddys Ideale gehalten. Denk an unseren Streit in Ecuador. Du hattest damals so recht.«
»Wir hatten beide recht«, verbesserte Andrew, »denn auch du hast ein paar Dinge erwähnt, die ich getan oder unterlassen habe. Keiner von uns ist vollkommen - aber ich stimme Teddy zu: Du bist tatsächlich das gute Gewissen von Felding-Roth. Ich bin stolz auf dich, und ich hoffe, daß du bleibst, wie du bist.«