Der folgende Monat brachte bessere Nachrichten - im großen wie im kleinen.
Der Krieg in Vietnam war vorbei. Es war eine vernichtende Niederlage für Amerika, für eine Nation, die an Niederlagen nicht gewöhnt war. Aber das tragische Blutvergießen hatte ein Ende, und nun galt es, die nationalen Wunden zu heilen.
»Solange wir leben, wird die Bitterkeit bleiben«, sagte Andrew eines Abends, nachdem er und Celia den endgültigen, demütigenden Auszug der Amerikaner aus Saigon im Fernsehen miterlebt hatten. »Und in zweihundert Jahren werden sich die Historiker noch immer darüber streiten, ob unser Engagement richtig oder falsch war.«
»Ich weiß, es ist egoistisch«, sagte Celia, »aber ich kann nichts anderes denken als: Gott sei Dank, daß es zu Ende ist, bevor Bru-cie alt genug ist, um daran teilzunehmen.«
Ein oder zwei Wochen später herrschte bei Felding-Roth Freude über die Nachricht aus Frankreich, daß das Medikament Montayne zur Herstellung und für den Verkauf in Frankreich zugelassen worden war. Das bedeutete, daß gemäß dem Lizenzvertrag zwischen Felding-Roth Pharmaceuticals und Laboratoires Gironde-Chimie jetzt auch die amerikanischen Tests mit Mon-tayne beginnen konnten.
Als Celia erfahren hatte, welchem Zweck das Medikament dienen sollte, war sie zunächst beunruhigt. Wie viele andere erinnerte sie sich an Thalidomid und seine schrecklichen Folgen. Sie erinnerte sich auch daran, wie froh sie gewesen war, daß Andrew ihr untersagt hatte, während ihrer Schwangerschaft Medikamente einzunehmen.
Sie teilte Sam ihre Bedenken mit. »Als ich das erste Mal von Montayne hörte«, gab er zu, »habe ich genauso reagiert wie Sie. Aber seit ich mehr darüber weiß, bin ich überzeugt, daß es ein sehr wirksames und völlig unbedenkliches Mittel ist.« Seit Thali-domid waren fünfzehn Jahre vergangen, und in dieser Zeit waren in der pharmazeutischen Forschung gewaltige Fortschritte gemacht worden, auch bei den Erprobungen neuer Arzneimittel. Außerdem waren jetzt, 1975, die Gesetze viel strenger als in den fünfziger Jahren.
»Es hat sich viel geändert«, sagte Sam. »Schließlich hat es auch mal Zeiten gegegen, als der Gedanke an Betäubungsmittel während der Entbindung strikt abgelehnt wurde. Genauso kann und muß es Mittel geben, die während der Schwangerschaft gefahrlos eingenommen werden können. Und Montayne ist so ein Mittel.«
Er riet Celia, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, bevor sie nicht alle Daten geprüft hatte.
Wie wichtig Montayne für Felding-Roth war, erfuhr sie schon bald von Seth Feingold, dem Vizepräsidenten und Chef des Rechnungswesens: »Den mit Montayne zu erwartenden Riesen-umsatz brauchen wir dringend. In diesem Jahr ist es um uns so schlecht bestellt, daß wir über kurz oder lang ein Fall für die Wohlfahrt sein werden.«
Feingold, ein lebhafter, weißhaariger Firmenveteran, hatte schon das Pensionsalter überschritten, aber man hatte ihn wegen seines umfassenden Finanzwissens und wegen seiner Fähigkeit behalten, in schlechten Zeiten Geldquellen zu erschließen. In den vergangenen zwei Jahren waren er und Celia gute Freunde geworden, wozu auch die Tatsache beigetragen hatte, daß Andrew die Arthritis von Feingolds Frau mit Erfolg behandelt hatte.
»Meine Frau glaubt fest daran, daß Ihr Mann Wasser in Wein verwandeln kann«, vertraute Feingold Celia an. »Und bei seiner Frau scheint es ähnlich zu sein . . .«
Dann kam er wieder auf Montayne zu sprechen: »Ich habe mit den Finanzleuten von Gironde-Chimie telefoniert; sie sind überzeugt davon, daß ihnen das Mittel einen Riesenumsatz bringen wird.«
»Auch wenn es noch ein bißchen früh ist - wir vom Vertrieb strengen uns schon mächtig an«, versicherte Celia.
»Apropos Anstrengung - manche bei uns fragen sich allmählich, was diese Engländer in unserem Forschungsinstitut da drüben eigentlich treiben. Scheinen die ganze Zeit nur Tee zu trinken.«
»Ich habe in letzter Zeit nicht viel gehört . . .«, begann Celia.
»Und ich habe überhaupt noch nichts gehört«, unterbrach Feingold. »Außer, daß sie uns Millionen kosten und unser Geld zum Schornstein rausjagen. Auch das ist ein Grund dafür, daß sich unsere Bilanzen in einem so katastrophalen Zustand befinden. Eine Menge Leute hier, einschließlich einiger Mitglieder des Aufsichtsrats, machen sich wegen dieser britischen Kapriole Sorgen. Fragen Sie Sam.«
Aber Celia brauchte Sam nicht zu fragen - er ließ sie ein paar Tage später zu sich rufen. »Sie werden vielleicht schon gehört haben«, begann er, »daß ich wegen Martin Peat-Smith unter ziemlichem Beschüß stehe.«
»Seth Feingold hat es mir gesagt.«
Sam nickte. »Seth gehört auch zu denen, die Zweifel hegen. Aus finanziellen Gründen würde er Harlow gern schließen, und bei unserer Jahresversammlung darf ich auf bohrende Fragen unserer Aktionäre gefaßt sein. Manchmal habe ich das Gefühl, als sollte ich es aufgeben«, fügte er düster hinzu.
»Es ist kaum zwei Jahre her, daß das Harlower Forschungsinstitut seine Arbeit aufgenommen hat. Sie hatten doch Vertrauen zu Martin.«
»Martin hat damals zumindest ein paar positive Ergebnisse innerhalb von zwei Jahren in Aussicht gestellt«, erwiderte Sam. »Außerdem sind dem Glauben Grenzen gesetzt, wenn die Gelder derart verpulvert werden und mir der Aufsichtsrat und die Aktionäre im Nacken sitzen. Und noch etwas - Martin liefert einfach keine Berichte ab. Ich brauche unbedingt eine Bestätigung, daß die Sache vorangeht und daß es sich lohnt weiterzumachen.«
»Warum fahren Sie nicht hin und überzeugen sich?«
»Dafür habe ich im Augenblick leider keine Zeit. Ich möchte aber, daß Sie hinfahren, Celia - sobald Sie können.«
»Glauben Sie nicht, daß Vince Lord dazu besser geeignet wäre?« fragte sie zweifelnd.
»Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sicherlich. Aber Vince ist voreingenommen. Er war von Anfang an gegen das Projekt, und es wäre ihm nur recht, wenn wir Harlow schließen.«
Celia lachte. »Wie gut Sie uns alle kennen!«
»Ich kenne Sie, Celia«, sagte Sam ernst, »und ich habe gelernt, mich auf Ihr Urteil und Ihren Instinkt zu verlassen. Ich beschwöre Sie deshalb - wie sehr Sie Martin Peat-Smith auch mögen -, bei Ihrer Beurteilung hart und rücksichtslos zu sein! Wann können Sie fahren?«
»Wenn es geht, schon morgen«, sagte Celia.
4
Als Celia am frühen Morgen zu einem zweitägigen Besuch auf dem Londoner Flughafen Heathrow eintraf, wartete bereits eine Limousine auf sie, die sie direkt zum Felding-Roth-Forschungs-institut brachte.
Von Anfang an versuchte man, ihr deutlich zu machen, daß alles in bester Ordnung sei. Jeder versicherte ihr, wie gut die Forschungen vorangingen, wieviel man bereits in Erfahrung gebracht habe und wie hart das ganze Team arbeitete. Nur gelegentlich kam es ihr vor, als spüre sie gewisse Anzeichen von Zweifel. Doch dann waren sie wieder verschwunden, so daß sie sich fragte, ob sie sich alles nicht nur eingebildet hatte. Am ersten Tag ging Martin mit ihr durch die Labors und erklärte ihr die laufenden Arbeiten, die immer noch das ursprüngliche Ziel verfolgten - »eine m-RNS zu entdecken und zu isolieren, die in den Gehirnen junger Tiere anders beschaffen ist als in denen alter Tiere«. Und er fügte hinzu: »Später wird sich sicher herausstellen, daß dies auch für die Menschen zutrifft.«
Dann fuhr er in wissenschaftlichem Jargon fort:
». . . m-RNS, extrahiert aus den Gehirnen von Ratten verschiedenen Alters . . . nach der Extraktion inkubiert mit aufgebrochenen Hefezellen unter Hinzufügung von radioaktiven Aminosäuren . . . das Hefesystem synthetisiert die tierischen Gehirnpep-tide, die gleichzeitig auch radioaktiv werden ... als nächstes folgt eine Trennung der Peptide entsprechend ihrer elektrischen Ladung auf Spezialgelen . . . dann finden wir mit Hilfe eines Röntgenfilms die Peptide als Banden wieder . . .«