»Sie teilen seine Theorie nicht?« fragte Celia.
»Ich gebe zu, Mrs. Jordan, daß ich ihr früher einmal beigepflichtet habe.« Sastri schüttelte bedauernd den Kopf. »Aber wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich es jetzt nicht mehr.«
»Martin hat mir gesagt, daß Sie die Existenz einer einzigartigen RNS nachgewiesen haben und in der Lage sein müßten, die entsprechende DNS herzustellen.«
»Das stimmt. Aber was er Ihnen nicht gesagt hat - daß das isolierte Material möglicherweise unbrauchbar ist. Es ist ein sehr langer Strang, auf dem die Codes zahlreicher Proteine Platz ha-ben, möglicherweise bis zu vierzig. Daher ist es nicht zu gebrauchen - es ist ein >Nonsens-Peptid<.«
»Läßt sich das Material spalten? Kann man die Peptide isolieren?« fragte Celia, um Verständnis bemüht.
Sastri lächelte; seine Stimme bekam einen überlegeneren Klang. »Genau hier befindet sich die Mauer. Wir wissen noch nicht, wie wir sie überwinden sollen. In zehn Jahren vielleicht . . .« Er zuckte die Achseln.
In den folgenden zwanzig Minuten erfuhr Celia weitere Einzelheiten und auch, daß Martin der einzige war, der noch daran glaubte, daß sie zu brauchbaren Ergebnissen gelangen würden.
»Ich danke Ihnen, Dr. Sastri«, sagte Celia zum Schluß. »Sie haben mir gesagt, was ich wissen wollte und weswegen ich hergekommen bin.«
Der junge Mann nickte bedrückt. »Ich habe nur meine Pflicht getan, wie Sie es von mir verlangt haben. Aber ich werde heute nacht bestimmt kein Auge zumachen.«
»Ich glaube, ich auch nicht«, erwiderte Celia. »Aber das ist der Preis, den wir manchmal bezahlen müssen.«
5
Auf Martins Einladung hin besuchte Celia ihn an ihrem zweiten und letzten Abend zu einem Drink in seinem Haus. Danach wollten sie im Churchgate-Hotel, in dem Celia wohnte, zusammen essen.
Martin lebte in einem kleinen Haus, einer Doppelhaushälfte, ungefähr zwei Meilen vom Institut entfernt. Es war modern und praktisch und ähnelte einem guten Dutzend anderer Häuser in der Nachbarschaft, die offenbar in Serie errichtet worden waren.
Martin führte sie in ein kleines Wohnzimmer, und wie schon bei anderen Gelegenheiten spürte sie auch heute seine bewundernden Blicke. Sie hatte für die kurze Reise nach Großbritannien nur ein wenig Kleidung eingepackt und trug tagsüber ein maßgeschneidertes Kostüm, an diesem Abend aber hatte sie ein Modellkleid von Diane von Fürstenberg mit hübschen braunen und weißen Drucken angezogen und eine Perlenkette umgelegt. Ihre weichen braunen Haare waren modisch kurz geschnitten.
Im Flur stolperte Celia fast über die vielen Tiere - einen freundlichen irischen Setter, eine knurrende englische Bulldogge und drei Katzen. Im Wohnzimmer hockte ein Papagei auf einer Stange.
Sie lachte. »Sie sind wirklich ein Tiernarr, nicht wahr?«
»Ich glaube schon«, stimmte Martin lächelnd zu. »Ich habe gern Tiere um mich, und auf heimatlose Katzen wirke ich wie ein Magnet.« Die Katzen schienen derselben Meinung zu sein und folgten ihm auf Schritt und Tritt.
Celia wußte, daß Martin allein lebte; tagsüber kam eine Zugehfrau. Das Wohnzimmer war spärlich möbliert - ein Ledersessel, eine Leselampe und drei Bücherregale, die mit wissenschaftlichen Werken vollgestopft waren. Auf einem kleinen Tisch standen Flaschen, ein Mixer und Eiswürfel.
»Ich habe alles für einen Daiquiri, wenn Sie einen mögen.«
»Es ist nett, daß Sie sich daran erinnern.« Celia fragte sich, ob sie am Ende des Abends noch immer so entspannt und freundschaftlich miteinander umgehen würden. Bei früheren Begegnungen mit Martin hatte sie sich von ihm als Mann stets angezogen gefühlt, aber ihr kamen Sam Hawthornes Abschiedsworte in den Sinn: ». . . wiesehrSieMartinPeat-Smithauchmögen. . . bei Ihrer Beurteilung hart und rücksichtslos zu sein. . . «
»Übermorgen werde ich Sam sehen«, sagte Celia. »Und dann werde ich ihm berichten, wie es meiner Meinung nach mit dem Harlow-Institut weitergehen soll. Ich würde gern von Ihnen erfahren, wie Sie die Dinge sehen.«
»Ganz einfach.« Er reichte ihr den Daquiri. »Sie sollten sich dafür einsetzen, daß unsere Forschungen noch ein Jahr oder, falls nötig, länger fortgesetzt werden.«
»Es gibt eine Reihe von Leuten, die dagegen sind. Das wissen Sie.«
»Ja.« Die Zuversicht, die Martin seit Celias Ankunft ausge-strahlt hatte, hielt auch jetzt noch an. »Es gibt immer kurzsichtige Leute, die nicht fähig sind, eine Sache als Ganzes zu sehen.«
»Ist Dr. Sastri kurzsichtig?«
»Leider ja. Rao war vor einer Stunde bei mir, weil er meinte, daß ich wissen sollte, was er Ihnen heute nachmittag gesagt hat. Rao ist ein durch und durch ehrlicher Mann.«
»Und?«
»Er irrt sich. Absolut. Genau wie alle anderen, die Zweifel hegen.«
»Können Sie die Zweifel mit Fakten widerlegen?« fragte Celia»Natürlich nicht!« Martin wurde ungeduldig. »Jede wissenschaftliche Forschung basiert auf einer Theorie. Wenn wir schon vorher Fakten hätten, brauchten wir keine Forschung zu betreiben. Was wir aber brauchen, ist ein fundiertes, professionelles Urteilsvermögen und Instinkt; manche nennen das wissenschaftliche Arroganz. In jedem Fall ist es die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein, und das Wissen, daß zwischen einem selbst und dem, wonach man sucht, nur die Zeit - in diesem Fall eine sehr kurze Zeit - steht.«
»Zeit und sehr viel Geld«, wandte Celia ein. »Und die Frage, ob Sie oder Sastri oder wer sonst die Sache richtig beurteilen.«
Martin nahm einen Schluck von seinem Scotch mit Wasser. »Über Geld denke ich nicht gern nach, jedenfalls nicht mehr als unbedingt nötig, vor allem nicht über Geld, das aus dem Verkauf von Medikamenten stammt. Aber da Sie es erwähnt haben, will ich darüber reden, weil es vielleicht die einzige Möglichkeit ist, mich Ihnen oder Sam oder den anderen verständlich zu machen.«
Celia sah Martin aufmerksam an.
»Selbst ich in meiner Abgeschiedenheit«, begann er, »weiß, daß Felding-Roth in Schwierigkeiten steckt. Wenn nicht bald etwas geschieht, wird es mit der Firma bergab gehen. Stimmt's?«
Celia zögerte und nickte dann. »Ja, das stimmt.«
»Und ich kann, wenn man mir noch ein bißchen mehr Zeit läßt, Ihre Firma retten. Ich werde sie nicht nur retten, sondern ihr dazu verhelfen, wieder produktiv, angesehen und reich zu werden.
Denn am Ende meiner Forschungen wird ein wichtiges Mittel stehen - ein Medikament.« Martin verzog das Gesicht, bevor er weitersprach. »Mir persönlich ist es egal, welche kommerziellen Folgen meine Arbeit hat. Es ist mir sogar peinlich, jetzt darüber zu reden. Aber wenn ich Erfolg habe, dann wird es auch für Sie ein Erfolg sein.«
Martins Worte waren genauso eindrucksvoll wie damals bei ihrem Besuch in seinem Cambridger Labor. Seinerzeit, dachte Celia, hatte er auch Sam beeindruckt. Aber die mehr als zwei Jahre zurückliegende Prognose hatte sich nicht bestätigt. Warum, fragte Celia sich, sollte das heute anders sein?
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich weiß einfach nicht.«
»Verdammt, aber ich weiß, ich weiß, daß ich die Sache richtig beurteile!« Martin sprach jetzt lauter. »Wir sind schon ganz nahe dran, sehr nahe!« Er trank sein Glas und stellte es heftig auf den Tisch. »Verdammt! Wie kann ich Sie nur überzeugen!«<
»Sie können es ja noch mal beim Essen versuchen.« Celia warf einen Blick auf die Uhr. »Ich glaube, wir sollten jetzt gehen.«
Das Essen im Churchgate-Hotel war zwar gut, aber die Portionen waren für Celia zu groß. Nach einer Weile schob sie die Reste auf ihrem Teller lustlos hin und her, während sie überlegte, was sie als nächstes sagen sollte. Dabei betrachtete sie die schöne Umgebung.