»Ich habe darüber gelesen«, sagte Mace, »aber ich brauche weitere Einzelheiten. Ich habe nach Australien geschrieben, und wenn ich die Unterlagen bekomme, werde ich vielleicht noch ein paar Fragen haben.«
»Aber das kann Monate dauern!« protestierte Lord.
»Wenn schon«, entgegnete Mace. »Ich werde tun, was meine Pflicht ist.«
Lord machte einen letzten Versuch. »Als Sie unseren Antrag für Staidpace zurückhielten, habe ich Ihnen doch versichert, daß es ein gutes Medikament ist, frei von allen Nebenwirkungen, und das war es dann auch - trotz der unnötigen Verzögerung. Und jetzt versichere ich Ihnen in meiner Eigenschaft als Wissenschaftler, daß es sich mit Montayne genauso verhält.«
»Das ist Ihre Behauptung, daß die Staidpace-Verzögerung unnötig war«, sagte Mace eigensinnig. »Auf jeden Fall hat es nichts mit Montayne zu tun.«
»In gewisser Weise doch«, erwiderte Lord, der wußte, daß er keine andere Wahl hatte. Er warf einen Blick über die Schulter zur Tür, um sich zu vergewissern, daß sie geschlossen war. »Weil ich nämlich glaube, daß das, was Sie mit Felding-Roth treiben, nichts mit unserem letzten Antrag, sondern mit Ihrer eigenen Einstellung zu tun hat. Sie haben eine Menge persönlicher Probleme, die Sie daran hindern, die Dinge richtig zu beurteilen. Einige dieser persönlichen Probleme hat meine Firma in Erfahrung gebracht.«
Mace richtete sich im Sessel auf und sagte in scharfem Ton: »Wovon reden Sie eigentlich?«
»Davon«, sagte Lord. Er hatte die Aktentasche geöffnet und einige Papiere herausgezogen. »Das sind Bestätigungen von Börsengeschäften, eingelösten Schecks, Bankbelege und anderes mehr, woraus hervorgeht, daß Sie über sechzehntausend Dollar Gewinn gemacht haben, illegal, indem Sie vertrauliche FDA-In-formationen über zwei Arzneimittelhersteller, Binvus Products und Minto Labs, für sich genutzt haben.«
Lord legte ein gutes Dutzend Blätter auf Maces Schreibtisch. »Ich glaube, das sollten Sie sich einmal genau ansehen. Natürlich weiß ich, daß Sie das alles kennen, aber vielleicht ist Ihnen neu, daß es außer Ihnen sonst noch jemanden gibt, der Kopien davon hat. Das hier sind übrigens Kopien von Kopien, verstehen Sie? Es würde Ihnen also nichts nützen, sie zu behalten oder zu vernichten.«
Offenbar erkannte Mace das oberste Blatt - eine Quittung des Börsenmaklers - auf Anhieb wieder. Seine Hände zitterten, als er nach den anderen Blättern griff und sie überflog. Sie waren ihm alle bekannt, und je mehr er sah, desto fahler wurde sein Gesicht, seine Mundwinkel zuckten. Schließlich legte Mace die Unterlagen auf den Tisch und flüsterte: »Wo haben Sie das her?«
»Das ist unwichtig«, erwiderte Lord scharf. »Wichtig ist, daß wir es haben und uns überlegen, ob wir es dem Staatsanwalt und der Presse übergeben sollen. In dem Fall wird es natürlich eine Untersuchung geben, und sollten Sie noch in andere, ähnliche Fälle verwickelt sein, werden auch die ans Tageslicht kommen.«
Mace sah immer ängstlicher aus. Es war klar, daß Lord ins Schwarze getroffen und Mace tatsächlich noch mehr Dreck am Stecken hatte. Sie wußten es beide.
Lord erinnerte sich an das, was er zu Sam Hawthorne gesagt hatte: »Wenn die Zeit gekommen ist, können Sie die schmutzige Arbeit ruhig mir überlassen.« Und dann hatte er in Gedanken hinzugefügtes wird mir vielleicht sogar Freude machen. Und genauso war es:
Es bereitete ihm tatsächlich Freude, über seinen Gegner zu triumphieren und ihm die Demütigungen heimzuzahlen.
»Sie werden ins Gefängnis kommen«, fuhr Lord fort, »und für alles bezahlen.«
»Das ist Erpressung«, sagte Mace verzweifelt. »Man wird Sie . . .« Seine Stimme versagte.
»Es gibt viele Möglichkeiten, alles so zu arrangieren, daß unsere Firma damit nicht in Zusammenhang gebracht wird, und außer Ihnen und mir gibt es keine Zeugen.« Lord sammelte die Papiere ein und steckte sie wieder in seine Aktentasche. Ihm war gerade noch rechtzeitig eingefallen, daß seine Fingerabdrücke auf den Blättern waren; er durfte kein Risiko eingehen.
Mace war ein gebrochener Mann. Lord sah voller Widerwillen, wie ihm der Speichel über die Lippen rann. »Was wollen Sie?« stammelte er schwach.
»Ich glaube, das wissen Sie«, erwiderte Lord. »Was wir wollen, ließe sich als >Sieg der Vernunft< bezeichnen.«
»Sie wollen die Genehmigung für dieses Medikament. Für Montayne.« Es war ein verzweifeltes Flüstern.
Lord schwieg.
»Hören Sie«, bat Mace fast schluchzend, »ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, daß es ein Problem gibt . . . dieser australische Fall, die Zweifel an Montayne . . . Ich glaube wirklich, daß da etwas dran sein könnte . . . Sie sollten . . .«
»Darüber haben wir gerade gesprochen«, unterbrach ihn Lord verächtlich. »Klügere Leute als Sie haben uns versichert, daß der australische Fall überhaupt keine Bedeutung hat.«
»Und wenn Sie sie bekommen . . . die Genehmigung?«
»Unter gewissen Umständen«, gab Lord vorsichtig zu verstehen, »würden wir die Papiere nicht an den Staatsanwalt oder die Presse geben, sondern sie Ihnen mit der Versicherung aushändigen, daß es unseres Wissens keine weiteren Kopien gibt.«
»Und woher soll ich wissen, ob das stimmt?«
»Da müßten Sie sich schon auf mein Wort verlassen.«
Mace bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren; in seinen Augen stand blanker Haß. »Und was soll Ihr Wort wert sein, Sie Bastard?«
»Sie befinden sich, wenn ich das sagen darf«, erwiderte Vincent Lord mit ruhiger Stimme, »nicht gerade in der Position, andere Leute zu beschimpfen.«
Es dauerte noch zwei Wochen, denn selbst nachdem Gideon Mace Dampf gemacht hatte, drehten sich die Räder der Bürokratie nur langsam. Aber am Ende wurde die Zulassung für Mon-tayne erteilt - das Medikament durfte mit Genehmigung der FDA in den Vereinigten Staaten von Amerika vertrieben werden.
Bei Felding-Roth herrschte Befriedigung darüber, daß der Start nun doch wie geplant im Februar würde stattfinden können.
Vincent Lord wollte kein Risiko eingehen. Deshalb schickte er die belastenden Papiere weder mit der Post noch mit einem Boten, sondern reiste selbst nach Washington und lieferte sie persönlich bei Dr. Mace ab.
Lord hatte Wort gehalten. Sämtliche andere Kopien waren vernichtet.
Im Büro von Mace standen sich die beiden Männer gegenüber.
»Hier ist, was ich Ihnen versprochen habe.« Lord reichte Mace einen braunen Umschlag.
Mace nahm ihn entgegen, prüfte seinen Inhalt und sah Lord an. Seine Stimme war haßerfüllt, als er sagte: »Sie und Ihre Firma haben jetzt einen Feind in der FDA. Ich warne Sie: Eines Tages werden Sie es bereuen.«
Lord zuckte die Achseln und verließ das Zimmer, ohne zu antworten.
1O
An einem Freitagnachmittag im November besuchte Celia Dr. Maud Stavely in der New Yorker Zentrale der »Bürger für mehr Sicherheit in der Medizin«.
Zu dem Besuch hatte sich Celia ganz impulsiv entschlossen. Sie hielt sich ohnehin gerade in Manhattan auf, hatte zwischen zwei Terminen zwei Stunden Zeit, und da kam ihr plötzlich die Idee, ihre Neugier zu befriedigen und sich ihre Kontrahentin, der sie noch nie begegnet war, einmal anzusehen. Sie meldete sich nicht an, denn dann würde Dr. Stavely sie bestimmt nicht empfangen. Das hatten vor ihr schon andere erlebt.
Celia erinnerte sich daran, was ihr Lome Eagledon, der Präsident der Pharmaceutical Manufacturers Association in Washington, vor gar nicht langer Zeit erzählt hatte. Eagledon, jovial und unbekümmert, war als Jurist für die Regierung tätig gewesen, bevor er seinen gegenwärtigen Posten bei dem Verband übernommen hatte.
»Als Leiter der PMA, die alle großen Arzneimittelfirmen vertritt«, sagte er, »halte ich gern Kontakt mit Verbraucherorganisationen. Wir sind zwar Kontrahenten, gewiß, aber manchmal haben sie auch ganz nützliche Ideen, die wir uns ruhig anhören sollten. Deshalb gehe ich zweimal im Jahr mit Ralph Nader essen. Ralph und ich haben nicht viel gemeinsam, aber wir hören uns die gegensätzlichen Standpunkte an, wie das unter zivilisierten Menschen üblich ist. Als ich jedoch Maud Stavely aus dem gleichen Grund mal zum Essen einladen wollte - ach, du liebe Zeit! Dr. Stavely ließ mich wissen, daß sie bei ihrem Kampf gegen einen durch und durch unmoralischen Industriezweig - nämlich den unseren - ihre wertvolle Zeit nicht mit überflüssigen Gesprächen über das Big Business und mit inakzeptablen Ansichten -nämlich den meinen - vergeuden könne. Das Essen, sagte sie, könne ich mir sparen, da sie schon an einem einzigen Stück Schokolade ersticken würde, das mit dem schmutzigen Geld der Pharmaindustrie bezahlt würde.« Eagledon lachte. »Und so haben wir uns leider nie kennengelernt.«