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Es regnete, als Celias Taxi vor einem verwahrlosten sechsstök-kigen Gebäude in der 37. Straße in der Nähe der Seventh Avenue hielt. Im Erdgeschoß, dessen Fenster zerbrochen und mit Klebeband geflickt waren, befand sich das Lager einer Installationsfirma. Von dem düsteren Flur, in dem die Farbe von den Wänden abblätterte, arbeitete sich ein winziger Aufzug ächzend und stöhnend bis zur obersten Etage hinauf, wo die BSM-Büros untergebracht waren.

Als Celia den Aufzug verließ, stand sie vor einer offenen Tür; in dem kleinen Raum dahinter saß eine ältere weißhaarige Frau an einem ramponierten Metallschreibtisch. Auf einem Schild war zu lesen: Ehrenamtliche Mitarbeiterin Mrs. O. Thom. Die Frau hämmerte auf einer Schreibmaschine Marke Underwood, Baujahr etwa 1950. Als Celia das Zimmer betrat, blickte sie auf und erklärte: »Ich habe denen schon so oft gesagt, daß ich nicht weiterarbeiten werde, wenn dieses Wrack von einer Schreibmaschine nicht endlich repariert wird. Das große >I< war schon immer kaputt. Wie soll ich denn da einen Brief schreiben?«

»Schreiben Sie doch einfach >Wir< statt >Ich<«, schlug Celia vor.

»Und was mache ich dann mit dem da? Der geht nach Idaho. Soll ich vielleicht Widaho schreiben?« fuhr Mrs. O. Thom sie an.

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Ist Dr. Stavely da?«

»Jawohl. Und wer sind Sie?«

»Ich interessiere mich für Ihre Organisation. Ich würde gern mit ihr reden.« Mrs. Thom stand auf und verschwand durch eine Tür. Während Celia wartete, warf sie einen kurzen Blick auf ein paar Leute, die in den angrenzenden Zimmern arbeiteten. Es herrschte eine geschäftige Atmosphäre, nebenan klapperte eine Schreibmachine, und es wurden Telefongespräche geführt. Überall lagen Broschüren und Faltblätter, zum Teil für den Postversand vorbereitet. Ein Stapel Briefe wartete darauf, geöffnet zu werden. Allem Anschein nach schwamm die BSM nicht gerade im Geld. Die Büromöbel stammten sicher von einem Trödler. Früher einmal waren die Räume wohl mit Teppichboden ausgelegt gewesen, inzwischen aber war er so stark abgelaufen, daß er fast nicht mehr zu erkennen war. Wie im Hausflur blätterte auch hier die Farbe von den Wänden.

Mrs. Thom kam zurück. »In Ordnung. Gehen Sie da hinein.« Sie deutete auf eine Tür.

Das Zimmer war genauso schäbig wie die anderen Büros.

»Ja, was gibt's?« Dr. Maud Stavely, die ebenfalls an einem ramponierten Tisch saß, sah von einem Blatt Papier auf und blickte der Besucherin entgegen.

Nach allem, was sie eben gesehen und was sie über die Person, der sie jetzt gegenüberstand, gehört hatte, war Celia überrascht, eine attraktive Frau mit kastanienbraunen Haaren vor sich zu sehen, schlank, mit einer guten Figur und gepflegten Händen, ungefähr Anfang Vierzig. Die Stimme war durchdringend und ungeduldig, aber kultiviert und hatte einen leichten New-England-Akzent. Ihr brauner Wollrock und die rosafarbene Bluse sahen nicht teuer aus, waren aber modisch. Die Augen - das Auffallendste an Dr. Stavely - waren durchdringend blau und gaben Celia zu verstehen, daß eine Antwort auf ihre Frage längst überfällig war.

»Ich komme von einer pharmazeutischen Firma«, sagte Celia. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich einfach so hereinplatze, aber ich wollte Sie gern kennenlernen.«

Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen.

»Ich nehme an, Sie sind die Jordan.«

»Ja.« Celia war überrascht. »Woher wissen Sie das?«

»Ich habe von Ihnen gehört. Es gibt in dieser verrotteten Branche nicht viele weibliche leitende Angestellte und ganz bestimmt niemanden, der sich derart verkauft hat wie Sie.«

»Wieso glauben Sie, daß ich mich - wie Sie es nennen - verkauft habe?« fragte Celia ruhig.

»Weil Sie nicht ausgerechnet beim Vertrieb arbeiten würden, wenn das nicht der Fall wäre.«

»Ich habe ursprünglich als Chemikerin angefangen«, wandte Celia ein. »Dann bin ich, wie andere auch, in unserer Firma aufgerückt.«

»Das ist mir egal. Was wollen Sie?«

Celia bemühte sich, der feindseligen Haltung mit einem Lä-cheln zu begegnen. »Wie schon gesagt, ich wollte Sie kennenlernen. Ich dachte, wir könnten vielleicht ein bißchen miteinander reden. Auch wenn wir nicht die gleichen Ansichten haben dürften, könnten wir doch beide davon profitieren.«

Ihre Freundlichkeit zeigte keine Wirkung. Mit eisiger Stimme fragte Dr. Stavely: »Wovon profitieren?«

Celia zuckte die Achseln. »Vom gegenseitigen Verständnis, dachte ich. Aber es war offenbar keine so gute Idee herzukommen.« Sie drehte sich um und wollte gehen, weil sie nicht bereit war, weitere Unhöflichkeiten hinzunehmen.

»Was wollen Sie wissen?«

Die Stimme klang nicht mehr ganz so abweisend. Celia zögerte, wußte nicht recht, wie sie sich verhalten sollte.

Dr. Stavely deutete auf einen Stuhl. »Da Sie schon mal hier sind, setzen Sie sich. Ich gebe Ihnen zehn Minuten.«

Unter anderen Umständen hätte Celia ihr die Meinung gesagt, aber sie war neugierig und hielt sich zurück. »Was mich interessieren würde: Warum haben Sie einen solchen Haß auf die Pharma-Industrie?«

Zum ersten Mal erschien auf Maud Stavelys Gesicht ein schwaches Lächeln, das aber sofort wieder verschwand. »Ich sagte, zehn Minuten, nicht zehn Stunden.«

»Warum nutzen wir dann nicht die Zeit?«

»Na schön. Der unmoralischste Teil Ihres Geschäfts ist genau der, mit dem Sie zu tun haben - der Verkauf. Sie überschütten den Markt mit Ihrer Ware auf eine geradezu zynische, boshafte Weise. Nehmen wir einmal Medikamente, die bei begrenzter Anwendung durchaus vertretbar wären - durch Ihre massiven, rücksichtslosen Verkaufskampagnen aber bringen Sie die Ärzte dazu, sie unzähligen Leuten zu verschreiben, die sie gar nicht benötigen, die sie sich nicht leisten können oder denen sie sogar schaden.«

»Das sind starke Worte«, sagte Celia. »Niemand bestreitet, daß gelegentlich zuviel verschrieben wird, aber . . .«

»Gelegentlich zuviel verschrieben! Das Übermaß ist die Norm. Aber es ist eine Norm, auf die Leute wie Sie hinarbeiten, die Sie einplanen und herbeiwünschen! Wollen Sie ein Beispiel? Denken Sie an Valium und ähnliche Präparate - wahrscheinlich in der Geschichte der Pharma-Industrie die Medikamente, die am häufigsten im Übermaß genommen und unnötigerweise verschrieben werden. Firmen wie die Ihre mit ihrer übertriebenen Verkaufsstrategie und ihrer Habgier sind verantwortlich für eine Legion süchtiger, verzweifelter Menschen und potentieller Selbstmörder . . .«

»Aber auch für viele, denen diese Mittel geholfen haben.«

»Eine Minderheit«, widersprach Dr. Stavely, »für die die übertriebenen Werbemaßnahmen nicht nötig wären. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie Ärzte unter Druck gesetzt werden, damit sie an den Nutzen dieser >Allheilmittel< glauben. Aufgrund solcher Erfahrungen habe ich meine Praxis geschlossen und diese Organisation ins Leben gerufen.«

»Ich weiß, daß Sie Ärztin sind«, gab Celia zögernd zu.

»Ich habe mich als Internistin bemüht, Menschen gesund zu machen und am Leben zu erhalten. Und das versuche ich auch jetzt noch, nur auf einer viel breiteren Basis. Aber zurück zum Valium. Es beweist, wie gewissenlos die ganze Branche ist.«