Vince schloß überzeugend: »Bei jedem neuen Medikament, das eingeführt wird, gibt es Einwände - daß es schädlich sein könnte, daß die gefährlichen Nebenwirkungen die Vorteile überwögen etc. Solche Feststellungen können aus Verantwortungsgefühl heraus gemacht sein und sich auf Bedenken qualifizierter Fachleute stützen oder aber verantwortungslos und durch nichts gerechtfertigt sein und von Kritikern stammen, die keine Ahnung haben. Dennoch muß jedem Einwand sowohl im öffentlichen Interesse als auch im Interesse der Firmen, die es sich nicht leisten können, ein gefährliches Medikament herauszubringen, sorgfältig, emotionslos und wissenschaftlich nachgegangen werden. Deshalb bin ich froh, daß in den Fällen, um die es hier geht, außerordentlich sorgfältige Untersuchungen angestellt worden sind. Die Vorwürfe sind geprüft worden, und die beschriebenen Nebenwirkungen rühren, wie sich herausgestellt hat, nicht von Montayne her.
Und schließlich darf man eines nicht vergessen: Wenn ein Medikament fälschlicherweise für eine gefährliche Nebenwirkung verantwortlich gemacht und aus diesem Grund verboten wird, müssen zahlreiche Menschen auf seinen therapeutischen Nutzen verzichten. Und ich bin der Meinung, daß man ihnen den Nutzen, der durch Montayne zu erwarten ist, nicht vorenthalten darf.«
Ein eindrucksvoller Schluß, wie Celia zugeben mußte.
Sam sprach den anderen aus dem Herzen, als er sagte: »Vielen Dank, Vince. Sie haben erheblich dazu beigetragen, daß wir jetzt alle erleichtert sind.« Er rückte seinen Stuhl vom Tisch zurück. »Eine offizielle Abstimmung dürfte wohl nicht nötig sein. Ich bin froh, daß wir ohne Bedenken >in vollem Tempo< mit Montayne weitermachen können. Und ich nehme an, daß alle damit einverstanden sind.«
Die Herren nickten zustimmend.
»Gut«, sagte Sam, »das war's dann wohl. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen . . .«
»Tut mir leid«, sagte Celia, »aber ich fürchte, das war noch nicht alles.«
Alle Köpfe drehten sich zu ihr um.
»Was gibt es denn noch?« fragte Sam ungeduldig.
»Ich würde Vince gern etwas fragen.«
»Na schön . . . wenn es unbedingt sein muß.«
Celia sah auf die Notizen, die sie sich gemacht hatte. »Vince, Sie haben erklärt, daß Montayne nicht die Ursache für die Behinderungen der drei dahinvegetierenden Babys war - Babys, die sich, wie wir uns ins Gedächtnis rufen sollten, nicht bewegen können und die kein normal funktionierendes Gehirn besitzen.«
Wenn die ändern Angst hatten, unangenehme Wahrheiten in Worte zufassen - sie hatte keine!
»Es freut mich, daß Sie mir zugehört haben«, bemerkte Lord.
Celia ignorierte den unfreundlichen Ton. »Wenn Montayne keine Schuld an diesen Mißbildungen trägt, was war es dann?«
»Ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, daß es dafür mehrere Ursachen geben könnte.«
»Aber welche?« fragte sie eigensinnig.
»Woher soll ich das wissen?« brauste Lord auf. »Es kann sich in jedem der drei Fälle um eine andere handeln. Ich weiß nur aufgrund der Beurteilung durch Experten an Ort und Stelle, daß Montayne nicht die Ursache war.
»In Wahrheit kann also niemand mit Sicherheit sagen, wo-durch die Schäden an den ungeborenen Kindern nun eigentlich entstanden sind!«
Der Leiter der Forschungsabteilung hob verzweifelt die Hände.
»Um Himmels willen, ja, das habe ich doch deutlich gesagt! In anderen Worten vielleicht, aber . . .«
»Celia«, unterbrach Sam, »worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Darauf«, erwiderte sie, »daß mir trotz aller Erklärungen von Vince nicht wohl ist bei der ganzen Sache. Niemand weiß wirklich etwas. Ich bin immer noch nicht zufrieden. Ich habe Zweifel.«
Jemand fragte: »Was für Zweifel?«
»In bezug auf Montayne.« Celia blickte in die Runde. »Ich habe das Gefühl - nennen Sie es Instinkt, wenn Sie wollen -, daß es noch irgend etwas gibt, was wir nicht wissen, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist, daß es noch viele Fragen gibt, auf die wir keine Antwort haben. Und das ist nicht gut.«
»Ich nehme an, Sie sprechen vom weiblichen Instinkt«, warf Lord höhnisch ein.
»Was ist daran auszusetzen?« fuhr sie ihn an.
»Wir wollen doch sachlich bleiben«, mahnte Sam streng. »Wenn Sie einen Vorschlag machen wollen, Celia, dann heraus damit.«
»Mein Vorschlag wäre, den Start von Montayne zu verschieben.«
Alle starrten sie ungläubig an. Sam kniff die Lippen zusammen. »Für wie lange verschieben und warum genau?«
Celia überlegte sich ihre Worte sehr sorgfältig. »Ich schlage eine Verschiebung von sechs Monaten vor. Ich hoffe zwar, daß es in diesem Zeitraum nicht zu weiteren Fällen von Mißbildungen bei Neugeborenen kommen wird. Aber in jedem Fall wüßten wir dann mehr und könnten unsere Arbeit beruhigter fortsetzen.«
Die Anwesenden schwiegen schockiert. Schließlich sagte Sam: »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Das ist mein voller Ernst.« Sie sah ihm in die Augen. Am An-fang war sie sich noch nicht ganz klar gewesen, hatte sich nur unbehaglich gefühlt. Aber jetzt waren ihre Gefühle nicht mehr zwiespältig; Vincent Lords emphatische - zu emphatische - Gewißheit hatte sie nicht beruhigt, sondern ihre Zweifel nur noch verstärkt. Ja, sie folgte nur ihrem Instinkt. Aber ihr Instinkt hatte sich schon oft als richtig erwiesen.
Celia wußte, daß es schwierig sein würde, die anderen zu überzeugen; und am wichtigsten war es, Sam zu überzeugen. Aber sie mußte es schaffen. Sie mußte den anderen einfach klarmachen, daß es jetzt im Interesse lag, Montaynes amerikanisches Debüt zu verschieben - im Interesse der schwangeren Frauen, im Interesse von Felding-Roth und im Interesse aller in der Firma Verantwortlichen . . .
»Haben Sie überhaupt eine Ahnung«, fragte Sam, der noch immer schockiert war, »was eine Verzögerung des Starts für uns alle bedeuten würde?«
»Selbstverständlich!« Celias Stimme klang jetzt gereizt. »Wer könnte das besser wissen als ich? Gibt es hier im Raum einen einzigen, der mit Montayne mehr zu tun gehabt hat als ich?«
»Nein«, sagte Sam. »Deshalb klingt das, was Sie sagen, ja auch so unglaubhaft.«
»Und deshalb können Sie sicher sein, daß ich den Vorschlag nicht leichten Herzens mache.«
Sam wandte sich an Seth Feingold. »Was, schätzen Sie, würde es kosten, den Start von Montayne zu verschieben?«
Der Leiter des Rechnungswesens wirkte verlegen. Er war mit Celia befreundet. Und außerdem verstand er nicht viel von wissenschaftlichen Dingen und wünschte sich schlicht, nichts damit zu tun haben zu müssen. Auch Bill Ingram schien sich in seiner Haut nicht wohl zu fühlen. Celia spürte, daß er mit sich kämpfte - einerseits fühlte er sich Celia gegenüber zur Loyalität verpflichtet, andererseits hatte er vermutlich eine andere Meinung als sie. Aber schließlich mußte jeder mit seinen Problemen selbst fertig werden, und Celia hatte im Augenblick genug mit ihren eigenen zu tun.
Eins war jedenfalls erreicht: Man nahm sich Zeit. Offenbar hatten Sam und die meisten anderen eingesehen, daß die grundsätzliche Frage, die Celia angeschnitten hatte, gelöst werden mußte - wie lange es auch dauern mochte.
Feingold beugte sich über ein Blatt Papier und stellte Berechnungen an. Schließlich sagte er: »Wir haben, rund gerechnet, an die zweiunddreißig Millionen Dollar für Montayne veranschlagt. Doch ist noch nicht alles ausgegeben, so daß man vielleicht ein Viertel der Summe retten könnte. Aber es gibt auch noch beträchtliche Allgemeinkosten, die ich nicht mitgerechnet habe. Auf welche Endsumme sich die Kosten bei einer Verzögerung tatsächlich belaufen, läßt sich schwer schätzen. Das hängt ganz davon ab, wie groß die Verzögerung ist und wie sie sich auf den späteren Verkauf auswirkt.«