»Nicht nötig.« Martin drückte sein Gesicht in ihre Haare. »Ich mag dich so, wie du bist.«
Ihre Leidenschaft entflammte neu, und Yvonne drückte Martin fest an sich, als er in sie eindrang.
Plötzlich hielt er abrupt inne, und seine Hände ließen sie los. Dann packte er sie an den Schultern und schob sie von sich.
»Was hast du gesagt?«
»Martin, bitte quäl mich nicht! Ich will dich jetzt«, bat sie.
»Was hast du gesagt?«
Frustriert ließ sie sich zurückfallen. »Warum hast du das getan, Martin?«
»Ich will wissen, was du gesagt hast, über Peptid 7.«
»Peptid 7? - Ich sagte, ich könnte so dünn wie die Ratten werden, wenn ich es nähme«, antwortete sie verdrossen. »Aber was . . .«
»Das dachte ich mir.« Er sprang aus dem Bett. »Beeil dich! Zieh dich an!«
»Warum?«
»Wir fahren ins Labor.«
»Jetzt?« fragte sie ungläubig.
Martin hatte ein Hemd übergestreift und fuhr schon in die Hose.
»Ja. Jetzt sofort.«
Konnte das sein? fragte er sich. War das tatsächlich möglich? Martin blickte auf ein Dutzend Ratten, die durchs Labyrinth liefen. Er hatte Yvonne gebeten, sie aus den Tierställen zu holen. Es war eine Gruppe, die seit mehreren Monaten mit dem teilweise gereinigten Peptid-Gemisch geimpft worden war. Und seit neuestem mit Peptid 7. Alle Ratten waren dünn - viel dünner als vor den Injektionen. Jetzt steckte Yvonne die letzte Ratte in ihren Käfig zurück.
Es war noch immer Sonntagmorgen. Außer ihnen befand sich nur noch ein Wachmann im verlassenen Institut.
Genau wie die anderen Tiere machte sich auch die letzte Ratte
über ihr Fressen im Käfig her.
»Aber sie fressen doch genügend«, bemerkte Martin.
»Das tun sie alle«, stimmte Yvonne zu. »Willst du mir nicht endlich sagen, was das soll?«
»Hör zu: Weil die Ratten, denen wir Peptid 7 gespritzt haben, immer dünner, ja, sogar dürr wurden, haben wir alle gedacht, daß sie nicht mehr so gesund sind wie früher. Das war nicht sehr wissenschaftlich gedacht.«
»Was macht das denn für einen Unterschied?«
»Wahrscheinlich einen sehr großen. Angenommen, ihr Gesundheitszustand hat sich nicht verschlechtert. Angenommen, sie sind alle kerngesund. Vielleicht sogar gesünder als vorher. Angenommen, Peptid 7 wirkt sich nicht nur positiv auf das Gedächtnis aus, sondern sorgt darüber hinaus auch noch für einen gesunden Gewichtsverlust.«
»Du meinst . . .«
»Ich meine«, sagte Martin, »daß wir über etwas gestolpert sind, nach dem die Menschheit seit Jahrhunderten sucht - eine Möglichkeit, im Körper Nahrung zu verarbeiten, ohne dabei Fett anzusetzen.«
Yvonne sah ihn mit offenem Mund an. »Aber das könnte ja furchtbar wichtig sein!«
»Ja - wenn es zutrifft.«
»Aber danach hast du doch gar nicht gesucht!«
»Viele Entdeckungen wurden gemacht, während die Wissenschaftler nach etwas völlig anderem suchten.«
»Und was wirst du jetzt tun?«
Martin überlegte. »Ich muß mit Fachleuten reden. Gleich morgen werde ich mich darum kümmern.«
»Dann könnten wir ja jetzt vielleicht wieder nach Hause gehen«, bemerkte Yvonne hoffnungsvoll.
Er legte ihr den Arm um die Schultern. »Eine ausgezeichnete Idee!«
»Ich werde Ihnen natürlich einen ausführlichen Bericht schik-ken«, sagte der Tierarzt zu Martin, »mit allen Daten - Körperfett, Blutzuckerzusammensetzung, Urin und Stuhl, die ich in meinem Labor feststellen lasse. Aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß diese Ratten die gesündesten sind, die ich je gesehen habe, vor allem, wenn man bedenkt, wie alt sie schon sind.«
»Vielen Dank, Doktor«, sagte Martin. »Das hatte ich gehofft.«
Es war Dienstag, und der Tierarzt Dr. Ingersoll, ein Spezialist für Kleintiere, war mit dem Morgenzug aus London gekommen. Er wollte nachmittags wieder zurückfahren.
Ein anderer Experte, ein Sachverständiger für Ernährung aus Cambridge, wurde in zwei Tagen erwartet.
»Ich nehme an«, sagte Dr. Ingersoll, »daß Sie mir nicht sagen wollen, was Sie den Ratten gegeben haben.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, erwiderte Martin, »würde ich es lieber noch für mich behalten.«
Der Tierarzt nickte. »Auf jeden Fall sind Sie einer interessanten Sache auf der Spur, mein Freund.«
Am Donnerstag lieferte lan Cavaliero, der Ernährungssachverständige, Informationen, die noch verblüffender waren.
»Möglicherweise haben Sie mit Ihrer Behandlung bei diesen Ratten die Funktion der endokrinen Drüsen verändert oder aber das zentrale Nervensystem, vielleicht sogar beides. Als Folge davon werden die Kalorien, die sie mit der Nahrung aufnehmen, anstatt in Fett in Hitze umgewandelt. Wenn man es nicht gerade zum äußersten treibt, kann ich daran nichts Schlimmes finden. Der Körper entledigt sich der überschüssigen Hitze durch Schwitzen.«
Dr. Cavaliero, ein junger Wissenschaftler, den Martin von Cambridge her kannte, war eine Autorität in Ernährungsfragen.
»Wie neuere Veröffentlichungen zeigen«, berichtete er, »haben unterschiedliche Lebewesen - Menschen wie Tiere - auch unterschiedliche Fähigkeiten, Kalorien auszunutzen. Manche Kalorien gehen in Fett über, ein beträchtlicher Anteil jedoch wird für eine Art von körperlicher Arbeit verbraucht, die wir weder sehen noch fühlen. Zum Beispiel, wenn Zellen Ionen wie das Natrium in einem kontinuierlichen Kreisprozeß ins Blut hinauspumpen. Andere Kalorien müssen in Hitze umgewandelt werden«, fuhr der Ernährungsfachmann fort, »nur um die Körpertemperatur zu erhalten. Aber man hat herausgefunden, daß die Anteile, die für Hitze, Stoffwechsel oder Fett benötigt werden, grundlegend verschieden sind. Wenn Sie diese Anteile also verändern und kontrollieren können - wie Sie es bei diesen Tieren getan zu haben scheinen -, ist das ein großer Fortschritt . . .«
Einige Mitarbeiter seines Teams, die Martin aufgefordert hatte, an der Besprechung mit Cavaliero teilzunehmen, hörten gespannt zu, darunter Rao Sastri und Yvonne.
»Diese unterschiedliche Kalorienausnutzung ist zweifellos der Grund, warum manche glückliche Menschen sehr viel essen können und doch nie zunehmen«, bemerkte Sastri.
»Genau.« Der Ernährungsfachmann lächelte. »Aber es könnte sich noch etwas anderes bei Ihren Ratten auswirken - nämlich ein Sättigungsfaktor.«
»Durch das ZNS?« fragte Martin.
»Ja. Das zentrale Nervensystem wird natürlich weitgehend durch die Gehirnpeptide reguliert. Und da Sie mir gesagt haben, daß der injizierte Stoff sich auf die Gehirnfunktionen auswirkt, könnte es durchaus sein, daß er die Hungersignale im Gehirn reduziert . . . Auf jeden Fall besitzt Ihr Gemisch eindeutig einen wünschenswerten gewichtsreduzierenden Effekt.«
Am nächsten Tag verwendete Martin Cavalieros Worte vom »wünschenswerten gewichtsreduzierenden Effekt« in einem vertraulichen Bericht, den er direkt an Sam Hawthorne schickte.
»Obgleich auch weiterhin die Verbesserung des Gedächtnisses unser vorrangiges Ziel für Peptid 7 bleibt«, schrieb Martin, »werden wir zusätzlich die Eigenschaft prüfen, die auf den ersten Blick wie eine positive, vielversprechende Nebenwirkung aussieht und vielleicht klinische Möglichkeiten eröffnet.«
Wenn der Bericht auch relativ zurückhaltend abgefaßt war, so befanden sich Martin und seine Harlower Kollegen doch in heller Aufregung.
TEIL VIER
1977-1985
1
Majestätisch und würdevoll wie kein anderes Transportmittel bahnte sich der Frachter SS SantaIsabellaseinen Weg durch den Fort Armstrong Channel nach Honolulu Harbor.