»Das leuchtet mir ein.« Celia dachte über das eben Gehörte nach und sagte dann: »Seit ich wieder in der Firma bin, habe ich an manchen Tagen das Gefühl, kalt und berechnend zu sein, weil ich immer nur über die Kosten nachdenke.«
»Ich kenne Sie bereits gut genug, um zu wissen, daß das niemals der Fall sein wird«, sagte Quentin. »Außerdem, meine Liebe, kann ich Ihnen versichern, daß ich dieser schrecklichen Tragödie auch nicht ungerührt gegenüberstehe. Sicher, ich muß meine Arbeit tun, und ich werde sie tun. Aber ich bin selbst Vater und Großvater, und mir blutet das Herz, wenn ich an diese Kinder, an diese zerstörten Leben denke.«
Durch dieses und andere Gespräche wurde erreicht, daß weitere fünfzig Millionen Dollar für eventuelle gütliche Einigungen bereitgestellt wurden.
Drohend zeichneten sich auch die geschätzten Kosten von acht Millionen Dollar für die Zurücknahme und Vernichtung aller Vorräte von Montayne ab.
Als Celia Seth Feingold diese Summen nannte, nickte er ernst, war aber nicht so erschrocken, wie sie erwartet hatte.
»Seit Beginn des Jahres haben wir zwei überraschende Einnahmequellen«, erklärte der Chef des Rechnungswesens. »Das eine sind die außerordentlich guten Gewinne aus unseren rezeptfreien Produkten, bei denen der Umsatz viel höher liegt als erwartet. Außerdem haben wir einen üppigen, unerwarteten, aber >einmaligen< Gewinn aus den Auslandsverkäufen erzielt. Normalerweise würden davon natürlich unsere Aktionäre profitieren. Aber wie es jetzt aussieht, werden die Gewinne in dem Reserve-Fonds landen.«
»Wir können dankbar sein«, sagte Celia. Sie mußte daran denken, daß es nicht das erste Mal war, daß die rezeptfreien Produkte, die sie einmal geringgeschätzt hatte, Felding-Roth in schweren Zeiten über Wasser gehalten hatten.
»Etwas anderes, das für uns zu arbeiten scheint«, fuhr Seth fort, »sind die vielversprechenden Nachrichten aus Großbritannien. Sie haben sicherlich davon gehört.«
»Ja. Ich habe die Berichte gelesen.«
»Daraufhin werden uns die Banken bei Bedarf Kredit gewähren.«
Celia war überglücklich gewesen, als sie von den Fortschritten im Harlower Institut erfahren hatte. Peptid 7, ein aufregendes neues Medikament, würde höchstwahrscheinlich bald vorgestellt werden - »bald« bedeutete allerdings im Jargon der Arzneimittelentwicklung soviel wie weitere zwei Jahre, bevor bei den zuständigen Behörden der Zulassungsantrag gestellt werden konnte. Um Sam wieder in die Firmenpolitik einzubeziehen, war Celia zu ihm gegangen, um mit ihm die letzten Neuigkeiten aus Großbritannien zu besprechen.
Da das Institut in England Sams Idee gewesen war und er darum gekämpft hatte, es weiter zu unterstützen, nahm sie an, daß er sich freuen würde, sein Vertrauen bestätigt zu sehen; sie hoffte, daß es ihm helfen würde, seine Depression zu überwinden. Das war nicht der Fall. Sam reagierte gleichgültig. Er lehnte auch den Vorschlag ab, nach England zu fliegen, um mit Martin Peat-Smith zu reden und zu beurteilen, welche Bedeutung das, was dort vor sich ging, hatte.
»Ich bin überzeugt, daß Sie das auch ohne mich herausfinden können«, erklärte er Celia.
Aber selbst Sams Einstellung änderte nichts an der Tatsache, daß Harlow für die Zukunft von Felding-Roth von größter Bedeutung war.
Und noch etwas kam hinzu.
Vincent Lords langjährige Untersuchungen über das, was chemisch »die Ausschaltung der freien Radikale« genannt wurde, die Beseitigung schädlicher Nebenwirkungen von sonst nützlichen Medikamenten, hatten endlich positive Ergebnisse erbracht. Diese Ergebnisse sahen so günstig aus und wiesen auf einen so großen wissenschaftlichen Durchbruch hin - was sich Vincent Lord schon immer erträumt hatte -, daß in den amerikanischen Labors von Felding-Roth die Weiterentwicklung auf Hochtouren lief.
Zwar würde das britische Peptid 7 auf jeden Fall zuerst verfüg-bar sein, aber Vincent Lords Erfindung, die provisorisch »Hexin W« hieß, würde wahrscheinlich nur ein oder zwei Jahre später kommen. Das hatte zur Folge, daß Lords Zukunft bei Felding-Roth gesichert war. Celia hatte schon überlegt, ob sie Lord nicht durch jemand anders ersetzen sollte, weil er sich für Montayne so stark gemacht hatte und auch aus anderen Gründen. Aber jetzt schien er zu wertvoll, als daß man ihn gehen lassen konnte.
Somit sah die Zukunft der Firma erstaunlicherweise und trotz der Wolke, die wegen Montayne über ihr hing, plötzlich wieder freundlicher aus.
6
In Harlow waren Yvonne Evans und Martin Peat-Smith immer häufiger zusammen.
Obgleich Yvonne ihre kleine Wohnung behalten hatte, war sie selten dort. An den Wochenenden und in den meisten Nächten während der Woche war sie bei Martin und kümmerte sich um seinen Haushalt, widmete sich aber auch hingebungsvoll der Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse - und natürlich auch ihrer eigenen.
Yvonne hatte die Küche völlig verwandelt. Hier bereitete sie abwechslungsreiche, leckere Mahlzeiten und erwies sich als talentierte Köchin. Sie hinterließ Zettel mit Anweisungen für die Zugehfrau, so daß das ganze Haus bald einen sauberen und gepflegten Eindruck machte.
Martins Menagerie wurde um eine Siamkatze erweitert. Und eines Sonnabends, als Martin im Institut arbeitete, brachte Yvonne an der Hintertür im Erdgeschoß eine »Katzenschwing-tür« an, so daß die Katzen kommen und gehen konnten, wann sie wollten.
Wenn Yvonne über Nacht blieb, führte sie morgens die Hunde aus, so daß sie jetzt zweimal täglich Bewegung hatten, da Martin abends mit ihnen spazierenging.
Martin fand das alles wunderbar.
Und noch etwas gefiel ihm - Yvonnes fröhliches, meist be-langloses unaufhörliches Geplapper. Sie redete über alle möglichen Dinge: über Filme, die gerade im Kino liefen; über das Privatleben von Stars, Popmusikern und deren private Eskapaden; über das Fernsehen und den Klatsch im Institut und über sexuelle Ausschweifungen von Geistlichen, von denen die aufmerksame britische Presse berichtete; auch über politische Skandale . . . Yvonne merkte sich alles, was sie sah und hörte, und saugte es auf wie ein Schwamm.
Ein besonderes Interesse - es war fast eine Passion - galt dem Prince of Wales und seinen zahlreichen Romanzen.
»Wenn er noch ein bißchen Geduld hat, findet er bestimmt eine, die besser zu ihm paßt«, erklärte sie in bezug auf eine Kandidatin.
»Er wird sich selbst auch schon Sorgen machen. Warum schreibst du ihm nicht mal und beruhigst ihn?« spottete Martin.
Aber Yvonne hörte gar nicht zu. »Was er braucht, ist eine englische Rose«, sagte sie fast poetisch.
Auch wenn sie Klatschgeschichten über alles liebte, war sie doch keineswegs einfältig. Sie interessierte sich auch für viele ernsthafte Dinge, vor allem für die Theorie, auf die sich die Forschungen im Institut stützten, die Martin ihr geduldig erklärte und die sie auch zu verstehen schien. Und sie war wißbegierig, als sie von seiner Verehrung für John Locke erfuhr. Martin traf sie mehrmals mit einem aufgeschlagenen Exemplar von Lockes Essay an, in dem sie mit gerunzelter Stirn las.
»Das ist nicht leicht zu verstehen«, gab Yvonne zu.
»Nein«, sagte er. »Man muß sich eingehend damit beschäftigen.«
Martin war überzeugt, daß über ihr Verhältnis geklatscht wurde - Harlow war klein. Aber innerhalb des Forschungsinstituts trafen sie sich nie, es sei denn, daß die Arbeit es erforderte. Außerdem war Martin der Ansicht, daß sein Privatleben niemanden etwas anginge.
Er hatte noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht, wie lange diese Beziehung andauern sollte, aber aus ihren beiläufigen Bemerkungen war zu entnehmen, daß keiner es für nötig erachtete, darüber zu reden, oder es als etwas anderes ansah als eine vorübergehende Verbindung.