Der Mann, etwa im gleichen Alter, war schmächtig, und man hätte ihn unter anderen Umständen vielleicht sogar als freund-lich und still bezeichnen können. Er wirkte wie ein Buchhalter, hatte gelichtete Haare, eine leicht krumme Haltung und trug eine Nickelbrille. Er lächelte die Eintretenden trotzig an.
»Da haben wir das entzückende Pärchen«, sagte der Inspektor. »Sie wurden bereits belehrt, daß sie keine Aussage zu machen brauchen, aber sie scheinen reden zu wollen. Sind richtig stolz auf sich.«
»Das können wir auch sein«, sagte der Mann. Er hatte eine rauhe und unstete Stimme und hustete nervös. »Wir haben eine gute Tat vollbracht.«
»Haben Sie eigentlich eine Ahnung«, schrie Martin ihn an, »was Sie angerichtet haben? Wieviel wichtige Forschungsergebnisse Sie vernichtet haben?«
»Wir wissen«, sagte die Frau, »daß wir ein paar arme Kreaturen davor bewahrt haben, von Ihnen seziert zu werden - wir haben sie aus den Händen von Tyrannen befreit, die aus egoistischen Motiven Tiere ausbeuten.«
»Sie haben ja keine Ahnung!« Martin hätte die beiden am liebsten geschlagen, hielt sich aber zurück. »Alle Tiere, die Sie ausgesetzt haben, sind in Gefangenschaft geboren. Draußen können sie nicht überleben. Sie werden auf schreckliche Weise umkommen. Und die noch im Haus sind, wird man töten müssen.«
»Immerhin besser«, sagte die Frau, »als Ihre unmenschlichen Grausamkeiten ertragen zu müssen.«
»Er ist nicht unmenschlich! Er ist nicht grausam!« Yvonne stand mit rotem Gesicht da, ihre Stimme war schrill. »Dr. Peat-Smith ist einer der gütigsten Menschen. Er liebt Tiere.«
»Wohl als Haustiere«, sagte der Mann höhnisch.
»Wir halten nichts von Schoßtieren«, erklärte die Frau. »Das sind doch nur Sklaven. Wir glauben, daß Tiere die gleichen Rechte haben sollten wie Menschen. Außerdem darf es für Tiere keine Beschränkungen geben, sie dürfen nicht eingeengt sein oder leiden müssen, nur damit Menschen glücklicher oder gesünder werden.« Sie sprach sehr selbstsicher und überzeugt, so wie jemand, der meint, die Moral gepachtet zu haben.
»Außerdem glauben wir auch, daß die menschliche Rasse an-deren Rassen keineswegs überlegen ist«, erklärte der Mann.
»In Ihrem Fall glaube ich das gern«, entgegnete der Inspektor.
Martin wandte sich an die Frau. »Sie und Ihr verrückter Freund haben gerade jahrelange wissenschaftliche Arbeit zunichte gemacht. Und es wird Jahre dauern, sie zu wiederholen. Und in dieser Zeit müssen Tausende, vielleicht Hunderttausende von Menschen, die Hilfe benötigen, auf ein Medikament verzichten, das ihnen ein erträglicheres Leben ermöglicht hätte . . .«
»Fein«, unterbrach ihn die Frau und spuckte Martin die Worte geradezu ins Gesicht, »das ist gut für unsere Organisation! Das höre ich gern. Ich bin froh, daß unsere Bemühungen Erfolg hatten. Und wenn Sie das, was Sie wissenschaftliche Arbeit nennen, ich aber barbarische Greueltaten, wiederholen, dann kann ich nur hoffen, daß Sie dabei eines qualvollen Todes sterben.«
»Sie sind ja verrückt!« schrie Yvonne und stürzte sich auf die Frau. Einen Augenblick war es still, niemand begriff im ersten Moment, was geschah, dann hatte sich Yvonne auch schon über die Frau hergemacht und zerkratzte ihr mit den Fingernägeln das Gesicht.
Martin und der Inspektor rissen Yvonne zurück.
»Das war ein tätlicher Angriff!« kreischte die Frau. »Ein verbrecherischer Überfall.« Während Blut über ihr Gesicht strömte, forderte sie die beiden Polizisten auf: »Nehmen Sie diese Furie sofort fest! Sie muß vor Gericht gestellt werden.«
»Diese Dame festnehmen?« Der Inspektor schien bestürzt. Er warf einen Blick auf Yvonne, die am ganzen Körper zitterte. »Weshalb festnehmen? Ich habe nichts gesehen.« Er blickte den jungen Polizisten an. »Haben Sie was gesehen?«
»Nein, Sir«, erwiderte der. »Ich nehme an, die Wunden wurden der Gefangenen von den Tieren beigebracht, als sie die Käfige öffnete.«
Martin legte den Arm um Yvonne. »Gehen wir. Es hat keinen Sinn, mit diesen Leuten zu reden.«
Sie hörten noch, wie der Inspektor fragte: »Und wie war's, wenn wir jetzt vernünftig wären und ich die Namen von den anderen erführe, die noch dabei waren?«
»Verdufte, Bulle«, zischte die Frau.
Bentley war Martin und Yvonne gefolgt. »Die beiden kommen ins Gefängnis«, versicherte er. »Und dort werden sie andere von ihrer Organisation treffen, die wegen früherer Delikte eingesperrt sind. Diese Leute halten sich für Märtyrer. Ich hab' schon viel über sie gelesen. Offenbar haben sie 'ne Menge Anhänger im ganzen Land.« Düster fügte er hinzu: »Es tut mir leid. Ich hätte damit rechnen müssen.«
»Das konnte keiner von uns wissen«, sagte Martin. Er stieß einen Seufzer aus. »Morgen werden wir damit beginnen, alles aufzuräumen, um zu sehen, was uns noch geblieben ist.«
7
Die deprimierende Aufgabe, den Schaden im Harlower Forschungsinstitut abzuschätzen, nahm mehrere Tage in Anspruch. Am Ende wurde deutlich, daß der Einbruch sie um mindestens zwei Jahre zurückgeworfen hatte.
Aus der Asche eines verkohlten Papierhaufens vor dem Gebäude wurde ein kleiner Teil des Materials gerettet, aber nicht viel. Später berichtete Nigel Bentley: »Diese Irren müssen gewußt haben, wonach sie suchen und wo sich alles befand. Das bedeutet, daß ihnen jemand aus dem Institut geholfen haben muß, und wie die Polizei meint, paßt das genau zu den anderen Überfällen, die sie auf dem Kerbholz haben. Wie ich hörte, überreden sie meist Leute wie Putzfrauen oder so, ihnen Informationen zu geben. Ich werde mich bemühen herauszufinden, wer bei uns der Judas war - allerdings habe ich nicht viel Hoffnung.«
Bentley traf für die Zukunft stärkere und teurere Sicherheitsvorkehrungen. »Das ist zwar so, als würde man den Safe erst im nachhinein einbauen, aber diese Leute geben nicht so leicht auf und kommen vielleicht zurück«, meinte er.
Martin gab einen Tag nach dem Einbruch telefonisch einen Bericht nach New Jersey durch. Er sprach mit Celia Jordan. Martin hatte schon erfreut von Celias Rückkehr in die Firma gehört. Jetzt drückte er sein Bedauern aus, daß ihr erstes Gespräch mit so schlechten Nachrichten zu tun hatte.
Celia war schockiert, als sie von der Verwüstung in Harlow erfuhr, die in einem so krassen Gegensatz zu den letzten erfreulichen Berichten über die Fortschritte mit Peptid 7 stand.
»Wir werden alle Tierversuche wiederholen müssen«, sagte Martin, »um wieder zu Meßdaten zu kommen, die wir benötigen, bevor der Antrag auf Zulassung gestellt werden kann. Es ist ein schrecklicher Zeitverlust, verbunden mit erheblichen zusätzlichen Kosten.«
»Handelt es sich wirklich um zwei Jahre?«
»Wir werden uns bemühen, soviel Zeit einzusparen wie möglich. Natürlich wissen wir jetzt mehr als vor zwei Jahren und können deshalb vielleicht ein paar Verfahren abkürzen. Wir werden uns jedenfalls Mühe geben.«
»Sie sollten wissen«, sagte Celia, »daß Peptid 7 für uns ungemein wichtig geworden ist. Erinnern Sie sich an unser Gespräch damals in Ihrem Haus? Sie sagten, wenn man Ihnen ein bißchen mehr Zeit ließe, dann könnten Sie ein Medikament herstellen, das Felding-Roth sehr reich machen würde. Das waren Ihre eigenen Worte.«
Martin verzog am anderen Ende der Leitung das Gesicht. »Ich fürchte, daran kann ich mich nicht erinnern. Da habe ich mich nicht gerade sehr wissenschaftlich ausgedrückt, und ich hoffe, daß außer uns beiden niemand etwas davon erfährt.«
»Bestimmt nicht. Aber ich habe Sie daran erinnert, weil der erste Teil Ihrer Voraussage eingetroffen ist. Jetzt benötigen wir dringend den Rest.«
»Zwei Jahre, um wieder so weit zu kommen, wie wir waren«, wiederholte Martin. »Viel weniger wird es nicht sein.«
Aber das Gespräch spornte ihn an, sich mit der Neuorganisation zu beeilen. Es wurden Ersatztiere bestellt, und nach deren Eintreffen wurde im Institut wieder mit den Versuchen begonnen - eine Arbeit, die man vor langer Zeit schon einmal verrichtet hatte. Nach drei Wochen lagen bereits die ersten Ergebnisse vor.