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»Ja, ich weiß.«

Mary sah ihn an. »Dr. Wade, bitte sagen Sie mir, daß es nicht wahr ist. Sagen Sie mir, daß es nicht stimmt, was sie sagen.«

»Wen meinst du mit >sie<, Mary?«

»Dr. Evans und meine Eltern. Meine Mutter ist mit mir zu ihm gegangen, er ist Gynäkologe, und er sagte, daß ich ein Kind bekomme.«

»Ach, so.«

»Und meine Mutter war ganz außer sich.« Die Worte kamen jetzt in einem Schwall. Mary strömten die Tränen über das Gesicht. »Ich hab sie noch nie so gesehen. Und mein Vater ist genauso. Er glaubt, ich hätte es mit Mike getan. Aber ich hab es überhaupt noch nie getan, Dr. Wade. Ich weiß, daß es unrecht ist und daß man es erst tun soll, wenn man verheiratet ist, weil es sonst eine Sünde ist. Aber ich weiß nicht, warum sie mir nicht glauben. Ich sage doch die Wahrheit!«

Jonas Wade lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich kenne Dr. Evans, Mary. Er ist ein ausgezeichneter Arzt.«

»Aber er täuscht sich.«

»Mary.« Jonas Wade stand auf und kam um seinen Schreibtisch herum. Er setzte sich in den Sessel neben Mary und beugte sich zu ihr. »Mary, du bist ein intelligentes Mädchen. Du bist in der Schule bestimmt sehr gut.«

»Ja. Ich bin in der Begabtenklasse.«

»Na bitte! Du hast Biologieunterricht. Du mußt doch wissen, daß das, was du behauptest, unmöglich ist.«

Sie schüttelte den Kopf. »Gerade weil ich Biologie habe, weiß ich ja, daß das, was Sie und Dr. Evans sagen, unmöglich ist.«

Jonas Wade ließ sich das einen Moment durch den Kopf gehen. »Mary, was weißt du über Verhütung?«

»Ich weiß, daß es unrecht ist zu verhüten.«

»Ich verstehe.« Er lehnte sich zurück und bedachte seine nächsten Worte. »Du gehst regelmäßig zur Kirche?«

»Ja.«

»Das dachte ich mir. Und du gehörst zur Katholischen Jugend?«

»Ja.«

Jonas Wade nickte langsam und nachdenklich. Den Blick auf Marys Gesicht gerichtet, versuchte er zu erkennen, was hinter den beinahe noch kindlichen Zügen vorging, die jetzt Verwirrung und Schmerz ausdrückten, versuchte, in den Tiefen der blauen Augen den Schatten eines Gedankens zu erhaschen. Aber alles, was er entdeckte, war die arglose Ehrlichkeit der Unschuldigen, die ungeheuchelte Verwirrung der fälschlich Beschuldigten. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn innehalten ließ. Es kam ihm der Gedanke, daß dieses Mädchen vielleicht die Wahrheit sagte.

Eine Erinnerung wurde wach. Er blickte in das unschuldige junge Gesicht des Mädchens und entsann sich eines Berichts, den er vor noch nicht langer Zeit gelesen hatte - von einer ledigen Mutter in England, die mit ihrer Behauptung, unberührt gewesen zu sein, großes Aufsehen erregt hatte ...

»Mary«, sagte er schließlich, »wissen deine Eltern, daß du hier bist?«

»Nein. Ich wußte ja selbst nicht, daß ich hierher kommen würde. Ich bin einfach aus dem Haus gerannt, hab mein Fahrrad gepackt und bin so weit geradelt, wie ich konnte. Ich weiß nicht, warum ich zu Ihnen gekommen bin. Wahrscheinlich muß ich einfach mit jemandem reden, und ich wußte sonst niemanden .«

»Ich muß deine Eltern anrufen, Mary.«

Sie seufzte. »Ich weiß.« Sie drehte den Kopf und sah durch das Fenster wieder zum dunstigen gelben Himmel hinaus, während Jonas Wade die Telefonnummer ihrer Eltern wählte.

Er lebte in einem großen Bungalow im besseren Teil von Woodland Hills in einer von Eukalyptusbäumen beschatteten Straße, wo stattliche Villen weit zurückgesetzt in großen Gärten standen. Das Haus war ein weiträumiger Bau im typischen kalifornischen Ranch-Stil mit großen Panoramafenstern, die vorn auf einen gepflegten Vorgarten hinausblickten und hinten auf Rasenflächen unter Avocado- und Orangenbäumen und ein großes Schwimmbecken.

Einen Tequila-Sunrise in der Hand, von dem er hin und wieder trank, stand Jonas Wade am Fenster des Wohnzimmers und beobachtete eine Gruppe junger Leute, die sich draußen am Schwimmbecken tummelte. Aus der Küche zogen die Düfte des Abendessens herein, und ab und zu konnte er durch das Glas das Kreischen der jungen Leute hören, die sich gegenseitig ins Wasser stießen.

Aber das alles nahm er nur am Rande wahr. Seit er Mary Ann McFarland ihren erregten Eltern übergeben hatte, wollte ihm das Mädchen nicht mehr aus dem Sinn. Er hatte ähnliche Szenen schon mehrmals im Lauf seiner ärztlichen Praxis erlebt: verzweifelte junge Dinger und aufgeregte Eltern. Doch diesmal war es ein wenig anders gewesen - zwar war Mary Ann verzweifelt gewesen, doch sie hatte nicht aufgehört, ihre Unschuld zu beteuern.

Während Jonas Wade geistesabwesend dem ausgelassenen Treiben seiner beiden Kinder mit ihren Freunden zusah, meldete sich wieder die Erinnerung an den Bericht, der ihm am Ende seines Gesprächs mit der kleinen McFarland plötzlich eingefallen war. Wo hatte er ihn nur gelesen? Und wann? Er hatte ihn damals nur flüchtig überflogen und sogleich wieder vergessen. Nur die Ähnlichkeit der jetzigen Situation mit der geschilderten hatte die Erinnerung wachgerufen. In England. Eine Ärztin, die den Beteuerungen der Frau geglaubt hatte, hatte sich mit dem Fall befaßt. Hatte Untersuchungen angestellt, die interessante Daten zutage gefördert hatten. Aber wie hatte der Befund schließlich ausgesehen?

Penny eilte ins Wohnzimmer. Er hörte das Klappern ihrer Absätze auf dem Parkettboden und sah sie, als sie an ihm vorbeilief - klein, zierlich und beweglich, in Shorts und einem trägerlosen Oberteil, das schwarze Haar noch in dicken Wicklern.

»Das Essen ist in zehn Minuten fertig«, rief sie ihm zu. »Ruf die Kinder rein, ja?«

Jonas trank den letzten Schluck seines Cocktails und ging zur Terrassentür. Die drückende Hitze schlug ihm ins Gesicht, als er sie aufzog, und die Gerüche von jungen Eukalyptusblät-tern, faulenden Früchten, welkem Gras und Staub stieg ihm in die Nase. Einen Moment tat es ihm leid, die jungen Leute vom heiteren Spiel in Sonne und Wasser wegholen und in das von der Klimaanlage kalte Haus rufen zu müssen. Er betrachtete die schlanken, braungebrannten Körper, die in der Sonne glänzten; zwei Mädchen und zwei junge Männer, sprühend vor Lebenslust.

»Hallo, Kinder!« rief er laut.

Sie verstummten und drehten sich nach ihm um; die achtzehnjährige Cortney, zum Sprung bereit auf dem Drei-MeterBrett; ihre Freundin Sarah Long, die am Beckenrand saß; der neunzehnjährige Brad und sein Freund Tom im Wasser.

»Das Essen ist gleich fertig. Zieht euch was an!«

Er kehrte ins Haus zurück, hörte das Klatschen des Wassers, als Cortney hineinsprang, dann lautes Gelächter. Er zog die Tür hinter sich zu und ging zur Bar, um sich noch einen Drink zu machen. Lächelnd nickte er der geschäftig vorbeieilenden Carmelita zu; sie war eine gute Haushälterin, auch wenn sie kaum ein Wort englisch sprach. Sie war fleißig und immer freundlich. Und einmal in der Woche servierte sie den Wades enchiladas und tostadas, wie sie nur südlich der Grenze zu bekommen waren.

Mit dem Glas in der Hand ging er zu seinem Arbeitszimmer. Drinnen blieb er unschlüssig stehen. Er wußte gar nicht, was er hier wollte. Sein Blick fiel auf die nagelneue Urkunde, die auf seinem Schreibtisch lag; eine große Ehre, auf ein weiteres Jahr zum Präsidenten der Galen-Gesellschaft gewählt worden zu sein. Als er die Urkunde am vergangenen Samstag erhalten hatte, auf der Junisitzung der elitären Vereinigung, die insgesamt nur zwanzig Mitglieder hatte, war er sehr stolz gewesen und im ersten Moment sprachlos vor Freude. Aber schon einen Tag später war das Hochgefühl stark abgeflaut. Schließlich war er eines der Gründungsmitglieder der GalenGesellschaft, er hatte angeregt, die Mitgliederzahl auf zwanzig zu beschränken und nur die angesehensten Ärzte aufzunehmen. Na schön, dann hatten sie ihn eben wieder zum Präsidenten gewählt - aber war das so umwerfend?