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Sie drehte den Kopf wieder zur Seite. »Nein.«

»Warum nicht?«

»Darum.«

»Das ist keine Antwort.«

»Weil es ihnen sowieso egal ist.«

»Du scheinst zu glauben, daß es mir nicht egal ist.«

Sie riß ihren Kopf herum und sah ihn mit leuchtenden Augen an. »Ja«, antwortete sie heftig. »Das glaube ich. Ihnen bin ich nicht egal. Sie verstehen mich. Vorgestern abend, als meine Eltern zu Ihnen in die Praxis kamen, um mich zu holen, sagten Sie, sie glaubten nicht, daß ich lüge.«

»Das ist richtig, Mary«, sagte er. »Aber«, fügte er ernst hinzu, »daß heißt noch nicht, daß ich dir glaube. Es ist da ein Unterschied. Ich sagte nur, daß du meiner Ansicht nach selbst glaubst, was du sagst; aber ich wollte damit nicht sagen, daß es wahr sein muß.«

»Das spielt keine Rolle. Das Entscheidende ist doch, daß Sie mich nicht für eine Lügnerin halten, Dr. Wade. Sie glauben nicht, daß ich etwas Unrechtes getan habe.«

Jonas Wade hatte Mühe, seine Beunruhigung zu verbergen. Mit leicht zusammengekniffenen Augen sah er in das junge hoffnungsvolle Gesicht und war einen Moment lang versucht, ihr von seinen Nachforschungen zu berichten. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Es wäre leichtfertig gewesen, ihr schon jetzt etwas davon zu sagen. Er wollte wenigstens warten, bis er mit der Embryologin gesprochen hatte, die Bernie ihm empfohlen hatte.

»Dr. Wade«, sagte Mary leise, »wenn Sie der Ansicht sind, daß ich selbst es glaube, wenn ich sage, daß ich nicht mit einem Jungen geschlafen habe, glauben Sie dann auch, daß ich es wirklich nicht getan habe?«

»Unsere Psyche tut die komischsten Dinge, Mary. Vielleicht hast du etwas getan und erinnerst dich einfach nicht mehr daran.«

Sie schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf. »Nein. Ich habe nie mit einem Jungen geschlafen.«

Pater Crispin und die McFarlands saßen draußen im Korridor. »Danke, daß Sie gewartet haben«, sagte Jonas Wade. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Pater Crispin, ich bin Ihnen für Ihren Beistand in dieser Angelegenheit dankbar.«

Er führte sie zum Ärztezimmer, und als alle sich gesetzt hatten, sagte er: »Mr. McFarland, Sie und Ihre Frau müssen jetzt eine wichtige Entscheidung treffen. Pater Crispin und ich sind gern bereit, Sie zu beraten, aber letztlich liegt die Entscheidung allein bei Ihnen.«

Ted, der Lucilles Hand umschlossen hielt, nickte nur.

»Bei einem Selbstmordversuch«, fuhr Jonas Wade fort, »insbesondere bei Minderjährigen, ist es meine Pflicht, der Polizei Meldung zu machen. Es geht dabei nicht um eine Strafverfolgung, sondern um den Schutz des Opfers. Minderjährige werden dabei in der Regel dem Gericht unterstellt, das dafür sorgt, daß sie aus den Verhältnissen herausgenommen werden, die sie zu dem Selbstmordversuch getrieben haben.«

Ted wollte etwas sagen, doch Jonas Wade hob abwehrend die Hand. »Bitte lassen Sie mich zu Ende sprechen. Es ist klar, daß jeder Fall anders liegt. Die Familienverhältnisse, die Lebensumstände, in denen das Kind sich befindet, unterscheiden sich von Fall zu Fall. Sehr häufig kommt einem Kind das Eingreifen der Behörden zugute. Beispielsweise wenn es aus einer unerträglichen häuslichen Situation herausgenommen wird.«

Ted spürte, wie Lucille ihm ihre Hand entzog. Er sah sie an. Ihr Blick war in konzentrierter Aufmerksamkeit auf den Arzt gerichtet.

»Ich bin mir jedoch nicht sicher«, fuhr Jonas Wade fort, »daß in Marys Fall eine behördliche Intervention wirklich in ihrem Interesse wäre. Ich meine, in Anbetracht dessen, was ich über ihr Zuhause und ihre tiefe Verbindung zur Kirche weiß. Ich fühle mich nicht verpflichtet, diesen Fall zu melden, wenn wir, die wir hier sitzen, gemeinsam eine angemessene und praktische Lösung finden können.«

In dem kleinen Aufenthaltsraum, in dem es nach kaltem Zigarettenrauch roch, war es einen Moment lang still. Dann fragte Ted leise: »Hat Mary mit Ihnen gesprochen, Dr. Wade?«

»Ja, aber was sie mir sagte, kann ich nicht weitergeben. Sie hat das gleiche Recht wie jeder Erwachsene darauf, daß ihre Mitteilungen im Rahmen des Arztgeheimnisses vertraulich behandelt werden. Eines kann ich und will ich jedoch sagen: Wir müssen rasch handeln.«

»Dr. Wade.« Lucilles Stimme war tonlos. Ihr Gesicht war sehr bleich. »Warum hat sie es getan?«

Er breitete die Hände aus. »Warum fragen Sie das nicht Ihre Tochter?«

Lucille schüttelte nur den Kopf.

»Ich verstehe nicht«, sagte Ted beinahe heftig, »wieso Mary sich Fremden öffnet, Leuten, die nicht zur Familie gehören, und sich weigert, mit uns zu sprechen. Vertraut sie uns denn nicht, Dr. Wade?«

»Mr. McFarland, Ihre Tochter klammert sich im Augenblick an jeden, der bereit ist, ihr zu glauben. Offenbar haben Sie und

Ihre Frau ihr deutlich gezeigt, daß Sie ihrer Behauptung keinen Glauben schenken, deshalb verweigert sie sich Ihnen.«

»Aber es ist doch ausgeschlossen, daß sie die Wahrheit sagt!«

Jonas Wade wiegte den Kopf hin und her. »Dieser Fall hat einige äußerst ungewöhnliche Aspekte. Die Hartnäckigkeit, mit der sie an ihrer Behauptung festhält .« Einen Augenblick lang erwog er, ihnen von seinem Verdacht und seinen Recherchen zu berichten, verwarf es aber wie zuvor bei Mary. Er wollte erst mit Dr. Henderson sprechen. »Außerdem kommt es nicht darauf an, ob sie die Wahrheit sagt oder nicht. Der springende Punkt ist, daß sie selbst an ihre Unschuld glaubt, und Sie sich weigern, ihr zu glauben.«

»Kommt so etwas häufig vor?« fragte Pater Crispin.

»Höchst selten, Pater. Viele Mädchen behaupten, vergewaltigt worden zu sein, wenn sie nicht eingestehen wollen, daß sie sich auf intime Beziehungen eingelassen haben. Aber daß ein Mädchen beteuert, unberührt zu sein, obwohl an einer Schwangerschaft kein Zweifel besteht, kommt, wie gesagt, äußerst selten vor. In psychiatrischen Fachzeitschriften stößt man hin und wieder auf einen Bericht über einen solchen Fall; wo Frauen bis zur Entbindung und selbst danach noch behauptet haben, niemals mit einem Mann zusammen gewesen zu sein. Meistens sind das Fälle für den Psychiater.«

»Nein!« flüsterte Lucille. »Meine Tochter ist doch nicht verrückt.«

»Das habe ich auch nicht behauptet, Mrs. McFarland. Im übrigen sollte das im Moment nicht unsere Hauptsorge sein. Die Realität sieht doch folgendermaßen aus, Mr. und Mrs. McFarland: Ihre minderjährige Tochter ist schwanger. Sie befindet sich in einem emotionalen Zustand höchster Labilität und braucht Schutz und Hilfe. Sie müssen nun entscheiden, was geschehen soll. Da Abtreibung gesetzlich verboten ist, und ich annehme, daß eine Heirat nicht in Frage kommt -« er machte eine kurze Pause, um ihre Gesichter zu mustern -»bleiben Ihnen nur zwei Möglichkeiten. Entweder Sie behalten Mary zu Hause, oder Sie geben sie fort, bis das Kind geboren ist.«

»Was soll das heißen?« fragte Ted erschrocken. »Sie weggeben?«

»Meiner Ansicht nach wäre es für Mary das Beste, wenn sie an einen Ort käme, wo sie unter ständiger Aufsicht und Fürsorge ist.«

Er beobachtete die drei Gesichter. Am längsten ruhte sein Blick auf dem Pater Crispins. Er konnte dem Mann ansehen, daß er äußerst erregt war, und er konnte sich auch denken, warum. Nach allem, was er gehört hatte, war Mary Ann McFarland das Muster einer guten Katholikin, hatte dem Gemeindegeistlichen stets getreulich alle ihre Sünden, auch die peinlichsten und geheimsten, gebeichtet. Und doch hatte sie diese eine zum Kummer des Priesters verschwiegen.

»Dr. Wade«, sagte Pater Crispin nach längerem Schweigen, »ich weiß nicht, wozu Sie Mr. und Mrs. McFarland raten werden, aber ich möchte doch sagen, daß mich diese Geschichte tief bestürzt und ich darum einen Vorschlag machen würde.«

»Gern, Pater. Ihr Beistand ist mir, wie ich schon sagte, sehr willkommen.«

»Gut«, sagte Pater Crispin, »dann würde ich folgendes vorschlagen.«