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Aber Amy, die noch nicht erfahren hatte, daß ihre Schwester am folgenden Morgen abreisen würde, hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als zu ihren Freunden zu laufen, um ihnen von ihren Abenteuern in San Diego zu berichten. Sie war erst zum Abendessen nach Hause gekommen, aber da hatte Mary mit Übelkeit in ihrem Bett gelegen, unfähig, zu Tisch zu kommen.

Erst spät am Abend hatte Mary endlich Gelegenheit gefunden, mit ihrer kleinen Schwester allein zu sein. Amy hockte im Schneidersitz mitten in ihrem chaotischen Zimmer, wo ein milde lächelnder Jesus neben einem Poster des Kingston Trios an der Wand hing, und häkelte im Takt zu ihrem derzeitigen Lieblingsschlager.

Mary hatte geklopft und dann die Tür geöffnet. »Hallo, kann ich reinkommen?«

»Hey!« Hastig hatte Amy ihre Häkelarbeit hinter ihrem Rücken versteckt. »Warum klopfst du nicht?«

»Ich hab geklopft.« Mary schaute zum Plattenspieler hinüber. »Die Musik ist wahnsinnig laut. Kann ich den Kasten einen Moment ausmachen?«

Mary ging durchs Zimmer und schaltete den Plattenspieler aus.

»Also, du kannst einem wirklich jede Überraschung verderben«, sagte Amy vorwurfsvoll.

Mary drehte sich um: »Wieso?«

Amy riß die Häkelarbeit hinter ihrem Rücken hervor. »Das wollte ich für dich machen. Eine Blume.«

Mary setzte sich Amy gegenüber und versteckte ihre Hände unter ihren Oberschenkeln. »Die ist ja süß! Und die schönen Farben.«

»Das wird dein Abschiedsgeschenk. Ich wollte es vor morgen früh noch fertigkriegen.«

Es gab Mary einen Stich, aber sie lächelte. »Du hast ja noch Zeit. Meinst du, ich werde dir fehlen?«

»Und wie!« Amy beugte sich wieder über ihre Häkelei. »Mann, ich beneide dich. Ich wollte, ich könnte mitfahren. Vermont, das ist doch toll. Und gleich drei Monate. Ich wußte gar nicht, daß du da eine Freundin hast. Ich frag mich nur, wie du den ganzen Sommer ohne Mike aushalten kannst.«

Mary drückte einen Moment die Augen zu und schluckte. Ach, Amy, ich wünschte, ich könnte dir die Wahrheit sagen. Ich mag dich nicht anlügen. Du solltest die Wahrheit wissen. Ja, wirklich. Ich hab schließlich nichts getan, worüber ich mich schämen müßte.

Amys Stimme drang an ihr Ohr. »Ich fahre morgen mit einer ganzen Bande nach Disneyland. Da gibt's eine ganz neue Berg- und Talbahn. Sie heißt Matterhorn .«

Und außerdem, dachte Mary, würdest du mir bestimmt glauben, wenn ich dir sagte, daß ich überhaupt nichts getan habe.

»Amy«, sagte sie, »ich muß dir was sagen .«

»Ja?« Amy hob den Kopf und sah ihre Schwester mit einem Blick erstaunlicher Reife an. »Ich muß dir auch was sagen.«

Mary, die bemerkte, daß einen Moment lang alles Kindliche aus Amys Gesicht gewichen war, runzelte die Stirn. »Was denn?«

»Ich wollte es dir und den Eltern schon seit Tagen sagen, aber ich bin nie dazu gekommen, weil sie wegen deinem Blinddarm total aus dem Leim waren, und dann bin ich nach San Diego gefahren, und heute beim Abendessen haben sie mir überhaupt nicht zugehört, weil sie über irgendwas ziemlich aufgeregt waren. Du weißt ja, wie sie manchmal sind. Aber du fährst morgen weg, und drum sag ich's dir jetzt, Mary.«

Mary wartete geduldig, während Amy sorgsam ihre Häkelarbeit zur Seite legte, sich die Hände an der Hose wischte und ihre Schwester dann fest ansah.

»Ich werde Nonne«, sagte sie leise.

Mary starrte sie sprachlos an. Am liebsten hätte sie losgelacht und Amy das Haar gerauft, aber als sie die ernsten braunen Augen sah, das ruhig entschlossene kleine Gesicht, überkam sie eine unerklärliche Furcht.

»Amy, ist das wirklich dein Ernst?«

»Aber ja. Ich weiß schon, viele Mädchen sagen, daß sie Nonne werden wollen und dann werden sie's doch nicht. Aber ich hab mir das echt gründlich überlegt, und Schwester Agatha hat mir dabei geholfen. Sie sagt, ich kann nächstes Jahr schon in ihren Orden eintreten und dann im Kloster zur Schule gehen, bis ich ins Noviziat eintrete.«

Mary zitterte. »Ach, Amy ...«

»Weißt du, wer mich überhaupt auf den Gedanken gebracht hat, Mary? Du! Vor ein paar Jahren hast du zu mir gesagt, daß du Nonne werden willst, weil du den Menschen helfen möchtest. Ich war damals erst neun oder zehn, und fand es ziemlich blöd. Da muß man ja dauernd nur schwarzes Zeug anziehen, dachte ich, und schminken darf man sich auch nicht. Aber jetzt, im Firmunterricht, hab ich oft mit Schwester Agatha geredet, Mary. Und sie hat mir erzählt, was die Nonnen alles für tolle Sachen machen. Sie können als Krankenschwestern arbeiten, oder in der Mission. Sie müssen nicht nur in ihren Zellen sitzen und Altardecken nähen.

Und dann fiel mir wieder ein, was du über das Peace Corps gesagt hast, und daß du den Benachteiligten helfen willst. Ich dachte, daß ich das auch gern tun würde. Ich möchte so sein wie du, Mary, aber ich möchte es für Jesus tun. Verstehst du, was ich meine?«

Mary wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen, vor der schwärmerischen Bewunderung und dem Idealismus in Amys leuchtenden Augen davongelaufen. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Sie dachte nur voller Trauer, ach, Amy, werde nicht erwachsen.

»Also, was meinst du?« fragte Amy gespannt.

Mary brachte ein Lächeln zustande und schaffte es, mit ruhiger Stimme zu antworten. »Das ist eine große Entscheidung, Amy.«

»Ich weiß. Aber Schwester Agatha hat gesagt, wenn ich im Kloster bin, wird mir das die Entscheidung erleichtern. Sie hat gesagt, ich würde bestimmt eine gute Nonne werden, und sie hat auch schon mit ihrer Mutter Oberin über mich gesprochen. Mama und Daddy freuen sich bestimmt.« Amy kniff plötzlich die Augen zusammen und sah ihre Schwester scharf an. »Mary! Ist was?«

»Aber nein!« Mary lachte. »Ich finde das ganz toll. Ich freu mich mit dir.« Sie drückte Amys Arm.

»Komm doch mit, Mary. Tritt auch in den Orden ein.«

»Oh -« Ihr Lachen wurde nervös. »Wie soll ich denn Mike heiraten und gleichzeitig Nonne werden, hm?«

Amy grinste und nahm ihre Häkelarbeit wieder auf. »Stimmt ja. Ich bin froh, daß du's gut findest.«

Mary starrte auf Amys sich flink bewegende Finger und hörte ihre Schwester fragen: »Was wolltest du mir denn sagen, Mary?«

Die Tränen schossen ihr in die Augen. »Nur, daß du mir fehlen wirst«, antwortete sie leise.

»Hey!« Amy sah strahlend auf. »Das ist das erste Mal, daß du so was zu mir sagst.« Sie warf Mary die Arme um den Hals und drückte sie. »Du wirst mir auch fehlen.«

Mary merkte plötzlich, daß der Wagen langsamer fuhr. Sie waren vom Freeway abgefahren und befanden sich jetzt in einem Wohnviertel mit altmodischen Häusern. Immer noch Amys Worte in den Ohren, drückte sie die Stirn an die Fensterscheibe und kämpfte gegen die Tränen. Nicht jetzt. Nicht hier. Ich weine, wenn ich allein bin ...

Der Wagen hielt an. Sie sahen alle drei hinaus zu der hohen Hecke und dem kleinen, unauffälligen Schild, auf dem >St. Anne's Maternity Hospital< stand.

10

Der Tag war schwül und dunstig; die Kondensstreifen der Düsenmaschinen am Himmel färbten sich gelb, und die Palmen standen müde und schlaff. Jonas Wade, der im kühlen Sprechzimmer seiner Praxis saß, merkte nichts von der drückenden Hitze draußen. Vor einer Viertelstunde war sein letzter Patient gegangen; jetzt konnte er sich der Arbeit zuwenden, die ihn seit Wochen beschäftigte.

In seiner Aktentasche, die unter dem Schreibtisch zu seinen Füßen stand, waren der Hefter voller Aufzeichnungen, die fotokopierten Artikel, das etwas obskure Buch, das er in einem Antiquariat entdeckt hatte, und sein Notizbuch voller ungeordnet niedergeschriebener Gedanken und Überlegungen, die in lesbare Form gebracht werden mußten. Das ganze Projekt, wenn man es so nennen wollte, lief unter dem Arbeitstiteclass="underline" >Parthenogenese beim Menschen: Eine Realität<.

Seit acht Wochen beschäftigte er sich mit diesem Thema, seit seinem ersten Gespräch mit Dorothy Henderson. In dieser Zeit hatte Jonas zahllose Stunden in der Bibliothek verbracht und jedes Wort, jeden Bericht, der seine Theorie untermauern konnte, gewissenhaft fotokopiert; er hatte Dorothy Henderson nochmals in ihrem Labor aufgesucht und sich danach im Encino Krankenhaus mit einem Spezialisten eingehend über die neuesten Verfahren zur Hautverpflanzung unterhalten. Aufgrund seiner Recherchen verdichtete sich seine Vermutung, daß Mary Ann McFarland in der Tat eine parthenogene-tische Mutter war, immer mehr. Gleichzeitig jedoch war er sich der Tatsache bewußt, daß seine ganze schöne Theorie in sich zusammenfallen würde, wenn er nicht einen entscheidenden Faktor miteinbezog: das Mädchen selbst.