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Jonas Wade saß da wie vor den Kopf geschlagen. »Du lieber Gott«, sagte er leise.

»Sie haben mir selbst gesagt«, fuhr Mary fort, »daß die

Empfängnis irgendwann in den ersten zwei Aprilwochen stattgefunden hat, wahrscheinlich näher dem Ende der zweiten Woche.« Marys Gesicht war wie von innen erleuchtet, die blauen Augen blitzten lebendig.

Jonas war entsetzt. »Mary«, sagte er ernst, »glaubst du allen Ernstes, daß dieser Heilige zu dir gekommen ist, während du schliefst, und dich geschwängert hat?«

»Es war so, Dr. Wade. Gott hat es mir zu erkennen gegeben.«

»Mary«, sagte er wieder und beugte sich weit über den Schreibtisch, um das Mädchen eindringlich anzusehen. Er wünschte jetzt aus tiefstem Herzen, er hätte es nicht so lange hinausgeschoben, ihr von den Ergebnissen seiner Nachforschungen zu berichten. »Mary, das, was du am Ende des Traums gefühlt hast, war eine ganz normale physiologische Reaktion. Du hattest einen Orgasmus.«

Ihr Gesicht wurde brennend rot. »Frauen haben keinen Orgasmus.«

»Da täuschst du dich«, entgegnete er bestimmt. »Frauen können sehr wohl einen Orgasmus bekommen, und es ist nicht ungewöhnlich, daß man im Schlaf einen hat. Mary, du verwechselst eine normale körperliche Reaktion mit einem religiösen Erlebnis.«

Das Lächeln auf Marys Gesicht erlosch. Ihre Augen wurden plötzlich hart. »Dr. Wade, Gott hätte mir bestimmt nicht die Erinnerung an so was Schmutziges geschickt, wo ich ihn gerade um Hilfe anflehte. Ich weiß, was mein Traum zu bedeuten hatte. Was er wirklich war. Gott hat es mir gesagt.«

Jonas Wade starrte sie in hilfloser Verwirrung an. Diese unerwartete Wendung hatte ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Er wußte nicht, wie er dieser Wahnvorstellung begegnen sollte. Er hätte ihr viel früher die Wahrheit sagen sollen, dann hätte er diese gefährliche Entwicklung abwenden können. Mary hatte verzweifelt nach einer Erklärung für ihren Zustand gesucht; da er ihr nichts geboten hatte, stürzte sie sich nun auf diesen Irrsinn.

»Mary, du behauptest, an dir sei ein Wunder geschehen. Du vergleichst dich mit der Mutter Gottes.«

»Weil es wahr ist. Wenn es ihr geschehen konnte, warum dann nicht auch mir?« Marys Stimme war so ruhig und selbstsicher, daß Jonas Wade angst wurde. »Ihr hat damals auch keiner geglaubt. Aber als das Kind da war, haben es alle geglaubt. Warum soll man es bei mir nicht glauben können?«

»Hast du mit irgend jemandem über deine Vermutung gesprochen, Mary? Mit Pater Crispin vielleicht?«

»Nein, mit keinem, nicht mal mit meinen Eltern. Ich wollte erst mit Ihnen darüber sprechen, weil ich dachte, Sie würden es verstehen. Sie konnten die Antwort nicht finden, Dr. Wade; da habe ich Gott um Hilfe gebeten, und er hat mir die Antwort gegeben.«

»Du selbst hast dir die Antwort gegeben, Mary. Ich weiß genau, warum du schwanger bist. Ich habe geforscht. Das, was bei dir vorliegt, ist äußerst selten, aber es kann vorkommen -«

»Dr. Wade.« Ihr Stimme war metallisch, ihre Augen waren kühl. »Pater Crispin hat mir gesagt, ich hätte eine Todsünde auf dem Gewissen. Er sagte, ich hätte Gotteslästerung begangen, weil ich so zur heiligen Kommunion gegangen bin. Aber jetzt weiß ich, daß er sich geirrt hat. Ich bin rein, Dr. Wade. Gott sandte den heiligen Sebastian zu mir, und er pflanzte das Kind in mich hinein. Ich habe nicht gesündigt. Für mich ist jetzt alles klar.«

»Mary, bitte hör mir zu.« Jonas war erschrocken und unsicher. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er hatte Angst, Mary könnte einfach davonlaufen. »Ich habe mich mit deinem Fall beschäftigt und einige erstaunliche Entdeckungen gemacht.« Er griff zur Aktentasche, die zu seinen Füßen stand.

»Ich brauche Sie jetzt nicht mehr, Dr. Wade.« Sie musterte ihn kühl, als sie aufstand. »Von jetzt an verlasse ich mich nur noch auf Sebastian.«

Ohnmächtig mußte Jonas Wade zusehen, wie sie davonging und die Tür hinter sich schloß. Danach saß er lange Zeit in seinem Sessel und tat gar nichts, bis er schließlich das Telefonbuch und die Nummer des Pfarrhauses von St. Sebastian heraussuchte.

»Mutter?« Mary öffnete die Tür und schaute in die Küche. Drinnen war es kühl und dunkel. Sie ging weiter ins Eßzimmer, sah zur sonnigen Terrasse hinaus und rief wieder: »Mutter? Ist keiner da?«

Aus dem Wohnzimmer hörte sie Geräusche. Der Fernsehapparat war eingeschaltet, aber es saß niemand davor. Mary ging hin und machte ihn aus. Sie lauschte in die Stille. Nichts rührte sich.

Auf dem Weg zu ihrem Zimmer kam sie an Amys Tür vorbei und sah, daß sie nur angelehnt war. Sie blieb stehen und stieß die Tür ein Stück auf. »Hallo! Warum hast du dich nicht gerührt?«

Amy hockte auf ihrem Bett, den Rücken an die Wand gelehnt, die Knie bis zum Kinn hochgezogen. Sie gönnte ihrer Schwester keinen Blick, sondern starrte mit finsterer Miene auf die Zimmerwand gegenüber.

»Amy? Was ist denn?«

Amy zuckte die Achseln.

Mary trat ins Zimmer und setzte sich auf den weißen Stuhl vor dem Schreibtisch. »Ist was passiert, Amy?«

»Nein ...«

»Wo ist Mutter?«

Wieder zuckte Amy die Achseln.

»Ist sie noch mit Shirley Thomas unterwegs?«

»Wahrscheinlich.«

Mary betrachtete forschend das mißmutige Gesicht ihrer Schwester. »Wie war's im Kino?«

»Ganz gut.«

»Was habt ihr euch angeschaut?«

Amy spielte mit ihren Haaren. »Frankie Avalon und Annette Funicello.«

»Amy, jetzt sei mal ehrlich. Was ist los?«

»Nichts.«

»Komm schon, Amy.«

Endlich drehte sie den Kopf. Ihre dunklen Augen blitzten zornig. »Ach, Dad wollte mich heute nachmittag vom Kino abholen, und dann ist er überhaupt nicht erschienen. Ich stand mir fast die Beine in den Bauch, und er kam nicht. Am Ende hab ich bei ihm im Büro angerufen, aber da konnten sie mich nicht verbinden, weil er gerade am Telefon war. Mit deinem Dr. Wade. Und als ich dann Mama anrufen wollte, hat sich gleich überhaupt keiner gemeldet. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als den Bus zu nehmen, und dann bin ich bei dieser Affenhitze den ganzen Weg von der Haltestelle bis hierher zu Fuß gelatscht.«

»Du Arme.«

»Ja. Überhaupt paßt mir hier einiges nicht mehr«, fuhr Amy erbost fort. »Hier stimmt's doch hinten und vorne nicht. Das hab ich schon gemerkt, als du noch in Vermont warst. Mama und Dad waren immer so komisch, und nachts hab ich Mama weinen hören. Ich finde das furchtbar.«

»Ach, Amy ...«

Amys Lippen zitterten. »Und als ich ihnen erzählt hab, daß ich in Schwester Agathas Orden eintreten will, hat sie das überhaupt nicht interessiert. Dann bist du wieder heimgekommen, und jetzt ist alles ganz scheußlich hier.«

»Amy -«

Amy sprang vom Bett. »Ich existiere überhaupt nicht mehr für sie. Sie haben mich total vergessen.«

»Das ist nicht wahr!«

»Eben doch!« Amy hatte die Hände in die Hüften gestemmt. »Alles dreht sich nur um dich. Es ist ja auch viel wichtiger, daß du ein Kind bekommst, als daß ich Nonne werden will. Du und dein Kind, das ist das einzige, was Mama und Dad interessiert. Und du bist genauso.«

»Amy!«

Amy drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Mary sprang auf und lief ihr nach. Sie faßte Amy beim Arm.

»Bitte, lauf nicht vor mir weg.«

Amy fuhr herum und riß sich los. »Ich hab extra auf den richtigen Moment gewartet«, rief sie schluchzend, »um es ihnen zu sagen. Und weißt du, was sie gesagt haben? Darüber reden wir später. Das war alles.«

»Amy, das tut mir leid -«

»Ja, dir tut's leid. Hier dreht sich doch alles nur um dich, und dabei hast du gar nichts getan, um das zu verdienen.«

Mary wich einen Schritt zurück.

»Ich weiß schon, was du getan hast!« rief Amy. »Alle wissen es. Alle reden darüber. Und ich find nicht, daß es so toll ist, daß sie dich deswegen wie eine Prinzessin behandeln müssen. Mir graust schon davor, wenn das Baby auf der Welt ist und sich alle nur noch um dein und Mikes Kind kümmern.«