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Als er sich in Begleitung eines Ministranten, der die goldene Patene trug, ihr näherte, neigte Mary den Kopf. Sie spürte einen leichten Luftzug, als der Pater vor der Person neben ihr stehenblieb, und hörte sein Flüstern, als er die Formel sprach. Dann spürte sie, wie die Person neben ihr aufstand.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie wahrnahm, daß Pater Crispin vor ihr anhielt. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, und sie hatte das heftige Verlangen zu schlucken, aber sie tat es nicht. Sie hielt den Kopf geneigt, die Augen geschlossen.

Pater Crispin ging, ohne ihr die Hostie gegeben zu haben, weiter zu ihrem Nachbarn.

Zornig und beschämt blieb Mary, den Kopf nach vorn geneigt, knien, und krampfte ihre Hände so fest ineinander, daß sie schmerzten. Nein! sagte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen. Nein, du läufst jetzt nicht davon.

Als Pater Crispin das Ende der Reihe erreicht hatte, drehte er sich um, um von neuem zu beginnen. Unwillig blickte er auf das Mädchen, das eigensinnig an der Schranke knien blieb. Der Ministrant, der sich seine Verwunderung und Neugier nicht anmerken lassen wollte, hielt den Blick starr auf den

Hostienteller gerichtet und stolperte prompt über sein langes Gewand. Er fiel taumelnd gegen den Priester und murmelte verlegen: »Entschuldigen Sie, Pater.«

Sie spürte wieder den Luftzug, als er an ihr vorüberging und weiter die Reihe entlangschritt bis zum anderen Ende. Aber sie blieb knien. Sie hielt die Chorschranke umklammert, als säße sie in der Achterbahn, und schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter.

Wieder kam Pater Crispin die Reihe entlang, gab jedem Gemeindemitglied die Hostie und seinen Segen. Seine Finger, die den Stil des Ziboriums hielten, waren blutleer. Seine Lippen waren schmal zusammengepreßt; seine Stimme schwoll ein wenig an, so daß sie beinahe über das Füßescharren hinweg zu hören war.

Wieder senkte Mary den Kopf, und sie streckte beide Hände aus, die Ellbogen eng an ihren Körper gedrückt.

Bei einem Blinzeln sah sie das Weiß von Pater Crispins Albe. Er war vor ihr stehengeblieben. Lieber Gott, hilf mir, flehte sie im stillen. Hilf mir, Gott ...

Dann die Berührung, das leichte Kitzeln, die Hostie lag in ihren Händen.

Mary warf sich nach vorn, neigte sich tief über die Schranke und schluchzte vor Glück und Erleichterung. Die tiefen Töne der Orgel umbrausten sie. Der Chor sang, und die letzten Gemeindemitglieder standen von der Kommunionbank auf und gingen davon.

16

»In zwei Wochen werde ich Mary röntgen, Mr. McFarland, und es wäre mir lieb, wenn Sie und Ihre Frau mitkämen. Ich wollte Ihnen rechtzeitig vorher Bescheid geben, damit Sie sich den Termin freihalten können.«

»Das ist sehr freundlich, Dr. Wade. An welchen Tag hatten Sie gedacht?«

Jonas griff nach dem Kalender auf seinem Schreibtisch. »Jeder Tag in der Woche nach dem einundzwanzigsten wäre mir recht. Besprechen Sie es mit Ihrer Frau, Mr. McFarland, und rufen Sie meine Sprechstundenhilfe an. Sie vereinbart dann einen Termin mit der Röntgenabteilung.«

Es blieb einen Moment still. Ted McFarland machte sich wohl eine Notiz. Dann sagte er: »Dr. Wade, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Mißbildung bei dem Kind?« Er schien den Stier gleich bei den Hörnern packen zu wollen.

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Ich möchte, daß Sie und Ihre Frau dabei sind, wenn wir die Aufnahmen bekommen, für den Fall, daß das Kind geschädigt sein sollte. Dann braucht Mary Ihre Unterstützung.«

Teds Stimme klang seltsam dünn und doch zugleich kraftvoll. »Wenn es eine Mißbildung ist, was schlagen Sie dann vor?«

Jonas schloß einen Moment die Augen. »Das kann ich im Augenblick noch nicht sagen, Mr. McFarland. Es hängt von vielen Dingen ab. Wenn das Kind schwere Mißbildungen aufweist, werden Sie die Angelegenheit mit Ihrem Priester

besprechen wollen, denke ich.«

Es folgte eine kurze Pause, dann sagte Ted: »Sie denken an eine Abtreibung, nicht wahr?«

»Wenn Marys Leben bedroht ist, ja.«

»Aber sie ist im sechsten Monat. Ist es nicht jetzt schon ein -richtiges Kind?«

»Doch.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Dr. Wade. Meine Frau und ich werden kommen. Besten Dank, daß Sie angerufen haben.«

Nachdem Jonas Wade aufgelegt hatte, blieb er untätig an seinem Schreibtisch sitzen und starrte auf die rote Mappe, die den ersten Entwurf seines Berichts enthielt. Nur das letzte Kapitel fehlte jetzt noch. Er hatte flüchtig erwogen, sich in dieser Angelegenheit an Ted McFarland zu wenden - er und seine Frau, beide mußten die Genehmigung geben -, hatte es sich aber in letzter Minute anders überlegt. Der arme Mann hatte im Augenblick genug um die Ohren. Die Genehmigung zur Veröffentlichung konnte warten. Wenn die Röntgenaufnahmen ein völlig mißgebildetes Kind zeigten, würde der Artikel sowieso nicht fertiggeschrieben werden. Wenn sie jedoch ein normal entwickeltes Kind zeigen sollten, würde Jonas schon einen geeigneten Zeitpunkt finden, um sich mit den McFarlands über eine Veröffentlichung seines Berichts zu unterhalten und zu einigen.

Jonas massierte sich leicht das Gesicht, während seine Gedanken sich dem nächsten Problem zuwandten - der vorgesehenen Freigabe des Kindes zur Adoption. Er mußte einen Weg finden, um den McFarlands reinen Gewissens raten zu können, das Kind zu behalten. Aber genau das war der Haken: das reine Gewissen. Jonas war sich völlig klar, daß er in dieser

Frage vor allem sein eigenes Interesse im Auge hatte. Wenn sowohl Mary als auch ihre Eltern es für besser hielten, das Kind wegzugeben, und wenn Pater Crispin sie darin unterstützte, dann war das zweifellos für die Beteiligten die beste Lösung, und Jonas Wade konnte sich nicht anmaßen, ihnen zu etwas anderem zu raten. Doch wenn das Kind weggegeben wurde, konnte er seinen Artikel nicht beenden. Er hatte ein stabiles Fundament gelegt, um seine Theorie zu untermauern, aber ohne die nach der Geburt fälligen Beweise zur weiteren Untermauerung seiner Behauptungen konnte er seinen ganzen Plan fallenlassen.

Jonas stand vom Schreibtisch auf und sah sich in seinem Arbeitszimmer um. Unbeantwortete Korrespondenz und ungelesene Fachzeitschriften lagen verstreut auf dem Ledersofa; neue Bücher, die er noch nicht einmal ausgepackt hatte. Er hatte in den letzten Monaten kaum etwas anderes im Kopf gehabt als seine Arbeit an dem >Fall< McFarland.

Eiliges Klopfen an seiner Zimmertür riß ihn aus seinen Gedanken. »Jonas?« rief Penny von draußen.

Er machte auf.

»Ich dachte, du wolltest heute abend mit Cortney reden.«

Leichter Vorwurf schwang in ihrem Ton, und ihre Miene drückte Gereiztheit aus, die er sonst nicht an ihr kannte. Sie spähte an ihm vorbei ins Arbeitszimmer. Da lag die rote Mappe, die sie in letzter Zeit so häufig in seinen Händen gesehen hatte: beim Frühstück, auf der Terrasse, sogar wenn er vor dem Fernsehapparat saß. Immer wieder pflegte er sie aufzuschlagen, um hier ein Wort, dort einen Satz zu streichen und eine neue Formulierung einzusetzen. Penny wußte, daß das Projekt für Jonas sehr wichtig war, er hatte ihr darüber berichtet, hatte sie seinen ersten Entwurf lesen lassen - aber es begann sie allmählich zu ärgern, daß er darüber die Familie vernachlässigte.

»Cortney hat mir gesagt, daß sie Ende des Monats ausziehen will. Jonas, sie hört nicht auf mich. Du mußt mit ihr sprechen.«

»Gut«, sagte er. »Wo ist sie?«

»Aber Daddy, ich bin achtzehn Jahre alt. Es gibt einen Haufen Mädchen, die arbeiten und gleichzeitig zur Schule gehen. Brad hast du's doch auch erlaubt. Warum mir nicht?«