Выбрать главу

Mary lachte ein wenig. »Ich bin froh, daß du's mir gesagt hast.«

Germaine lächelte, aber ihre Augen waren traurig. »Es ist wirklich albern, wenn wir beide Geheimnisse voreinander haben, findest du nicht? Wo wir uns doch so nah sind.« Sie sah Mary an. »Mary -«

»Hm?«

»Warum erzählst du's mir nicht? Du weißt schon.«

Mit geschlossenen Augen fragte Mary: »Wovon redest du?«

»Ach, du weißt doch. Wie war's? Ich mein, wie du's getan hast?«

Mary riß die Augen auf und hob mit einem Ruck den Kopf. »Ich versteh nicht, was du meinst?«

»Ich möchte wissen, ob's dir Spaß gemacht hat, Mary - mit einem Jungen zu schlafen.«

Eine Verzweiflung überkam Mary wie an jenem Abend, als sie die Rasierklingen ihres Vaters aus dem Badeschränkchen genommen hatte. Alle Weinseligkeit verflog. »Germaine, ich hab dir gesagt, wie ich zu der Schwangerschaft gekommen bin.«

Die Stimme der Freundin war hart. »Ja, ja, ich weiß schon. Aber mir kannst du doch die Wahrheit sagen. Lieber Gott, Jungfernzeugung! Du hast's mit Mike getan, stimmt's? Du hast es mit ihm getan. Wie war's?«

Mary krallte die Finger in das Polster und sagte mühsam beherrscht: »Germaine, ich habe dir die Wahrheit gesagt. Das

Kind hat sich ganz von selbst entwickelt. Darum wird es ja auch ein Mädchen. Ich hab dir doch alles erklärt. Und du hast gesagt, daß du mir glaubst. Ich hab nie was mit einem Jungen getan. Schon gar nicht mit Mike.«

Die Stimme der Freundin erreichte sie wie aus weiter Ferne. »Mary, sei mir nicht böse, aber ich hab dir doch auch die Wahrheit über Rudy gesagt, und die weiß sonst kein Mensch. Sogar meine Mutter glaubt, daß es ihn gibt. Du bist die einzige, die die Wahrheit weiß.« Germaine sprach hastig und atemlos. »Ich weiß, was du Dr. Wade erzählt hast, und ich bin sicher, er glaubt dir. Und dein Priester und deine Eltern - die glauben dir auch. Aber Mary, mir kannst du doch die Wahrheit sagen. Du weißt doch, daß ich's nie weitererzählen würde. Du kannst dich drauf verlassen, daß es unter uns bleiben würde. Genau wie das mit Rudy. Hey, Mary!« Germaine faßte Mary beim Arm. »Komm, sei ehrlich. Du hast's mit Mike getan.«

Schreckliche Enttäuschung stieg in Mary auf. »O Gott«, stieß sie hervor.

»Mary!«

Sie schüttelte Germaines Hand ab und setzte sich auf, schwang die Beine vom Sofa und stand auf.

»Mary, warte doch! Es tut mir leid. Ich wollte nicht -«

Aber sie ließ sich nicht aufhalten. Sie rannte durch den dunklen Flur zur Haustür und hinaus ins Freie.

Sie hatte nur einen Wunsch - mit ihrem Vater zu sprechen, ihm alles zu erzählen, sich von ihm trösten zu lassen. Aber sie konnte nicht warten, bis er nach Hause kam; sie mußte sofort zu ihm. Und es war Mittwoch.

Sie wußte, wo sie ihn finden konnte.

Mary stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Fitneßklubs ab und ging ohne Zögern in das Gebäude, um ihren Vater herausholen zu lassen. Sie war überzeugt, er würde auf der Stelle alles stehen und liegen lassen, sich anziehen und zu ihr kommen.

Mit dem, was sie von dem Mann am Empfang zu hören bekam, hatte sie überhaupt nicht gerechnet.

»Mr. McFarland war nicht mehr hier, seit seine Mitgliedschaft abgelaufen ist. Das muß jetzt so zwei, drei Jahre her sein.«

Sie war wie vor den Kopf geschlagen. »Sind Sie sicher?«

»Vollkommen, Miss.«

»Wissen Sie vielleicht, ob er in ein anderes Fitneßstudio geht?«

»Keine Ahnung, leider.«

Fünf Minuten später saß sie wieder im Wagen. Ziellos fuhr sie durch die Straßen. Die Neonlichter auf dem Ventura Boulevard und den nächtlichen Verkehr um sich herum nahm sie nur am Rande wahr. Ihre Gedanken wanderten, während sie mechanisch wie ein Roboter das Auto lenkte, vor roten Ampeln auf die Bremse trat, ordnungsgemäß den Blinker setzte, wenn sie um eine Ecke bog. Sie hatte kein Ziel, sie wollte nur fahren.

In einem Zickzackmuster fuhr sie durch die Straßen von Tarzana, diese hinauf, die nächste hinunter, bis sie schließlich die holprige, ungeteerte Etiwanda Avenue erreichte. Nach der öffentlichen Bibliothek war sie rechts abgebogen und folgte nun der dunklen, ländlichen Straße, die auf einer Seite von einem breiten bemoosten Graben begrenzt wurde. Viele Straßen im San Fernando Tal waren noch ungeteert; das Rumpeln des Wagens durch Schlaglöcher vermochte nicht, sie aus ihrer

Betäubung zu wecken.

Bis sie den grünen Lincoln Continental sah. Da trat sie viel zu hart auf die Bremse und hielt den Wagen vor dem nächsten Haus an. Sie stellte den Motor ab und drehte sich mühsam nach rückwärts um.

Der Wagen ihres Vaters stand in der Einfahrt eines bescheidenen kleinen Hauses, das sie an das von Germaine erinnerte, unter einer ausladenden Sykomore. Sie starrte das Auto an und fragte sich verwundert, was ihr Vater hier zu tun hatte.

Es kam hin und wieder vor, daß er abends einen seiner Klienten zu Hause aufsuchte. Vielleicht war dies so ein Fall.

Aber ... Mary kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Was hatte der Muskelmann im Fitneßklub gesagt? Ihr Vater kam schon seit zwei, drei Jahren nicht mehr zum Training.

Wo war er aber dann jeden Mittwochabend?

Mary musterte aufmerksam das kleine Haus, den verblichenen Anstrich der Mauer und der Türen und Fenster. Der Rasen des kleinen Vorgartens war gelb und dürr. Hinter den Fenstern, deren Vorhänge zugezogen waren, schimmerte blasses Licht. Es war ein altes Haus, aber es war sauber und gut instandgehalten.

Auf dem Briefkasten stand ein Name, schwarze Klebebuchstaben, die phosphoreszierten: Renfro.

Einen Moment noch blieb Mary nachdenklich sitzen, dann ließ sie den Motor an und fuhr weg.

Ihre Mutter und Amy schliefen längst, als sie seinen Wagen in der Auffahrt hörte. Mary saß im Wohnzimmer unter der Stehlampe. Seit zwei Stunden saß sie schon dort, reglos wartend.

Gleich nach ihrer Heimkehr hatte sie sich das Telefonbuch geholt. Es gab nur einen Renfro, und der war in der Lindley Avenue. Aber darunter hatte sie >Renfrow, G. 5531 Etiwanda Av.< entdeckt. Ohne zu überlegen, wählte Mary die angegebene Nummer. Eine Frauenstimme meldete sich.

»Entschuldigen Sie, ich hätte gern Mr. Renfrow gesprochen.«

»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Hier gibt es keinen Mr. Renfrow.«

Mary hatte ruhig und erwachsen gesprochen. »Kann ich dann bitte mit Miss G. Renfrow sprechen?«

»Hier spricht Gloria Renfrow. Wer ist denn am Apparat?«

»Ich - äh - es handelt sich um Zeitschriftenabonnements. Ich wollte fragen -«

»Tut mir leid. Ich brauche keine Zeitschriften.« Damit hatte die Frau aufgelegt.

Nach diesem wenig ergiebigen Gespräch war Mary ins Wohnzimmer gegangen und hatte sich hingesetzt, um zu warten. Worauf, wußte sie selbst nicht.

»Hallo«, sagte Ted gedämpft, als er ins Wohnzimmer trat. »Wieso bist du so spät noch auf, Kätzchen?«

»Ich hab auf dich gewartet, Daddy.« Sie hob den Blick nicht.

»Du hast auf mich gewartet?« Er kam näher und setzte sich ihr gegenüber aufs Sofa. Mary sah, wie er die Tasche, in der seine Sportsachen waren, neben sich auf den Boden stellte. »Was ist denn, Mary? Geht es dir nicht gut?«

Mary war selbst erstaunt, daß sie es fertigbrachte, ihm direkt in die Augen zu sehen. »Nein«, antwortete sie leise, »es geht mir nicht gut. Ich bin schrecklich deprimiert und wollte mit dir reden.«

»Worum geht's denn?«

»Ich bin so enttäuscht über Germaine. Sie hat die ganze Zeit geglaubt, daß ich lüge. Ich dachte, sie wäre die einzige, auf die ich mich wirklich verlassen kann, aber heute abend hab ich gemerkt, daß ich mich getäuscht habe.«

»Ach, Kätzchen, das tut mir leid.«

»Ja. Eigentlich kann man sich auf keinen Menschen mehr verlassen.«

»Ach was!« Er neigte sich zu ihr und klopfte ihr leicht aufs Knie. »Möchtest du auch noch einen Kakao?«