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Mary wandte den Blick von ihren Füßen und richtete ihn auf die Tasse. »Zwei Stück Zucker bitte«, sagte sie, während sie Gloria Renfrows Hände betrachtete, die rot und rauh waren.

Gloria schob die Tasse zu Mary hinüber und legte ein Stück Kuchen auf eine Papierserviette daneben. Dann ließ sie sich in ihren Sessel sinken und trank von ihrem Tee.

Mary wartete einen Moment, dann nahm auch sie ihre Tasse und trank.

»Und wie weit bist du jetzt?« fragte Gloria.

Mary mußte sich räuspern. »Im sechsten Monat.«

Gloria lächelte. »Gratuliere. Da hast du ja gar nicht mehr lang.« Mary beobachtete die Frau mißtrauisch.

»Ich habe selbst vier Kinder zur Welt gebracht«, fuhr Gloria fort. »Der Älteste ist jetzt Rechtsanwalt in Seattle. Der zweite ist in Mississippi bei der Air Force. Der dritte studiert an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. Der vierte ist tot. Er starb mit drei Jahren an Leukämie.«

»Das tut mir leid«, sagte Mary.

»Ja. Es war schlimm damals.« Glorias Lächeln wurde wehmütig. »Hast du schon einen Namen für deine Tochter?«

Mary erstarrte. »Hat - hat mein Vater Ihnen gesagt, daß es ein Mädchen wird?«

»Er hat mir alles erzählt, Kind. Ich verfolge die Geschichte der Mary Ann McFarland seit Juni wie einen Fortsetzungsroman.«

Mary warf ihr einen empörten Blick zu, sah aber nur ein Lächeln freundlicher Erheiterung auf dem Gesicht der Frau. Sie stellte ihre Tasse nieder. »Er hat ihnen alles erzählt?«

Gloria nickte.

»Dazu hatte er kein Recht.«

»Aber natürlich hatte er das.«

Mary sah sie trotzig an. »Es geht Sie aber nichts an.«

Gloria zog die Brauen hoch, die nicht gezupft waren. »Entschuldige mal! Alles, was deinen Vater berührt, geht mich an.«

»Wieso?«

»Weil ich ihn liebe.«

»Ich will das nicht hören!« Mary versuchte, ihren Sessel wieder geradezustellen, aber es gelang ihr nicht.

»Mary«, sagte Gloria ruhig und ohne zu lächeln, »meinst du nicht, es ist Zeit, daß wir miteinander reden? Wir sind es deinem Vater schuldig.«

Mary strampelte mit den Beinen. »Ich schulde ihm nichts.«

»Du tust dir wohl sehr leid, wie?«

Immer noch kämpfte Mary mit dem Sessel. »Ich, ich habe allen Grund dazu.«

»Faß die Armlehnen fest an, und zieh. Lieber Gott, du siehst aus wie eine Schildkröte, die auf den Rücken gefallen ist.«

Mary packte die Armlehnen und riß so fest daran, daß die Fußstütze krachend auf den Boden schlug.

»Ich hoffe nur, daß du mir meinen Fernsehsessel nicht kaputtgemacht hast.«

Wütend funkelte sie Gloria an. »Wie eine Schildkröte«, keuchte sie empört, und ehe sie wußte, wie ihr geschah, stiegen ihr die Tränen in die Augen, und sie fing an zu lachen.

»Kind, wenn du dich hättest sehen können! Weißt du, was mir mal passiert ist? Ich glaube, es war beim dritten Kind. Da war ich im neunten Monat so dick, daß ich im Drehkreuz im Supermarkt steckengeblieben bin. Ich sag dir, es ging nicht vorwärts und nicht rückwärts. Sie mußten die Feuerwehr holen, um mich rauszuholen.«

Mary lachte noch heftiger und wischte sich die Augen mit dem Jackenärmel. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sah sie Gloria Renfrow verwirrt an.

»Wenn du nicht reden willst, Mary«, fragte Gloria behutsam, »warum bist du dann hergekommen?«

Mary drückte die Hände auf ihre Augen. »Ich weiß nicht. Weil ich Sie sehen wollte. Ich wollte sehen, was mein Vater -« Sie ließ die Hände sinken. »Es ärgert mich, daß mein Vater allen Leuten von mir erzählt.«

»Erstens hat er nicht allen Leuten von dir erzählt, und zweitens hat dein Vater doch wohl auch gewisse Rechte, meinst du nicht? Schau mal, Mary, du bist nicht der Nabel der Welt.«

»Ach, Sie haben ja überhaupt keine Ahnung«, fuhr Mary sie zornig an. »Sie wissen überhaupt nicht, was ich aushalten muß.«

»Aber Kind.« Gloria brach sich ein Stück Kuchen ab und schob es in den Mund. »Du bist nicht die erste Frau auf der Welt, die schwanger ist, und du bist auch nicht die erste unverheiratete Frau, die ein Kind erwartet.«

»Aber bei mir ist alles ganz anders.«

»Meinst du?« Gloria brach sich noch ein Stück ab. »Nach dem, was dein Arzt gesagt hat, dieser Dr. Wade, scheint es doch so zu sein, daß es immer schon Fälle wie deinen gegeben hat. Vielleicht geschieht jetzt einem anderen Mädchen das gleiche.«

Mary starrte die Frau an, die ihren Kuchen kaute und dann mit einem Schluck Tee nachspülte.

Andere? dachte sie. Andere, denen es genauso geht wie mir? Jetzt, in diesem Moment?

»Ich finde sogar, du kannst von Glück reden, Mary. Du hast Dr. Wade, der für dich eintritt, und einen großartigen Vater, der dir glaubt. Es gibt bestimmt andere Mädchen in deiner Lage, die nicht soviel Glück haben. Ah ja, ich seh schon, der Gedanke ist dir nie gekommen, hm? Trink deinen Tee, Kind. Sonst wird er kalt.«

Mary nahm gehorsam ihre Tasse und trank. Der Tee hatte einen ganz besonderen, köstlichen Geschmack.

»Gut, nicht?«

»Solchen Tee hab ich noch nie getrunken.«

»Ich hab immer welchen da. Für besondere Gelegenheiten.«

Mary lehnte sich in ihrem Sessel zurück und stellte ihn wieder in Schräglage. Ihre Füße kamen in die Höhe.

»Also«, sagte Gloria sanfter, »hast du schon einen Namen

für sie?«

Mary starrte in ihre Teetasse. »Ich möchte sie Jacqueline nennen«, antwortete sie leise.

»Das ist ein schöner Name.«

Mary verstand selbst nicht, was sie getrieben hatte, ihr Geheimnis preiszugeben. Sie hatte es nicht einmal Amy oder Dr. Wade anvertraut, weil man ihr das Kind ja doch nehmen würde und die Adoptiveltern ihm gewiß einen anderen Namen geben würden. Aber tief im Innern wußte Mary, daß das Kind für sie immer Jacqueline sein würde.

»Was ist denn, Kind?«

Mary sah Gloria an. Sie war dem Weinen nah. »Ach, nichts. Ich habe nur ...«

Gloria stellte ihre Tasse weg und legte Mary die Hand auf die Schulter. »Du möchtest sie behalten, nicht wahr?«

Mary schluckte krampfhaft. »Ich weiß nicht. Meine Eltern sagen, wir müssen es zur Adoption freigeben. Und Pater Crispin ist auch der Meinung. Wahrscheinlich haben sie recht. Aber -«

»Aber was?«

»Aber sie ist doch ein besonderes Kind. Sie ist nicht wie andere Kinder entstanden. Und die Adoptiveltern werden sie sicher nicht als etwas Besonderes behandeln. Außerdem möchte ich sie so gern bei mir haben. Sie gehört doch zu mir.« Gedanken, die ihr bisher noch nicht in den Sinn gekommen waren, schossen ihr plötzlich durch den Kopf. »Ich möchte bei ihr sein, wenn sie langsam groß wird.«

Gloria nickte. »Das kann ich verstehen, Mary. Das solltest du auch. Sie ist ja wirklich ein besonderes Kind, und nur du kannst das verstehen.«

»Ich war mir bis jetzt gar nicht bewußt .« Mary kämpfte mit den Worten. Das Kind bin ich, sagte es in ihr. Das Kind bin ich, und ich würde mich selbst wildfremden Menschen überlassen. »Bis jetzt habe ich es nur als irgendein Kind gesehen, das zur Welt kommt und gleich wieder verschwindet. Aber jetzt sehe ich es plötzlich als kleines Mädchen, das laufen und reden lernt und zur Schule geht und - und ich möchte dabei sein, wenn das alles kommt. Ach!« Mary fing an zu weinen und schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Entschuldigen Sie«, schluchzte sie.

»Das macht doch nichts, Mary. Laß es ruhig raus.«

»Ich weiß nicht, warum ich hergekommen bin. Ich war so wütend auf meinen Vater. Ich wollte sehen, was - was .«

»Was er hier will?« Gloria nahm ihre Tasse und trank den letzten Rest Kaffee. »Ich beneide dich, Mary«, sagte sie. »Ich habe mir immer eine Tochter gewünscht, aber ich habe nur Söhne bekommen. Nach den ersten beiden war ich richtig wütend. Ich wollte unbedingt ein kleines Mädchen. Und als ich das dritte Mal schwanger war, kaufte ich lauter Mädchensachen, als wäre das eine Garantie dafür, daß es endlich ein Mädchen werden würde. Es heißt, daß das Geschlecht des Kindes durch die Chromosomen des Mannes bestimmt wird. Also war es wohl Sams Schuld.«