Sie nickte verlegen. Der Mann war noch jung. Er gefiel ihr, trotz Hakennase und Stirnglatze.
«Ich heiße Peter Guardini. Aber hier sagen alle Petrus zu mir. «Er grinste und sein Schnauzbart zog sich in die Breite.»Obwohl das nicht immer ein Paradies ist, das ich bewache.«
Eva betrachtete Michel von der Seite. Mit leicht offenem Mund starrte er Petrus an. Wie ein kleiner Junge, der gelobt werden will, fand Eva.
Petrus legte seine große Hand auf Michels Schulter.»Schön, dass du deine Freundin mitgebracht hast. Wir fangen gleich an. Ihr könntet noch im Garten beim Dekorieren helfen.«
«O. K., Petrus, machen wir. «Eva ging hinter Michel her durch einen kleinen Raum, in dem Tische und Stühle aufeinander gestellt waren und nur einen schmalen Weg zur Tür frei ließen, hinaus in die Sonne.
Im Garten standen auf langen Tischen Pappteller und Pappbecher. Ein paar Mädchen dekorierten die Tische mit Zweigen.»Schau mal, Ilona, dein Bruder mit einem Mädchen!«
Eva legte die Hand über die Augen. Die Sonne blendete sie und sie konnte keine Gesichter erkennen.
Ein Mädchen kam auf sie zu, jünger als Eva, farblos, fad, viel zu dick. Eva, verlegen, unsicher, hätte am liebsten gekichert. Das Mädchen trug ein Kleid aus genau dem Stoff, den die Mutter für sie hatte kaufen wollen. Was hatte die Mutter gesagt?» Nimm lieber was Frischeres, Kräftigeres. «Dieses Mädchen sah nicht frisch aus. Im Gegenteil.
«Wer ist das?«, fragte das Mädchen und schaute Michel fragend an.
Michel legte einen Arm um Eva.»Das ist Eva«, sagte er.»Meine Freundin. «Und zu Eva gewandt fügte er hinzu:»Und das ist meine Schwester Ilona.«
Eva streckte dem Mädchen die Hand entgegen, wollte Guten Tag sagen oder so etwas, aber bevor sie noch den Mund aufmachen konnte, hatte das Mädchen sich umgedreht und war weggegangen. Eva zog die Hand zurück. Sie fühlte sich beschämt.
«Ilona ist ein bisschen komisch«, sagte Michel.»Aber sie meint es nicht so. Wenn du sie erst ein bisschen besser kennst, dann wirst du das merken.«
Eva schaute dem Mädchen zu, das schon wieder mit bedächtigen Bewegungen Zweige von einem blühenden Strauch schnitt. Ilona war ein unpassender Name für so ein Mädchen, ein Name, der nach Lagerfeuer und Zigeunermusik klang.
Eva half Michel beim Zurechtrücken der Bänke und beim Verteilen der Limoflaschen. Michel grinste:»Bier gibt es drin an der Theke. Das muss man kaufen.«
«Trinkst du schon Bier?«
Michel lachte.»Hast du geglaubt, ich war' ein Baby?«
«Nein, aber das Tueendschutzeesetz…«Eva war
verwirrt.
«Ach das«, antwortete Michel verächtlich.»Außerdem bin ich gestern sechzehn geworden.«
«Wirklich? Warum hast du mir nichts gesagt?«
«Ich dachte, wir feiern heute sowieso.«
«Ich hätte dir etwas schenken können.«
«Schenk mir etwas, wenn ich wegfahre.«
Laute Musik drang aus dem Haus.»Es fängt an«, sagte Michel.»Komm schnell.«
In dem geschmückten Raum hatten viele schon angefangen zu tanzen.»Nebenan gibt es ein Programm für die Kleinen und die, die nicht tanzen wollen«, erklärte Michel.»Was magst du?«
«Tanzen.«
Sie brauchte viel Zeit diesmal, bis sie sich endlich in die Musik hineinfand, viel Zeit und Michels Hand. Aber dann ging es. Es ging dann sogar sehr gut. Ich kann das, dachte sie. Ich kann das immer wieder. Staunen und Freude fühlte sie.
Freiheit.
Sie tanzte schnell, Gesichter schwammen vorbei, fremde Gesichter, und manchmal Michel. Als sie schon fast keine Luft mehr bekam, ging sie mit Michel zu der kleinen Theke.
«Bier«, bestellte Michel.»Du auch, Eva?«
Sie schüttelte den Kopf.»Cola. «Sie sagte das ganz automatisch. Selterswasser wäre ihr lieber gewesen.
«Mach keinen Scheiß, Michel«, sagte der bärtige junge Mann hinter der Theke.»Du weißt genau, dass ich dir keins geben darf.«
«Bin gestern sechzehn geworden.«
«Wirklich?«
«Wenn ich es sage!«
Später, sie hatten alle im Garten Würstchen gegessen, wurde es sehr voll im Tanzraum. Die Musik war jetzt lauter, das Licht schummriger. Jemand hatte die großen Deckenleuchten ausgemacht.
Eva tanzte. Sie tanzte auch weiter, als Michel wieder etwas trinken wollte. Sie tanzte allein weiter, merkte kaum, dass er wegging. Ein junge stellte sich neben sie,
so einer mit langen Haaren, hautengen, glänzenden Hosen und einem bunten Hemd. Ein Angebertyp., aber ein sehr gut aussehender.
«Du tanzt gut«, sagte er und griff nach ihr, wollte sie an sich ziehen.
«Nein«, sagte Eva, die jetzt erst sah, dass viele Paare dicht aneinander gedrückt tanzten.»Nein, das mag ich nicht.«
«Gefalle ich dir nicht?«, fragte der junge herausfor-
dernd.
Eva ließ ihn stehen, drehte sich um und ging zur Theke. Eine Gruppe von Jungen und Mädchen stand dort herum, Bierflaschen in der Hand.
«Lasst mal Michels Braut durch«, rief ein Rothaariger. Die anderen lachten. Eva ärgerte sich, als sie merkte, dass sie rot wurde.
«Michel, deine Frau sucht dich!«, sagte der Rothaarige.
Eva wäre am liebsten unsichtbar gewesen. Sie spürte plötzlich, wie verschwitzt sie war, spürte, wie ihr Kör-per anschwoll und plump und unbeweglich wurde un-ter den neugierigen Blicken. Doch da war Michel und nahm ihre Hand.»Hält's Maul, Pete«, sagte er zu dem Rothaarigen.»Hält's Maul und lass mein Mädchen in Ruhe.«
«Was denn«, antwortete der Rote.»Seit wann bist du so empfindlich? Hältst dich jetzt wohl für was Bes-seres, wie? So toll ist sie ja nun auch wieder nicht. Da-für hättest du zwei kriegen können.«
Er hat mit mir angegeben, dachte Eva, als sie hinter Michel herging, hinaus in den Garten. Er hat sicher al-len gesagt, dass ich ins Gymnasium gehe. Aber er hat vergessen zu sagen, dass ich so fett bin.
Draußen im Freien war es kaum kühler als im Haus.»Es wird ein Gewitter geben«, sagte Eva.
«Ja.«
«Tut es dir Leid, dass du mich hierher gebracht hast?«
«Nein«, antwortete Michel böse.»Der Pete ist ein blöder Kerl. Man darf gar nicht hinhören, wenn er was sagt, so blöd ist der. Komm wieder rein.«
An den Türpfosten gelehnt stand der Junge mit der engen Jeans und dem bunten Hemd.»Na«, sagte er.»Wo "war denn mein kleiner Bruder mit seinem Frau-chen? Bisschen Händchen halten? Traust du dich über-haupt?«
«Lass mich in Ruhe, Frank«, sagte Michel und drängte sich an dem Jungen vorbei. Als Eva durch die Tür ging, streckte Frank die Hand aus und streifte ihre Brust. Eva ging schnell weiter.»Dein Bruder ist nicht besonders freundlich«, sagte sie zu Michel. Er schüt-telte den Kopf.»Wir haben oft Streit. Er ist so.«
Eva schaute auf die Tanzenden, betrachtete sie, be-sonders die Mädchen, ihre Hüften, die Weite ihrer Taillen, die engen Hosen, und sie fühlte sich wieder ganz fremd.
Schlager, Schnulzenmusik. Michel legte den Arm um sie. Sie gab sich Mühe, nicht zur Seite zu sehen, nicht auf die Umgebung zu achten, nur Michels Hand auf ihrer Hüfte zu spüren, nur seinen Körper, der ihr so nah war. Nur das.
Jemand tippte ihr auf die Schulter.»Kannst du Wal-zer?«, fragte Petrus.
«Ja.«
«Entschuldige mal«, sagte Petrus zu Michel und tanzte mit Eva. In einer Ecke stand ein Paar, fast bewe-gungslos, eng umschlungen. Eva drehte den Kopf weg. Plötzlich war sie sehr müde. Stefan tanzte mit ihr und der Junge mit der schwarzen Weste, dann wieder Mi-chel. Sie ließ sich drehen und führen, bis das Licht vor ihren Augen verschwamm und das Zimmer anfing, sich zu drehen.