«Warum eigentlich?«fragte er hinterhältig.»See, oder Gebirgsluft, wo du auch hinfährst, zerstört doch die Frisur. Oder was hast du sonst noch vor?«
«Allerhand. «Sabine hatte ein luftiges Kleid an. Etwas zu luftig, fand Peter plötzlich, der nie darauf geachtet hatte.»Wo ich hinfahre, kann man tanzen. Es gibt dort Bälle, Feste, Partys, Mondscheinpartien.«
«Mondscheinpartien!«äffte ihr Peter wütend nach.»Als wenn man noch siebzehn wäre.«
«Aber wenn man sich noch so fühlt. «Sabine drehte sich wie eine Ballerina auf den Spitzen ihrer Schuhe und lief dann wie ein kleines Mädchen aus dem Haus. Zähneknirschend blieb Peter zurück und starrte ihr durch die Gardine nach.
Ernst wird mir alles berichten, dachte er. Wie Simson mit der Eselskinnlade oder Odysseus mit dem Bogen werde ich unter ihren Freiern aufräumen!
Ihm war trotzdem gottserbärmlich zumute, bis der Eilbrief aus
Paris kam. Peter riß ihn mit zitternden Fingern auf.
Paris, am Abend nach Eintreffen Deines Briefes.
Liebes Peterlein!
Die Nachricht von Deinem Kommen hat in Paris eitel Freude und Jubel ausgelöst. Die Betten der Midinetten werden neu bezogen. In den Ateliers waschen die Modelle sich ihre entzückenden Füße. Lou, Joujou, Li-sette, Jeanette, Tinni, La petite Coucou, Toine, alle, alle warten auf Dich. Im Moulin rouge wird gefegt, und Dein Platz wird mit Männertreu umkränzt — im Quartier Latin nehmen die Bäder in Eselsmilch kein Ende mehr. Soviel Esel sind hier noch nie gemolken worden! — Paris, dieMut-ter der Freude, erwartet Dich.
Bringe viel Geld mit!
Immer Dein Heinz.
Peter Sacher las den Brief bedächtig durch. Dann hielt er sein Feuerzeug unter das Papier, ließ es verbrennen, zerrieb die Asche zwischen den Händen und warf sie in den offenen Kamin.
Zur gleichen Zeit hielt Sabine beim Friseur die Nachricht der Pension Seeadler< aus Borkum in den Händen. Sie hatte das Schreiben postlagernd senden lassen und es auf dem Weg zum Friseur abgeholt. Der >Seeadler< schrieb, daß man ein Zimmer wegen Krankheitsfall, wie telefonisch schon gesagt, frei habe, aber das sei ein Doppelzimmer. Gegen einen Aufschlag für ein normales Bett (Saisonpreis und fünfzehn Prozent Service) wäre man bereit, dieses Doppelzimmer für Frau Sacher freizuhalten. Man erwarte die telegrafische Nachricht. Die Zimmersuchenden ständen Schlange.
Sabine ließ über das Friseurtelefon sofort ein >Einverstanden< kabeln. Ein Doppelzimmer, dachte sie mit einem Schuß Schadenfreude. Wenn Peter jemals erfahren sollte, daß ich in den Ferien allein ein Doppelzimmer bewohnte. Es war nicht auszudenken, wie sehr er die sichere Haltung verlieren würde. Man sollte es ihm direkt sagen, oder durch andere vertraulich mitteilen lassen. Weißt du schon, deine Frau, in Borkum, ein Doppelzimmer hat sie! Jawohl, man hat so hintenherum gehört, daß jeden Morgen beide Betten gemacht werden müssen! Nicht auszudenken!
Während Sabine in diesen verworrenen Gedanken schwelgte, ordnete Peter nüchtern wie immer seine Sachen. Der Paß war gültig. Devisen brauchte er nicht. Er besaß in Paris ein Bankkonto für die Beträge, die er für Villenbauten an der Kanalküste bekommen hatte. Er hängte die Anzüge aus dem Schrank, die er mitnehmen wollte. Auch den weißen Smoking und den Frack. Wenn Sabine sie sehen würde, fragte sie bestimmt, ob er zum Amüsieren nach Paris fuhr. Dann wollte er genüßlich schweigen und mit einem gepfiffenen Liedchen aus dem Zimmer gehen. Und wenn sie explodierte: Mit einem Mann springt man so nicht um! Sechs Wochen Eheferien!
Beide wurden enttäuscht. Peter schien dem Zettel, den Sabine absichtlich im Zimmer verlor und auf den sie geschrieben hatte >Dop-pelzimmer bestellt<, keine Bedeutung beizumessen. Sabine verlor kein Wort über weißen Smoking und Frack. Nur Dr. Portz wurde zweimal von sehr erregten Leuten angerufen.
«Bienchen hat ein Doppelzimmer!«schrie ihm Peter zu.
«Wer ist Bienchen?«fragte Dr. Portz im ersten Augenblick verblüfft.
«Sabine, natürlich! Irgendwo ein Doppelzimmer! Was will sie mit einem Doppelzimmer?«
«Frag sie doch! Sag: Bienchen, warum?«
Peter hängte ein und ging in den Garten, hinunter zum Rhein, und ließ sich den Wind um das Gehirn wehen. Meine Frau, grübelte er. Das zurückhaltende, gute, scheue, liebe, schüchterne Sa-binchen! Kann man sich so irren?
Peters Weggang zum Rhein benutzte Sabine, um ebenfalls ans Telefon zu stürzen.
«Er nimmt weißen Smoking und Frack mit!«keuchte sie. Dr. Portz fragte nicht mehr, wer >er< sei.
«Paris ist eine galante Stadt, Gnädigste. Für galante Männer wie Peter.«
Klick machte es, und das Gespräch war zu Ende. Sabine entfloh in ihr Schlafzimmer, setzte sich auf ihr Bett und hieb mit der Faust in die Kopfkissen.»Schuft! Schuft! Schuft!«schrie sie dabei.»Ich werde das Doppelzimmer ausnützen! Ich werde, werde, oh, wie hasse ich dich!«
Bis zum nächsten Tag blieb alles, wie es war. Peter und Sabine verbissen ihre Entdeckungen und stopften mit verlogener Freundlichkeit den schwelenden Krater ihrer Vulkane zu. Sie waren nett wie nie zueinander, bedienten sich beim Abendessen gegenseitig und tranken sogar eine Flasche Wein.
Wie du dich auf das Alleinsein freust, dachte Sabine giftig, während sie Peter lächelnd zuprostete. Kaum erwarten kannst du's!
Wie du heucheln kannst, dachte Peter und schenkte mit ruhiger Hand das Glas Sabines noch einmal voll. Im Doppelzimmer wartet er ja schon auf dich! Irgend so ein Lackaffe. Man sollte mit der Flasche um sich schlagen!
Am Morgen saß Peter im Liegestuhl unter dem Sonnendach der Terrasse und zeichnete einen Rohentwurf für ein Einfamilienhaus. Er hatte eine fast schlaflose Nacht hinter sich. Wenn er tatsächlich für wenige Minuten eingeschlafen war, träumte er von Doppelzimmern, in denen Frauen in durchsichtigen Nachtgewändern mit einem Manne Walzer tanzten. Und alle Frauen hatten das Gesicht von Sabine. Da fuhr er jedesmal empor und sah, daß er im Traum beide Fäuste geballt hatte.
Sabine trat hinaus auf die Terrasse. Sie war reisefertig. Die Koffer standen draußen in der Diele. Ihr orangefarbenes Reisekostüm war bezaubernd. Peter kniff die Lippen zusammen.
«Fahren wir?«fragte sie lässig.»Oder soll ich mir eine Taxe bestellen, die mich zum Bahnhof bringt?«
Peter sprang auf und legte den Skizzenblock zur Seite.
«Natürlich bringe ich dich zum Bahnhof. Ich lasse es mir doch nicht nehmen, dich in die Freiheit zu fahren!«
«Es macht dir unbändige Freude, was?!«
«Alles Neue belebt mich!«
Sabine biß sich auf die Unterlippe. Ihr Gesicht war wie verstei-nert. Das ist ein Abschied, dachte sie. Jetzt wäre es die letzte Gelegenheit gewesen. Ich habe ihm die Hand gereicht, und er stößt sie zurück mit billigen Bonmots.
«Was würdest du sagen, wenn ich überhaupt nicht wiederkäme?«zischte sie.
Aha, dachte Peter. Sie läßt die Katze aus dem Sack. Tausche Villa am Rhein gegen Doppelzimmer! Er atmete scharf durch die Nase und gab sich betont gleichgültig.
«Nichts«, antwortete er. Er nahm den Skizzenblock vom Tischchen und betrachtete ihn, als sei der Hausentwurf wichtiger. Er zwang sich sogar, dabei zu denken: Wird ungefähr 70.000 Mark kosten. Laut sagte er:»Damit muß gerechnet werden. «Es konnte sich auch um die Hauskosten handeln.
«Auch von deiner Seite?«knirschte Sabine.
«Unfehlbar sind allein die Götter. Aber selbst Zeus hatte laut Homer über hundert außereheliche Kinder.«
«Du wirst geschmacklos!«Sie wandte sich ab, zur Tür der Diele. Welch ein Ekel ist er doch, durchzitterte es sie. Wenn man sich doch rächen könnte! So richtig rächen, daß die Tünche seiner Männlichkeit abfällt wie von einem schwammigen Gemäuer. Aber Dr. Portz wird mir ja alles melden. Auf ihn kann ich mich verlassen.