Vorweg muß gesagt werden, daß Heinz v. Kletow zu jener genialen Art von Männern gehörte, die es mit vierzig Jahren noch fertigbringen, Junggeselle zu sein. Das lag nicht allein am Pariser Klima. Auch in Paris gibt es einige Hunderttausend Ehemänner und fühlen sich wohl dabei. Der Grund der fast schon pathologischen Eheabneigung Kletows lag näher und in ursächlichem Zusammenhang mit seinem besten Freund Peter Sacher. An einem Sommertage vor sieben Jahren hatte sich nämlich Peter Sacher kurz entschlossen, die gemeinsame Studentenliebe Sabine Heinberg zu einer Frau Sabine Sacher zu machen. Damals war es zu einer dramatischen Aussprache gekommen, nach der Kletow Deutschland verließ und sich in Paris niederließ. Er begann das Leben eines kultivierten Vagabunden zu führen, machte um alle heiratsfreudigen Mädchen einen weiten Bogen und verkehrte bald nur in jenen Pariser Kreisen, in denen der Gedanke an eine dauerhafte Bindung als völlig absurd angesehen wurde. Zwischen Montmartre und stillen, winkligen Ateliers oder den Kellerkneipen von St. Germain de Pres hin und her pendelnd, entwickelte Heinz v. Kletow eine eigenwillige, aber gründliche Methode zur Erforschung der Psyche der Stadt Paris. Sie endete damit, daß er in seinen bevorzugten Stadtvierteln mit jedem auf dem Duzfuß stand, die Mädchen Wetten abschlossen, wer am kommenden Abend zur Favoritin erklärt wurde, und die Wirte den besten Kognak unter der Theke hervorholten, wenn er im Lokal erschien. Und das alles, obgleich er auf Kredit soffiEr war eben ein Genie.
Das alles ist wichtig zu wissen. Und da Peter es wußte, wunderte er sich nicht über das, was er antraf, als er die Wohnungstür aufschloß und die kleine Diele betrat.
Schon die Wände dieses Vorraumes waren vollgeklebt mit aus-geschnittenen Magazinbildern, eindeutigen Fotos und Zeichnungen. Peter Sacher stellte seinen Koffer auf den Boden und sah sich um. Er war ehrlich erstaunt über die Vielzahl von verschiedenen Formen, die ein weiblicher Körper haben kann.
Na ja, dachte er. Heinz braucht keine Rücksicht auf eine Sabine zu nehmen. Es muß nur anstrengend sein, bei diesem Überangebot immer etwas Neues zu finden.
Er hängte seinen Trenchcoat an den Kleiderhaken, zögerte unbewußt einen Moment, ehe er die Zimmertür öffnete, und trat dann ein.
Zwei Flaschen Gin standen auf dem Tisch, leer natürlich. Zwei Aschenbecher liefen von Zigarettenasche und Kippen über. Daneben lagen, in malerischer Vertrautheit: ein zerbrochener Lippenstift, eine offene Puderdose mit rose Puder, ein abgerissenes schwarzes Strumpfband und eine hellrote Seidenschleife.
Dazwischen, an eine der Ginflaschen gelehnt, sah Peter das Kuvert eines Briefes.
Es roch nach Alkohol, süßem Parfüm, kaltem Zigarettenrauch und mildsaurem Schweiß.
Kopfschüttelnd warf sich Peter in einen der Sessel, nahm den Brief und riß das Kuvert auf.
Liebes Peterlein!
Sei nicht böse, wenn Du allein meine Burg bewohnen mußt. Ich habe die seltene Gelegenheit wahrgenommen, mich geschäftlich zu betätigen, und mußte deshalb nach Südfrankreich, nach Arles, fahren. Vielleicht kann ich in einer Woche wieder in Paris sein. Wenn nicht — so mach es Dir gemütlich. Geh ins Gasthaus essen — um die Ecke ist ein gutes und billiges. Trink meine Schnapsvorräte, spüle das Geschirr und sieh Dir Paris an. Der Concierge ist angewiesen, auf Dich und die Wohnung acht zugeben. Bis in einer Woche
Dein Heinz.
PS.: Wenn Coucou kommt, sei nett zu ihr und tröste sie, das kleine Vö-gelchen. Die Kleine ist herzensgut, süß und anschmiegsam, nur ein bißchen hysterisch. Wenn sie mit Gläsern nach Dir wirft, wirf nicht zurück, sondern geh in Deckung und sage bloß: Sei still, alte Ziege! Sie kann kein Deutsch und glaubt immer, das sei eine besonders nette Schmeichelei. Viel Spaß denn!
Heinz.
Peter Sacher warf den Brief zwischen Aschenbecher und Lippenstift auf den Tisch und lehnte sich zurück. Nachdenklich ging sein Blick über die beklebten Wände, die Galerie schöner Frauen und abgerutschten Geschmacks; dann öffnete er seinen Hemdkragen und zog den Schlipsknoten tiefer.
Es war schwül in der Wohnung. Die Fenster waren geschlossen, die Jalousien halb heruntergelassen. Das Geruchsgemisch lag wie klebriges Gas über allem und drückte auf den Kehlkopf.
Das also war Paris! Da ist man nun in einer sogenannten >Künst-lerwohnung<, hat sechs Wochen Ferien von Frau, Doppelbett und. Der Gedanke Doppelbett war ihm unbehaglich. Sabine hatte mittlerweile drei Nächte bereits in einem Doppelbett geschlafen, ohne daß Dr. Portz genaue Angaben machen konnte, wer in den zweiten Kissen lag! Das war beschämend, erregend, zermürbend und zum Explodieren.
Peter nahm sich vor, nach dem Frühstück gleich in Düsseldorf anzurufen. Mißmutig starrte er auf den Brief Kletows und auf die Reste junggeselliger Freizeitgestaltung. In was hatte er sich da eingelassen? Die galanteste Stadt der Erde stellte sich ihm hausbacken vor: eine Küche voller ungespülten Geschirrs, ein Wohnzimmer mit abgerissenem Strumpfband, das jeder Fantasie freien Lauf ins Ungezügelte ließ, ein noch nicht betretenes Schlafzimmer, vor dem Peter eine unbekannte Scheu empfand, wie ein Forscher, der vor einer neu entdeckten Grabkammer steht, und die Aussicht, das Leben eines Kneipenbesitzers führen zu müssen.
Was macht man eine Woche allein in Paris? Man stirbt vor Langeweile. Man kann kein Französisch, versteht nicht, was man liest,
kann nicht sagen, was man will und wird es so tun, wie alle Provinzler, die nach Paris kommen: Man stellt sich auf den Place de l'Opera, wartet dort, bis einer der Touristenwagen hält, und schließt sich einer Rundführung an.
Louvre, Tuilerien, Invalidendom, Notre-Dame, Sacre-Creur, Arc de Triomphe, Eiffelturm, Pantheon, Montmartre (mit leisem Schauer über dem Rücken, denn man hört ja soooo viel von ihm, sogar in der Oper wird's besungen), Pere Lachaise, die Champs-Elysees. Der übliche Weg mit kleinen Trinkgeldern für die jeweiligen Diener, Verwalter, Erklärer und Hinausführer. Abends dann ins Moulin Rouge, abgeschirmt gegen alle Anfechtungen, weil die Ehefrauen der anderen Geführten wachen Auges dabeisitzen und mit dem Kopf schütteln und» ksss ksss «machen vor sittlicher Empörung und nicht sehen, wie ihren Männern das Wasser im Munde steht. Vorher natürlich zwei Stunden Promenadenbesichtigung vom Cafe de la Paix aus mit Kommentaren über die neue Mode. Am nächsten Tag ein kühner Blick in die Palmenhalle des Ritz.
Qa 9'est Paris — Schauderhaft!
Peter erhob sich ächzend aus dem Sessel, nahm das abgerissene Strumpfband vom Tisch, roch daran, es duftete nach Rosen und süßem Laster, räumte dann die Gläser, den Lippenstift (er roch nach Himbeeren), die Puderdose (sie roch nach Kirschen), die vollen, überlaufenden Aschenbecher auf einen Teewagen und fuhr alles in die Küche.
Das Becken des Spültisches lief über von nicht abgewaschenem Geschirr. Es mußte von einer Woche sein, denn soviel Unrat kann auch ein Mann wie Heinz v. Kletow nicht an einem einzigen Tag hinterlassen. Es sei denn, sein Abgang war die Schlußpointe einer Orgie.
«Beginnen wir das Pariser Leben!«sagte Peter laut. Er sah in einen Spiegel, der über dem Küchenherd hing, und kam sich blöd wie nie vor. Dann band er sich eine Schürze um, die an einem Haken neben dem Schrank baumelte, ließ aus dem Boiler heißes Wasser in eines der Becken laufen, schüttete etwas Seifenpulver, das in einem Paket neben der Spüle stand, ins Wasser und begann, das Geschirr abzuwaschen.
Wie macht es Sabine, dachte er. Zuerst die nicht fettigen Teile, vor allem die Gläser. Dann die anderen Dinge, zuletzt die Bestecke in frischem Wasser.
Das erste Glas zersprang ihm in der Hand. Er nahm es ihm nicht übel, denn er hatte sich die Hände verbrannt. Das Wasser war zu heiß. Er ließ in einem scharfen Strahl kaltes Wasser zulaufen. Erstaunt sah er, daß das Wasser zu schäumen begann, daß der Schaum immer dichter und höher wurde, über den Beckenrand quoll, den Waschtisch hinablief wie eine Flut geschlagener Sahne. Das Seifenpulver, natürlich, dachte er. Er legte die Gläser in den Schaum, wo sie ins Grundlose versanken, drehte dann den Kaltwasserhahn ab und ging resignierend ins Wohnzimmer zurück.