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Er stellte das Radio an, suchte flotte Musik, steckte sich eine Zigarette an und ging dann zur Küche zurück, als würde er hingerichtet. Er ließ die Tür offen, in der alten Erkenntnis, daß Musik den Arbeitsrhythmus fördert, und begann, die schwere Arbeit anzugreifen. Er spülte die Gläser und Teller, die Tassen und Bestecke, rannte einmal zurück ins Wohnzimmer und stellte das Radio sehr laut, weil eine Operettenmelodie von Strauß erklang, drehte beim Abtrocknen den Kelch eines Glases vom Stiel und focht einen Fünf-MinutenKampf mit einer Kaffeekanne aus, in deren Hals seine Hand beim Abtrocknen hineingerutscht war und nicht wieder herauswollte, sondern sich festgeklemmt hatte. Bevor er die Kanne am Beckenrand zerschlug, rutschte sie wieder heraus und die Kanne auf den Boden. Sie zersprang in tausend kleine, bunte Teile. Peter lächelte grausam. Er war in der Stimmung, lächelnd zu morden.

Mit den Schuhspitzen schob er die Kannentrümmer unter den Waschtisch. Plötzlich stutzte er. Hatte nicht eine Tür geklappt? Im Radio spielte man die Ouvertüre zum >Zigeunerbaron<. Soviel Peter wußte, war in der Partitur kein Türenknallen. Johann Strauß hatte noch nichts von moderner Musik geahnt.

Ich habe doch die Wohnung abgeschlossen, dachte Peter Sacher.

Aber vielleicht hat jemand einen zweiten Schlüssel. Noch kennt man nicht die Sitten der Kletowschen Behausung.

Er wollte die Schürze abbinden, um nicht ganz so blöde zu wirken, als er durch die Ouvertüre das Tappen von Schritten zu vernehmen meinte. Dann knirschte etwas im Wohnzimmer. Also doch, dachte Peter Sacher. Jemand ist in der Wohnung. Vielleicht ist es der Hausmeister -

Er band seine Schürze ab und wollte» Ich komme gleich «rufen, als ihm der unbekannte Gast zuvorkam. Eine helle Stimme rief:

«Cheri?«

«Prost!«sagte Peter Sacher. Er legte die Schürze zur Seite auf den Seifenschaum. Der Hausmeister hatte keine helle Stimme, und bestimmt würde er Kletow oder ihn nicht mit Cheri anreden.

Es mußte etwas getan werden. Peter rief zunächst zurück mit der Vokabel, die er flüssig konnte.

«Oui.«

Oui ist immer gut, wenn man Cheri genannt wird. Da kann es keine Komplikationen geben. Peter blieb in der Küche und sah in Richtung des Wohnzimmers. Bestimmt ist es Coucou, durchfuhr es ihn. Sie hat einen Schlüssel, natürlich hat sie ihn. Und Coucou kommt am frühen Morgen und ruft Cheri. Das beweist, daß sie von der Abreise Kletows nichts weiß.

Was schrieb doch Heinz? Sie ist leicht hysterisch und wirft gerne mit Gläsern. Die letztere Gefahr schaltete aus, denn die Gläser befanden sich in der Küche.

Langsam kam Peter Sacher aus der Küche in das Wohnzimmer. Er hatte den empfohlenen Satz >Sei still, alte Ziege!< schon auf der Zunge, als er erstarrt stehenblieb.

Auf der Couch saß ein Mädchen mit langen, blonden, aufgelösten Haaren. Sie hatte ein hauchdünnes, durchsichtiges Chiffon-nachthemdchen an, rote Saffianpantöffelchen an den zierlichen Füßen, eine rote Schleife im zerwühlten Haar, und dieses bezaubernde, angezogene und doch nackte Wesen rieb sich verschlafen die Augen, verzog den grellroten Mund zu einem süßen Gähnen und war so müde, daß es die Augen geschlossen hielt, als es sich etwas zurücklehnte und der Stoff des Nachthemdes völlig seine Berechtigung verlor. Sie saß da, als wüßte sie nicht, wo sie sich befände. Ein böser, böser Mann schien sie so in die rauhe Welt ausgesetzt zu haben.

Peter dachte an das abgerissene schwarze Strumpfband, an Lippenstift (riecht nach Himbeeren) und Puderdose (riecht nach Kirschen) und den Wirrwarr auf dem Tisch. Plötzlich paßte auch die überstürzte Abreise Kletows in dieses Sittenbild, der hinterlassene Brief und die teuflische Idee des Freundes Heinz, ihn in diese Situation hineinrutschen zu lassen.

Paris schien doch nicht langweilig zu werden.

Peter Sacher räusperte sich leise. Das war das einzige, wozu er in diesem Augenblick fähig war. An Vokabeln zu denken, verbat ihm der Anblick, den er still genoß. Das Mädchen lehnte sich weiter zurück, es streckte den Körper auf der Couch aus, das dünne Hemd-chen spannte sich wie eine zweite Haut. Peter biß sich auf die Unterlippe. Solch ein Anblick schmilzt Steine, dachte er.

«Cheri?«wiederholte sie mit geschlossenen Augen. Ihre Stimme girrte wie die eines Täubchens. Sie war hell, kindlich fast, und doch perlte sie über den Rücken wie eiskaltes Sprudelwasser.

«Je suis tres fatiguee.«

Fatiguee, das heißt müde. Peter Sacher nickte mehrmals. Kein Wunder, daß du müde bist, dachte er. Wer nur ein bißchen Fantasie walten läßt, hat genug, um sich gleich daneben zu legen. Er räusperte sich wieder. Seine Kehle war plötzlich trocken. Er wollte in die Ecke des Zimmers sehen, zur inneren Sammlung, aber sein Blick klebte an der zierlichen Figur auf der Couch, als hingen seine Augen an einem Magneten.

Das Mädchen rührte sich nicht. Es lag mit geschlossenen Augen, wölbte jetzt die Brust etwas höher und spitzte die Lippen wie ein Mäuslein.

«Un baiser, Henry«, sagte sie leise und zart wie schwingende Sommergräser im Wind.»Oh, mon troubadour, je t'aime.«

Peter steckte die Hände in die Hosentaschen. Sie waren im Weg und schwitzten zudem. Wie gut ich Französisch kann, dachte er. Ich habe jedes Wort verstanden. Teufel, was ist man doch für ein intelligenter Mensch.

Er trat einen Schritt vor und atmete tief. Jetzt müßte ein Wunder geschehen, dachte er. Die Tür müßte sich öffnen und Sabine hereinkommen. Diese Venus dort auf der Couch, mit gespitzten Lippen und knappem Hemdchen, nebenan ein Schlafzimmer, dessen Zustand sich noch meiner Information entzieht, aber dessen Anblick bestimmt umwerfend sein wird, die rauch-, parfüm- und alkoholgeschwängerte Wohnung, und ich allein in diesem süßsauren Pfuhl freien Lebens. Für Sabine würde es nur zweierlei geben: entweder die Erkenntnis, daß es besser sei, einen Mann nie mehr allein zu lassen, oder der Entschluß, endgültig einen Strich unter sieben dahingeschleppte Jahre zu ziehen.

Peter Sacher sah auf den blonden Lockenkopf und fand die Kraft, an die französische Sprache zu denken. Unsicher sagte er:

«Mademoiselle, je ne suis pas Henry.«

Der Satz schien gelungen zu sein. Ihm folgte aus aufgerissenen Lippen ein lauter, spitzer Aufschrei, der wie» Iiihh!«klang. Wie von einer Bogensehne abgeschossen, schnellte der schlanke Körper vor und warf sich Peter entgegen. Die müden Augen sprühten plötzlich Feuer, die Haare wirbelten um den schmalen Kopf.

«Ou est Henry?«schrie das Mädchen schrill. Danach riß es sich das dünne, unschuldige Hemdchen vom Körper, zerknüllte es, warf es in eine Ecke und ließ sich, der Nacktheit nicht achtend, in einen Sessel fallen, schwang die langen, schmalen Beine über die Lehne und trommelte mit den Fingern auf den schönen Schenkeln.

Peter sah zur Seite. Was zuviel ist, ist zuviel. Wenn das Folgende sich weiterhin in solchen Fortsetzungen abspielte, enthob die Handlung ihn jeglicher Antworten. Im übrigen aber war es eine hundsgemeine Gemeinheit von Heinz, eine solche Situation herbeizuführen. Schließlich war man sieben Jahre lang verheiratet, und Paris sollte der inneren Sammlung dienen. Und noch weniger Ehrgeiz hatte Pe-ter, aus der Erbmasse Heinz v. Kletows dieses Mädchen zu übernehmen.

«Ou est Henry?«zischte der Nackedei vom Sessel her wütend.

«Henry est perdu!«sagte Peter grober, als er wollte. Er rang nach Haltung und überlegener Männlichkeit.

«Perdu?«Das Mädchen warf die Arme zur Seite.»Oh — quel filou, quel malheur, oh, Monsieur, Monsieur!«

Auf einmal weinte sie. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht, dick wie Kindermurmeln, und zogen Rillen in den Puder. Sie warf das Gesicht auf die Sessellehne und schluchzte herzerweichend.