Peter grüßte verwirrt zurück. Er gab dem alten Mann die Schlüssel zur Wohnung und blieb ihm zwei Schritte entfernt, damit er nicht Coucou aus seiner Jacke roch.
«Ich fahre durch Paris«, sagte er.»Tour de Paris, compris?«
Der alte Mann nickte lächelnd, steckte die Schlüssel ein und setzte seine Arbeit des Treppenkehrens fort.
Über Paris lag eine grelle Sommersonne. Peter Sacher prallte fast zurück, als er den kühlen Hausflur verließ und auf die Straße trat. Der Asphalt war pappig. Die Autos zischten durch die Sonnenglut. Der Reifengummi stank wie verbrannt.
Drei Minuten ging Peter durch die Glut, dann winkte er eine Taxe heran. Knirschend, in den weichen Asphalt Rillen ziehend, hielt sie am Bordstein.
«Parlez-vous allemagne?«fragte Peter den Chauffeur.
Der Fahrer grinste.»Det will ick meenen!«
«Ein Berliner!«jubelte Peter Sacher. Er riß die Tür auf und warf sich neben dem Fahrer auf den Sitz.»Nun fahr mal los, Landsmann!«
«Und du kommst aus'n Rheinland, wat?«Der Wagen fuhr an.»Tja, so jeht's nu mal. Ick bin hier hängenjeblieben im Krieg, 'ne schicke Französin, weeste, die hat mir verborjen jehalten. Nu sind wir va-heeratet, zwee Bälger ham mer och. Und die sprechen wie ick Berlinisch. Mit französischen Knubbeln!«Er lachte wieder und sah Peter zwinkernd an.»Wo soll's denn hin am frühen Morjen? Kleene Puppe irjendwo im Lojis, wat?«
«Laß mich mit den Puppen hier in Ruhe. «Peter Sacher tupfte sich den Schweiß von der Stirn und kurbelte die Scheibe ganz herunter.»Einmal rund um Paris, Landsmann, und dann kreuz und quer dadurch, das ist alles, was ich von Paris will. Alles andere ist doch Käse.«
«Ach so. Frau Gemahlin ist mit und noch ein bißchen müde, wat?«Der Chauffeur beugte sich zu Peter hinüber.»Ick kenne da ein Cafe, von außen wie 'n seriöses Familiending. Aber im Hinterhaus! Junge, Junge! Der Frau Gemahlin zeigen wir die Rechnung als Alibi. Ein simples Cafechen kann niemand verwehren, wat?«
«Rund um Paris, weiter nichts. Und nun los.«
«Wie's beliebt. Aber ick mache mal ab und zu Station. Beim Essen kommt der Appetit. Wenn et nich jeblökt hätte, sagte der Wolf, hätt' ick det Schaf nie jefressen. Und hier gibt es Schäfchen, Junge, Junge.«
Der Wagen fuhr an und reihte sich ein in den breiten Strom der Autokolonnen am Boulevard des Invalides.
Peter Sacher lehnte sich zurück und blickte hinaus.
Das ist Paris.
International, froh, glücklich, unsterblich.
Eigentlich habe ich das gesucht. Nur das. Und nicht Coucou. Das Schäfchen.
Womit man nicht sagen will, daß ein Mann es ablehnt, ein Wolf zu sein.
DRITTES KAPITEL
In Düsseldorf war man unterdessen nicht untätig gewesen. Dr. Portz hatte sein Hauptquartier hinter seinem Schreibtisch aufgeschlagen, von dem aus er mit dem Genie eines nie Kriege verlierenden Feldherrn die feindlichen Heere gewissermaßen als übergeordneter Schlachtenlenker beobachtete und führte.
Borkum liegt rund tausend Kilometer von Paris entfernt. Aber diese tausend Kilometer werden täglich, stündlich vielleicht, von den beiden Ehefrischlern überbrückt, denn sie denken an sich, sechs Wochen lang, und diese sechs Wochen sollen ihnen eine Qual werden, so qualvoll, daß sie mit ausgebreiteten Armen aufeinander zulaufen und ihre eigene Dummheit verfluchen.
Das war eigentlich der Grundplan Dr. Portz'. Auf ihn aufbauend entwickelte er eine Theorie.
Die hervorstechendste Eigenschaft liebender, verheirateter Frauen ist die Eifersucht. Die gefährlichste Eigenschaft liebender, verheirateter Männer ist das Mißtrauen.
Wenn man beides teuflisch schürt, mit immer neuen Situationen füttert, wenn man Rätsel aufbaut und halbe Lösungen verkündet, wenn der menschliche Kessel bis zum Überdruck aufgeheizt wird, um dann irgendwo ein Ventil zu ziehen und etwas Luft abzulassen, wenn man also zwei Menschen, die sich lieben, durch die Fegefeuer von Eifersucht laufen läßt, werden sie mit ausgeglühter, reiner Liebe daraus hervorgehen.
Es folgt dann etwas, was man die verblüffendste Eigenschaft von Eheleuten nennt: Was wie eine Tragödie aussah, wandelt sich zu einer seufzenden Versöhnung.
Dr. Portz war bereit, diese im Kern sehr gefährliche Theorie in die Praxis umzusetzen. Er wollte Sabine und Peter die Gelegenheit geben, sich auf einem einsamen Fleck dieser Erde, nämlich im Herzen, ob mit oder wider Willen, vor die Alternative zu stellen: Entweder — oder!
Assessor Bornemeyer war nur zum Teil eingeweiht. Er stand vor dem Chefschreibtisch, hager, blaß, farblos. Er arbeitet sicherlich zuviel, dachte Dr. Portz, als er ihn betrachtete. Dieser Mann ist ein Novum. Es gibt wenig Juristen, die sich überarbeiten.
«Bornemeyer«, sagte Dr. Portz und blätterte in seinen Notizen.»Haben wir in den nächsten sechs Wochen ganz wichtige Termine?«
«Wenn kein Mord passiert, nein.«
Portz nickte. Eine Seele von Mensch, dieser Bornemeyer.
«Und sonst?«
«Die Ehescheidungssache Direktor Basser.«
Dr. Portz winkte ab.»Unwichtig. Basser nimmt alles auf sich und findet seine Frau ab. Nur die Frau will nicht. Aber das ist nur eine Frage der Abfindungshöhe. Bei den Wirtschaftswunder-Bassers löst sich das Leben in Zahlen auf. «Portz putzte sich die Nase.»Nur Bas-ser ist plötzlich knauserig geworden. Nicht bei seinen Amouren, nein, bei seiner Frau. Da spielt er den bankrotten Fabrikbesitzer. Aber lassen Sie mal, das ist alles kein Problem. Sie müssen sich eines merken, Bornemeyer: Ehemänner sind immer zu anderen Frauen generös.«
«Wer es sich leisten kann.«
«Sie sind von einer ohnmächtigen Frivolität, Bornemeyer. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Aber sehen Sie mal her. «Er schob dem blassen Assessor einen dicht beschriebenen Zettel zu.».Da ist etwas Besonderes für Sie! Sie fahren nach Borkum.«
«Ich?«
Bornemeyer schüttelte den Kopf.
«Auf Kosten der Firma!«
«Das hört sich wahrhaftiger an.«
«Und Sie übernehmen dort eine delikate Aufgabe: Sie werden Frau Sabine Sacher überwachen.«
Bornemeyer schob seine dicke Hornbrille über die Nasenwurzel auf und nieder. Verständnislos sah er seinen Chef an.
«Das ist doch wohl ein gut gelungener Scherz«, stotterte er.
«Zum Scherzen haben Sie Zeit, wenn Sie Ihren Auftrag ausgeführt haben. Es ist eine Realität, Bornemeyer: Sie reisen nach Borkum und beschatten Frau Sacher. Sie werden aufmerksam wie ein Mäuslein sein! Herr Sacher ist verreist. Allein. Und Frau Sacher ist nun auch verreist. Allein nach Borkum. Alleinreisende Frauen aber sind gefährdet wie Hermeline. Herden von Jägern laufen ihnen nach. Herr Sacher, der verständlicherweise sehr besorgte Ehemann, will nun durch uns über jeden Schritt seiner angebeteten Frau genau unterrichtet werden. Alles, was Sie also in Borkum sehen, melden wir gleich weiter nach Paris.«
«Paris?«Bornemeyer sah seinen Chef mit schräg gehaltenem Kopf an.»Herr Sacher befindet sich in Paris?«
«Das gefällt Ihnen wohl nicht, was?«
«Paris«, sagte Bornemeyer gedehnt und blinzelte hinter seiner Hornbrille.
«Lassen Sie Ihre erogenen Gedanken zu Hause, Bornemeyer. Herr Sacher ist rein geschäftlich in Paris.«
«Wäre es nicht logischer, den Ehemann beobachten zu lassen?«
«So etwas tut man nicht.«
«Wen vertreten wir eigentlich: Herrn oder Frau Sacher?«
«Beide.«
«Aber. «Bornemeyer begann zu stottern.»Das geht doch nicht. Wir können doch als Anwalt nicht Partei und Gegenpartei.«
Dr. Portz schüttelte den Kopf und starrte zu dem langen Bornemeyer empor.
Der Junge hat eine Auffassung vom Leben, dachte er. Voller Ideale. Voll erlernter Moral! Wie will er mit diesem Ballast bloß weiterkommen?
«Bornemeyer«, sagte er ernst.»Sie sind zu mir gekommen, um sich bei mir einzuarbeiten. In einen schweren Beruf, Bornemeyer. Sie wollen einmal ein guter Anwalt werden. Sehr schön. Das Zeug dazu haben Sie. Sie sind fleißig. Sie sind gewissenhaft. Sie sind ein Arbeitstier. Sie sind korrekt. Sie denken geradlinig. Alles sehr schön und sehr fleißig. Aber manchmal denken Sie zu schulmäßig. Das Leben verlangt oft Improvisationen. Ja, es ist selbst fast nur eine Improvisation. Nicht allein auf die Korrektheiten kommt es oft an, sondern viel öfter auf die Extempores. Und noch eine Weisheit gebe ich Ihnen mit auf den Lebensweg: Wenn jemals jemand bewacht werden muß, ist es stets die Frau!«