«Aber das ist doch völlig unlogisch!«
«Logisch, Bornemeyer, logisch! Denken Sie um! In welcher Welt leben Sie überhaupt? Haben Sie schon ein Leben gesehen, das logisch abläuft? Nichts durchbricht die Gesetze der Logik so oft und gründlich wie das menschliche Dasein. Blicken Sie doch in unsere Akten, Bornemeyer. Kramen Sie in unserem Archiv herum, blasen Sie den Staub der letzten zehn Jahre von den Deckeln und lesen Sie. Es ist ein babylonischer Turmbau aus Unlogik, Inkonsequenz und menschlichen Schwächen. Wenn das Leben immer und ewig logisch wäre, pfui Deibel, wie langweilig wäre es dann. Und verdienen würden wir auch nichts.«
Dr. Portz winkte ab. Sein Gesicht war gerötet.
Hoffnungsloser Fall, wirklich, dachte er. Ein Jurist mit solchen überlebten Idealen ist wie ein Schornsteinfeger mit Schwindelgefühlen.
Als unsere Großväter noch Vollbärte trugen und unsere Großmütterchen Fischbeinstäbchen in den hohen Kragen, da war dieser Bornemeyer richtig am Platze. Aber Nietenhosen, auch geistige, verlangen eine Umstellung der Lebensmoral.
«Reden wir von etwas anderem«, sagte er mit Energie.»Es bleibt dabei: Sie fahren auf Kosten der Firma nach Borkum. Sie werden zum Schatten von Frau Sacher. Sie lassen sie nicht aus den Augen. Sie kleben sich an ihre Fersen!«
«Und nachts?«
«Nachts wird sie schlafen.«
«Nehmen wir an, daß Frau Sacher nicht des Nachts.«
«Bornemeyer! Sie komplizieren wieder alles! Natürlich schläft sie!«
«Natürlich. Aber es kann sein, daß.«
«Wenn Sie immer hinter ihr bleiben, werden Sie ja sehen, was sie tut. Mein Gott, muß ich Ihnen alles vorkauen? Sie passen auf, weiter nichts! Und wenn Frau Sacher von Borkum wegfahren sollte, Sie fahren hinterher! Alles wird bezahlt! Und wenn's bis nach Rio de Janeiro ist.«
«Wer bezahlt es denn?«
«Der Ehemann! Eine Ehe zu scheiden, ist relativ billig, eine Ehe zu flicken, ist teurer, als einem Haus einen neuen Balkon zu geben. «Dr. Portz schnaufte. Lange Reden machten ihn kurzatmig. Er wog vierzig Pfund zuviel, das war es. Und weil er es wußte, hielt er nicht gerne lange Reden.
«Jeden dritten Tag schicken Sie mir einen Bericht, einen genauen Bericht! Mit allen Einzelheiten, Uhrzeiten, Orten und, falls vorhanden, mit Angaben der Zeugen.«
«Wie Sie es wünschen. «Assessor Bornemeyer fuhr sich mit dem Zeigefinger in den Hemdkragen. Er schien plötzlich zu eng geworden zu sein. Er schwitzte sogar.
«Und wenn mich die gnädige Frau wiedererkennt?«
«Menschenskind, Bornemeyer! Lesen Sie mehr Wallace oder Agatha Christie! Natürlich werden Sie nicht als Assessor Bornemeyer nach Borkum gehen. Kleben Sie sich einen Bart an.«
«Einen Bart?«sagte Bornemeyer. Ein gelbsuchterregender Widerwille schwang in seiner Stimme.
«Lassen Sie sich die Haare färben, sprechen Sie französisch, kriechen Sie in eine andere Haut. Auf jeden Fall, wie Sie's schaffen, ist mir egal, melden Sie mir pünktlich, was Sie sehen!«
Bornemeyer zuckte mit den Schultern.»Ich werde alles versuchen. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß ich nicht gut französisch spreche.«
«Dann reden Sie italienisch oder Sanskrit, zum Teufel!«
«Vom Italienischen kenne ich nur das Wort Amore.«
«Normalerweise genügt das auch! Aber hier, Himmel noch mal, lassen Sie sich etwas einfallen!«Dr. Portz sprang auf und stützte sich mit beiden Armen auf seinen Schreibtisch. Er sah Bornemeyer an, als wolle er ihn hypnotisieren.»Sie fahren noch heute mit dem Nachtzug nach Emden, Außenhafen, und können morgen früh mit der Flut auf Borkum sein. Frau Sacher wohnt in der Pension >Seeadler<.
Sie ziehen in die >Seeschwalbe<.«
«Sehr poetisch.«
«Von mir aus dichten Sie auch! Nur vergessen Sie mir eines nicht: erster Bericht am 12.!«
«Und ich habe völlig freie Hand?«
«Völlig. «Dr. Portz schielte zu Bornemeyer empor.
«Und alles bezahlt die Firma?«
«Alles. Natürlich keine Eskapaden! Aber sonst ist alles gedeckt. Sie können sich am Strand als Kraftmensch bewundern lassen oder als Wunderesser. Das ist mir wurscht! Es muß nur eins dabei herauskommen: Frau Sacher darf keine Minute aus den Augen gelassen werden.«
Bornemeyer nickte. Er begann auf einmal zu lächeln und strahlte Dr. Portz an.
«Aber.«
«Was aber?«
«Es könnte sein, daß ein WC zwei Ausgänge hat. Was dann?«
«Hinaus!«
Kopfschüttelnd sah Dr. Portz seinem Assessor nach. Jetzt ist er in Hochstimmung, dachte er bitter. Er hat seinen Chef mit einem sauren Witz aus der Fassung gebracht. Davon zehrt er ein Jahr lang.
Er ging an das breite Fenster und sah hinab auf das bewegte Straßenleben der Alleestraße. Dieser Bornemeyer, sinnierte er. Es ist fast so, als gehöre er zu der Kategorie der stillen Wasser. Erst wenn man einen Stein hineinwirft, sieht man, wie weit er Kreise ziehen kann, nur ist man erschrocken, wie tief dieser stille See ist!
Während in der Kanzlei Bornemeyer seine Aktentasche einpackte, seinen Büromantel in den Schrank hängte, die Thermosflasche in seinen Schreibtisch schloß und unter den verblüfften Augen des Bürovorstehers und dreier Tippmädchen seinen Schlipsknoten höher zog und sogar ein Stäubchen von seinem Jackett bürstete:»Ich fahre jetzt in Urlaub!«sagte er dabei lässig und verbreitete greifbares Entsetzen, denn man hielt ihn für übergeschnappt, saß Dr. Portz schon wieder hinter seinem Schreibtisch und schrieb mit der Hand einen Brief.
Nach Paris. Aber nicht an Peter Sacher.
Er schrieb an einen Maitre Emile Caravecchi.
Das war ein französischer Kollege, den er von einem Studienaustausch seit seinen Studentenjahren kannte.
Maitre Caravecchi wohnte gegenüber dem Gare Montparnasse. Nicht weit von der Rue de Sevres.
Dr. Portz begann seinen Brief mit:»Mon cher ami. «und schloß ihn mit dem Satz:»Ich lege Ihnen ans Herz, Herrn Sacher in glühenden Farben zu schildern, was ich Ihnen in Abständen von drei Tagen aus Borkum über seine Frau melde. Tun Sie noch was dabei, es schadet nicht. Werden Sie voller Fantasie. Ein Franzose ist ja ein Genie, wenn es um die Untreue einer Frau geht! Verhindern Sie aber auf jeden Fall, daß der Sacher vor dem 28. August wieder nach Düsseldorf fährt, oder gar nach Borkum! Herzlichst und immer zu Gegendiensten in Deutschland bereit — Ihr Portz.«
Den Brief ließ er in seinem Büro kuvertieren. Da niemand Französisch konnte, schaltete die Gefahr einer Kenntnisnahme durch das Personal aus.
Dann rieb er sich die Hände und war sehr zufrieden.
Er vergaß dabei ganz den Spruch, daß man den Tag nicht vor dem Abend zu loben hat.
Assessor Bornemeyer fuhr mit der Straßenbahn nach Derendorf. Dort bewohnte er ein möbliertes Zimmer bei einer Postobersekretärswitwe, mit Kochgelegenheit, Badbenutzung und Fernsehgenehmigung.
Die Witwe war nicht zu Hause. Bornemeyer schrieb einen Zettel und steckte ihn an die Scheibe des Küchenschrankes.
>Bin für sechs Wochen verreist. Sie können meine Marmelade und meine Eier essen, damit sie nicht faul werden.
Bornemeyer.<
Dann packte er nur das Notwendigste in einen großen Koffer, nahm sich auf der Straße, zur Gewöhnung an den neuen, geliehenen Reichtum, eine Taxe und ratterte in die Stadt zurück.