In einem eleganten Herrenbekleidungsgeschäft in der Nähe des Corneliusplatzes wurde er kritisch begrüßt. Sein Vulkanfiberkoffer paßte nicht unter die Kristalleuchter, die ihn grell beschienen. Eine Verkäuferin trat auf ihn zu… der elegante Herr im dunkelgrauen Zweireiher blieb im Hintergrund und war etwas konsterniert. Um einen Schlips für zweifünfzig zu kaufen, betritt man diesen Laden nicht!
Er wurde aber sehr rührsam, als Bornemeyer laut und bestimmt seine Wünsche äußerte: zwei englische Anzüge, einige dazu passende Seidenhemden, Strümpfe, Taschentücher, Ziertücher, einen Trenchcoat neuester Linie, eine Kamelhaar-Sportkappe, diskrete Krawatten, kurzum alles, was aus einem mittelmäßigen Spießer einen internationalen Beau macht!
Bornemeyer hatte keinerlei Gewissensbisse mehr. Dr. Portz hatte ihm einige Blankoschecks mitgegeben. Wer sich sechs Jahre kaum um seine Frau gekümmert hat, soll im siebten merken, daß er verheiratet ist!
Nach der Einkleidung, Bornemeyer lernte aus eigener Sicht den Satz >Kleider machen Leute< kennen und bestätigt, ging er, diesmal mit einem hellen, herrlichen Lederkoffer für Luftreisende, in ein bekanntes Lokal der Düsseldorfer Altstadt, aß ein Steak auf englisch, ließ sich das internationale Hotelverzeichnis bringen und studierte in schöpferischer Stille die angegebenen Vorzüge seiner >See-schwalbe< auf Borkum und seine eigene Rolle.
Ich werde ab jetzt ein steinreicher Autohändler aus Genua sein. Ich heiße klangvolclass="underline" Signore Ermano Ferro.
Das Geld hatte er, die Kleidung auch. Es fehlte nur noch das Aussehen. Das notwendige Temperament traute sich Bornemeyer in einem Anfall von Größenwahn zu.
Nach dem Abendessen gab er seinen Koffer als Reisegepäck auf (ein vornehmer Mann schleppt sich nicht mit einem Koffer herum), bummelte dann noch etwas, als Abschied gewissermaßen, über die
Königsallee und ging dann zu einem bekannten Friseur.
«Seien Sie nicht erstaunt«, sagte Bornemeyer,»wenn Sie jetzt meine Wünsche hören: Ich möchte einen kleinen, schwarzen Bart unter der Nase, aber nicht einen in unlieber historischer Erinnerung, sondern so einen schmalen, frauenmordenden, wissen Sie, einen mittelbraunen, nicht abfärbenden, südländischen Teint und pechschwarze, glänzende Haare. Sie verstehen?«
Der Friseur nickte und sah sich um. Es hatte den Anschein, daß er Hilfe suchte. Bornemeyer lachte.
«Nein, Sie denken falsch«, sagte er.»Ich bin kein gesuchter Verbrecher. Ich bin auch kein aus der Heilanstalt Entsprungener. Ich bin Assessor Bornemeyer, die rechte Hand von Dr. Portz.«
«Kenne ich«, sagte der Friseur aufatmend.
«Und ich bin lediglich verliebt. Das ist alles. Das Mädchen möchte einen südländischen Typ.«
Wer hat mehr Verständnis für Verliebte als ein Düsseldorfer Friseur? Verliebte und Verrückte sind Zwillinge.
Der Friseur lachte zurück und nickte.
«Ich werde aus Ihnen einen Italiener zaubern, wie er im Bilderbuch stehen könnte.«
Zwei Stunden hielt Bornemeyer die Prozedur aus. Er wurde gewaschen, geschnitten, gefärbt, unter Heißlufthauben gesetzt, mit Lok-kenwicklern gespickt, massiert, wieder heiß beblasen, kurzum: Die Geburt des neuen Menschen ging durch das Fegefeuer der Geduld und Duldung.
Der Spiegel aber wurde zum Zauberkasten. Bornemeyer benötigte einige Zeit, um zu begreifen, daß er es war, dessen Verwandlung er betrachtete.
Das blasse Gesicht wurde südländisch braun.
Das strohige Haar glänzte pechschwarz in kleinen, geringelten Lok-ken.
Unter der Nase, sie war fast römisch, leuchtete ein schmales, flottes Bärtchen.
Kaum begriff er das Phänomen, daß seine Augen leuchteten und
Blitze schossen.
«Wunderbar«, sagte er, ehrlich erschüttert.»Einfach wunderbar!«
Er kam sich fast unheimlich vor.
Die dicke Hornbrille, die er trug, verschwand in der Jackentasche. Ein glitzerndes Monokel warf die Strahlen der Lampe zurück.
Ermano Ferro aus Genua erhob sich aus dem Friseurstuhl.
Der kleine Assessor Hubert Bornemeyer blieb in Düsseldorf zurück.
Noch einmal warf Bornemeyer einen Blick in den Zauberspiegel. Dann reckte er sich. Sein Mund, unter dem flotten Schnurrbart, bekam ein maliziöses Lächeln. Toll, dachte Bornemeyer. Einfach toll. Was solch ein Schnurrbart macht! Vielleicht liegt hier ein Geheimnis der nahen Vergangenheit.
«Exzellent«, sagte Bornemeyer-Ferro zu dem Friseur und bezahlte mit großer Geste.»Sie aben ganzes Arbeit geleistet. Isch binn Ihnen serr dankbarr.«
Der Friseur bog sich vor Lachen.»Arrivederci, signore«, rief er und hielt die Tür auf.
Würdevoll verließ Bornemeyer den Salon. Der Friseur starrte ihm nach, wie er mit durchgedrücktem Kreuz davonging.
«Es muß auch solche geben!«sagte er zu sich.»Was wäre das Leben ohne Idioten?«
Bornemeyer-Ferro ging über die Graf-Adolf-Straße. Er sah wohlgefällig, wie die Mädchen ihm nachblickten und tuschelnd die Köpfe zusammensteckten. Da wölbte er die Brust noch mehr hinaus, lächelte den Mädchen zu und nahm mit seligem Herzen wahr, daß sie erröteten.
Ermano Ferro ging zum Bahnhof zurück. Seine Umwandlung war vollendet. Im Wartesaal 1. Klasse ließ er die Kellner springen wie Känguruhs. Es war eine Wonne, nur mit dem Finger zu winken, um zu sehen, wie Leben in die träge Masse Mensch kam.
Als Assessor Bornemeyer war man eine Null. Aber ein bißchen brauner Teint, ein Menjoubärtchen und die Haltung eines Menschen, dem Geld nur Ballast bedeutet — und die Welt liegt auf dem Bauch.
Der Schnellzug nach Emden lief ein. Ermano Ferro stieg in ein Abteil der 1. Klasse. Vorher hatte er auf dem Bahnsteig an einem Wagen eine Tüte mit Weintrauben gekauft. Der Schaffner des Wagens trug ihm die Tüte nach ins Abteil. Der Kellner stellte ihm nach einem fachkundigen Blick unaufgefordert eine Reiseflasche Chianti auf das Fenstertablett. Es war fast verwunderlich, daß sein Schlafwagenabteil nicht bekränzt war.
Draußen auf dem Bahnsteig leuchtete das grüne Schild des Aufsichtsbeamten auf. Sein Pfeifsignal durchschnitt die helle Sommernacht.
«Sitzen Sie bequem?«fragte der Schlafwagen-Schaffner besorgt. Er-mano Ferro nickte.
Weich fuhr der Zug an.
Die Lichter Düsseldorfs versanken in der Nacht. Die rheinische Tiefebene öffnete sich.
Wie eine leuchtende Schlange raste der Zug dem fernen Meer entgegen.
Ermano Ferro lehnte sich zurück, trank einen Schluck Chianti und fühlte zögernd, ob sich der Schnurrbart nicht verschoben hatte.
Er fuhr einem Abenteuer entgegen, von dem der kleine Assessor Bornemeyer vor zehn Stunden nicht einmal zu träumen gewagt hätte.
Wie eine riesige, blankpolierte Muschel liegt die Insel im Meer.
Lang und groß sind die Wellen, die ihre Nord- und Südseite umbranden, denn sie kommen aus der Weite des Atlantik. Unzählbar sind die Vögel und Möwen, die um die Spitze Hoge Hörn im Osten kreischen; schaurig und erregend sind die Sagen um die Wolde-Dünen, wo Störtebeker, der größte Seeräuber in deutschen Gewässern, seinen heimlichen Ruheplatz erwählte.
Der Leuchtturm mit seinem Zaun aus Walfischkinnladen leuchtet weit über die See. Wie träumende Schwäne gleiten die Segeljachten durch die blaue Wasserschlange von Tüßkendoerkill. Durch die Dünen, zum Muschelfeld hin, vorbei am Jägerheim und Sturmeck jagt die Kavalkade übermütiger Reiter. Auf den algengrünen, glitschigen Steinen der Buhnen hocken die Angler. Auf den Riffen und Sandbänken sonnen sich träge die grauen Leiber der Seehunde. Musik klingt aus den großen, weißen Hotels über die viertausend Meter lange Strandpromenade.
Es ist schon ein herrliches Stückchen Erde, aber von all dem sieht man wenig, wenn das Schiff im Hafen anlegt. Auch der Bäderdampfer >Frisia< mit seinen wie schwarze Trauben auf dem Deck zusammengeballten und zur Insel hinüberstarrenden Passagieren erfüllte nur teilweise die Erwartungen der neuen Kurgäste. Von ferne hatten sie die Hotelpaläste gesehen, jetzt waren es nur Dünen und kleinere Häuser, eine schmucke Inselbahn und Fischerboote mit eingerollten Segeln, wie sie zu Hunderten auch im Hafen von Emden lagen.