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Heute? Sabine lehnte sich an das große, offene Bücherregal und schüttelte den Kopf. Sie begriff es einfach nicht. Was von Peter geblieben war, war ein vorzüglicher Maßanzug, ein selbstsicheres Benehmen, ein vorbildliches Zurschaustellen ihrer glücklichen Ehe in der Gesellschaft, und ab und zu ein Kuß vor dem Schlafengehen, der soviel bedeutete wie:»Das hast du heute gut gemacht! Ich danke dir.«

Einem Pferd streichelt man die Nüstern und klopft ihm auf die Kruppe. Ehefrauen sollen sich mit einem Küßchen begnügen als Dank für das Abendessen, für die Ruhe, für den Kaffee, für irgend etwas, was >ihm< zusagte.

Und dann ging man in die Schlafzimmer, zog sich aus, betrachtete sich im großen Spiegel und sagte sich immer wieder, daß man doch noch nicht so alt sei, um ausschließlich nur den Erinnerungen zu leben, kroch dann ins Bett, wehmütig, Jugend und Schönheit zu verschlafen und immer wieder nach einer Antwort suchend, warum das alles so sei.

Manchmal weinte man auch ein bißchen, umfing die Kissen und drückte das nasse Gesicht hinein.»Warum bist du so geworden, Peter. Ich liebe dich doch. Sind denn sieben Jahre Ehe wie sieben Jahre Zuchthaus für dich? Oder mache ich etwas falsch? Dann mußt du mir das doch sagen, Peter. Soll ich zu dir kommen und dich einfach in die Arme nehmen? Sag es doch, gib mir doch einmal Antwort.«

Das alles aber hörte Peter nicht. Aus einer unerklärlichen Scheu heraus verbarg man voreinander alle Gedanken und Gefühle. Wenn der Morgen kam, traf man sich wieder zum Kaffeetrinken, war höflich, aber steif, lebte nebeneinander wie bisher und tat seine Pflicht.

Seit Peter das >Wirtschaftswunder< in die Ehe trug, kamen mit Geld und Erfolg auch Mißtrauen in Sabines Herz.

Einmal, sie erinnerte sich genau daran, war Peter nach München gefahren. Er wohnte in einem großen Hotel, wo auch die Besprechungen stattfanden.»Ich rufe gleich an, wenn ich in München bin«, hatte er versprochen. Und Sabine hatte gewartet, den ganzen Vormittag, den Nachmittag, bis zum Abend. Gegen 11 Uhr nachts rief sie an. Peter war auf seinem Zimmer, und als er sich meldete, hörte sie leise, im Hintergrund, eine helle Frauenstimme.

«Peter!«hatte Sabine gerufen.»Warum hast du nicht angerufen?!«

«Die Arbeit, die Konferenzen, mir brummte der Kopf.«

«Und wo bist du jetzt?«

«Auf meinem Zimmer. Endlich. Ich habe mich gerade ins Bett gelegt. «Und im Hintergrund, Sabine hörte es ganz deutlich, sprach leise eine Frauenstimme! Da hatte sie den Hörer umklammert, die Muschel ans Ohr gepreßt und den Atem angehalten. Ein wahnsinniger Schmerz durchzog ihr Herz.

«Wer, wer ist bei dir im Zimmer?«hatte sie mühsam gefragt.

Peters Stimme klang verwundert.

«Im Zimmer?«Er hatte gelacht.»Ich bin allein.«

«Und die Frau, die bei dir flüstert?«hatte sie in den Apparat ge-schrien.

«Das? Das ist das Radio. Gute Nacht!«

Und er hatte aufgelegt. Die ganze Nacht hatte Sabine daraufhin wach gelegen. Das Radio. Natürlich. Es konnte so sein. Sie nahm die Rundfunkzeitschrift und studierte alle Programme. In vier Sendern war an diesem Abend eine Hörspielsendung. Aber hört ein Mann, der so müde von Konferenzen ist, im Bett noch ein Hörspiel an?

Bis zum Morgen hatte Sabine geweint. Sie glaubte Peter nicht. Aber sie sprach, als er zurückkam aus München, auch nicht mehr mit ihm darüber. Sie mißtraute ihm nur von diesem Tage an. Es war ein Riß entstanden. Vielleicht war alles nur eine Einbildung, die Ausgeburt einer schon krankhaften Eifersucht. Es änderte nichts daran, daß Sabine begann, ihre Ehe als unerfüllt zu betrachten.

Und so ging es weiter, Jahr um Jahr. Wenn Peter arbeitete, war er ungenießbar. Er kam nicht zum Essen und brüllte durch die abgeschlossene Tür seines Ateliers, wenn Sabine klopfte und sagte:»Komm essen, Liebling!«mit beleidigender Schärfe:»Ruhe! Ich arbeite!«

Um drei Uhr kam er dann aus seinem Zimmer, müde, abgespannt, hohläugig und wollte sein Essen haben.

«Viermal wärmen kann ich die Kartoffeln nicht!«sagte Sabine dann giftig. Und Peter nahm seinen Hut und fuhr in die Stadt. Dort aß er in einer Wirtschaft, kam spät abends erst nach Hause und sagte das, was Sabine seit drei Jahren fast täglich hörte:»Du bist keine Künstlerfrau! Du hättest einen Beamten heiraten sollen! Bei dem ist alles geregelt, der lebt nach der Uhr!«

Dann ging er ins Bett und kümmerte sich nicht mehr um Sabine.

Manchmal glaubte sie, es nicht mehr ertragen zu können. Sie liebte Peter, mehr vielleicht als damals, als sie heirateten. Mit Mißtrauen und wilder Eifersucht las sie, wie er seine neuen Villenentwürfe nannte.

Villa Leonore. Haus Maria. Casa Julia. Villa Marianne. Landhaus Gisela.

Nur Frauennamen. Nur Namen, hinter denen ein Erlebnis stehen konnte. Häuser, die er aus Erinnerungen baute.

Es war etwas, was Sabine fast toll machte. Vielleicht grundlos. Sie gestand es sich heimlich ein. Aber es ärgerte sie, daß er seine Werke nach Frauen nannte. Nach allen Frauen, die Sabine nicht kannte. Nur ein >Haus Sabine< hatte er bisher noch nicht gebaut! Das kränkte sie am meisten.

So wurde es um Sabine immer einsamer. Der Erfolg Peters ging parallel mit der seelischen Vereinsamung Sabines. Er wurde zu einer Art Herrschernatur, sie zu einer stillen, nur manchmal aufmuckenden Dulderin. Er liebte den Erfolg und vergaß seine Liebe zu Sabine. Sie bekam einen Luxus geschenkt und fühlte sich inmitten des Wohlseins wie eine Waise.

Es war klar: So konnte es nicht weitergehen.

Sabine warf den Kopf in den Nacken und trat einen Schritt zum Fenster hin.

«Peter«, fragte sie leise.»Was hast du?«

«Ich? Oh, nichts!«

Er drehte sich herum und sah sie ganz groß an. Sie spricht mich an, wunderte er sich. Sie fragt mich etwas Persönliches. Ist sie unpäßlich? Oder hat sie in diesem Augenblick wirklich einmal Interesse für mich und meine Sorgen? Ein wehmütiges Lächeln glitt um seinen Mund. Es wird nicht lange anhalten, dachte er weiter. Gleich pfeift der Wasserkessel, oder die Milch kocht über, und dann ist alles wieder wie vorher. Ich habe sie damals aus Liebe geheiratet. Wirklich, sie war und ist auch noch hübsch. Sie ist eine herrliche Frau. Sie könnte unvergleichlich sein, aber diese sieben Jahre Ehe. Wo waren sie geblieben? Sie waren vorbeigegangen, und man kannte sich immer noch nicht. Man war sich irgendwie fremd geblieben.

Zugegeben, seine Arbeit fraß ihn auf. Aber wer nicht schneller war als der Konkurrent, wer nicht mehr bieten konnte als der Nebenmann, der schon darauf wartete, daß der Vordermann versagte, wer in dieser gehetzten Zeit nicht immer auf der Jagd war, nicht als Wild, sondern als Jäger, der ging unter wie ein ins Wasser geworfener Stein. Am Vormittag stritt man mit den Baubehörden um die oft unverständlichen Sonderwünsche, am Nachmittag stand man auf den Bauten und suchte Fehler, am Abend kamen die neuen Bauherren und mußten von unerfüllbaren Bauträumen erweckt werden, und in der Nacht stand man oft am Zeichenbrett und entwarf und verwarf.

Was lag da noch dazwischen in diesen sieben Jahren erfolgreicher Hetze nach Wohlstand und Ansehen?

Ein oder zwei Stunden für Sabine.

Dreimal Essen, eine kurze, abendliche, müde Plauderstunde, in der er sich die täglichen Sorgen Sabines mit halbem Ohr und keinem Verständnis anhörte, eine Zigarre, ein paar Worte zu Sabine, ab und zu einige gereizte Antworten, weil die Nerven überspannt waren und durchgingen wie zügellose Pferde.

Manchmal weinte Sabine dann leise vor sich hin, in der dunklen Kaminecke. Wie ein nasses Kaninchen hockte sie da. Das machte ihn doppelt wütend, weil er nicht helfen konnte, weil er am liebsten mitheulen wollte. Meistens stand er dann knurrend auf, verließ das Zimmer, warf die Tür krachend ins Schloß und ging in sein Atelier. Dort rauchte er eine Zigarette, trank Kognak und wußte mit sich, ohne Sabine, auch nichts anzufangen.