Ermano Ferro war steif wie ein Pfahl. Er räusperte sich nur und machte:»Hähäm.«
«Wir konnten Ihnen leider keine Nachricht mehr geben, kein Telegramm, rein gar nichts — wir kannten ja nicht Ihren Aufenthalt auf Ihrer großen Deutschlandreise.«
«Dann kann ich also in den Dünen schlafen?«donnerte Erma-no Ferro. Er rollte mit den Augen und ließ das Monokel in die hohle Hand fallen. Das bedeutet bei Monokelträgern den Ausdruck tiefster Empörung. Der erste Direktor erbleichte. Sein Monokel fiel nicht in die Hand, sondern auf den Boden, wo es leise klirrend zerschellte.
«Ich soll wirklich«, Ferro holte Atem. Das Bewußtsein, ein steinreicher Mann zu sein, verlieh Bornemeyer unwahrscheinliche Kräfte.»Nie, meine Herren! Nie! Ich habe von Ihnen eine Zusage. Juristisch gesehen.«
«Aber Signore Ferro!«Der erste Direktor hob beide Hände. So beschwört man Schlangen, dachte Ferro.»Eher überlasse ich Ihnen mein Bett!«
«Ich möchte sauber schlafen«, sagte Ferro gemein. Der erste Direktor seufzte verzweifelt.
«Aber, wir haben ein Bett für Sie. Ein herrliches Bett. Mit Schaumgummiauflagen! Nur«, er druckste herum und sah hilfesuchend in die Runde. Wer aber sollte helfen von diesen Memmen?» Nur müßten Sie das Zimmer mit einem anderen Gast teilen.«
«Das Bett?«schrie Ferro-Bornemeyer.
«Das Zimmer, Signore! Natürlich nur so lange, bis der rabiate Gast Ihr Zimmer hier geräumt hat. Vielleicht zwei oder drei Tage… bis dahin werden wir den Oberinspektor aus dem Hause haben.«
«Teilen?«Ferro warf seinen weichen Hut auf die Rezeptionstheke.»Ich soll für mein Geld ein Zimmer teilen? Ich soll das Schnarchen eines anderen.? Nein! Ich verklage Sie!«
«Es ist ein Doppelzimmer, Signore! Selbstverständlich stellen wir die Betten auseinander!«
«Aber das Schnarchen stellen Sie nicht auseinander.«
«Die Dame schnarcht nicht.«
Bornemeyer-Ferro zog die Augenbrauen hoch. Er begriff noch nicht ganz.
«Wer ist mein Bettnachbar? Wie heißt der Herr?«
Der erste Direktor atmete auf. Er lächelte sogar verschmitzt. Jaja, die Italiener. Heißes Blut haben die Burschen.
«Wir haben natürlich an alles gedacht, Signore. Der Herr ist eine
Dame.«
Ferro hustete. Er hatte sich nicht verhört. Er sollte mit einer Dame ein Doppelzimmer teilen! Er sollte mit ihr in einem Doppelbett schlafen! So Seite an Seite, wie ein Ehepaar! Ferro-Bornemeyer atmete schneller. Juristisch gedacht ist das eine vollendete Kuppelei. Menschlich gedacht, ist das eine Zumutung. Männlich gedacht aber ist das ein nie wiederkehrendes Angebot!
Ermano Ferro rieb sich nachdenklich den Menjoubart. Er blickte die erwartungsvollen Direktoren scharf an. Sein Gesicht war verschlossen, aber nicht mehr kriegerisch wie vordem.
«Ist sie hübsch?«fragte er arrogant.
«Sehr, Signore, sehr!«
Die Direktoren warfen sich verschwörerische Blicke zu. Der Geschäftsführer grunzte, der Boy grinste. Gewonnen, jubelten sie innerlich im Chor. Das südländische Temperament ist angesprochen. Jetzt könnten wir ihm die Badewanne anbieten, wenn eine Frau darinnen sitzt.
Ferro-Bornemeyer wollte sichergehen. Er senkte den Kopf und starrte die Direktoren an.
«Jung?«
«Im pikanten Alter, Signore.«
«Ledig?«
«Nein! Aber allein auf Borkum.«
«Und der Ehemann?«
«Weit weg.«
«Olala!«Ferro leckte sich über die Unterlippe. Was man so alles erlebt, dachte er. Für Geld bekommt man fix und fertige Ehebetten mit im Preis eingeschlossener Ehe serviert. Für sechs Wochen, eine Ehe auf Zeit gewissermaßen. Das ist juristisch zwar. Er schaltete ab und nahm seinen Hut von der Theke. Opfer muß man bringen, beruhigte er sein Gewissen. Für die Firma muß man alles tun!
«Wenn es sein muß«, sagte er gedehnt,»bitte! Ich opfere mich! Bleibt mir anderes übrig? Nur, was sagt die Dame dazu?«
«Sie wird nicht nein sagen.«
«Charmant. Damen, die nicht nein sagen, sind wie betaute Rosen. «Er strich sich wieder über sein Bärtchen und registrierte, daß sein fades Bonmot Beifall fand und bald die Runde machen würde.»Meine Herren, ich danke Ihnen, daß Sie hier kein Zimmer frei hatten. Ich werde Sie meinen südamerikanischen Freunden weiterempfehlen.«
Er wandte sich ab, ging in den Speiseraum und setzte sich an einen freien Tisch. Die Blicke der zu Abend speisenden Gäste folgten ihm, als hingen sie an einem Marionettenstrick. Das ist er, dachte man interessiert. So sieht man also aus, wenn man einige Millionen im Rücken hat. Wie sein Monokel blitzt. Diese adelige Schlankheit der Figur. Dieser federnde, feurige Schritt. Dieser schmale, aristokratische Kopf.»So sah Dante aus«, flüsterte ein Mädchen ihrer Freundin zu.
Während Ferro nach der Abendkarte das beste Souper zusammenstellte und aus der Weinkarte eine der exquisitesten Flaschen auswählte, beendete die Direktion nebenan in der Pension >Seead-ler< eine kurze, schicksalsschwere Unterredung.
Die angesprochene Dame hatte nach einigem Zögern eingewilligt. Sie bekam als Ausdruck des Dankes und der Anerkennung ihres großen Opfers von der Direktion einen riesigen Strauß Blumen, drei Handküsse und die Versicherung, daß man nie und nimmer eine charmantere Dame zu Gesicht bekommen würde.
Dann zog erwartungsvolle Stille durch die beiden Pensionen. Die Möglichkeiten, die sich jetzt ergaben, waren so vielfältig, daß jeder der Beteiligten sich einen Sack voll zurechtlegen konnte.
Zugreise, Dampferüberfahrt, Ratternder Kleinbahn, seelische Erregung, Abendessen und vorzüglicher Wein hatten Ferro stark belastet. Er spürte es an den Augen. Sie drückten gegen den Hintergrund, ließen ihn mit den Wimpern flattern und begannen zu tränen.
Er gähnte hinter der vorgehaltenen Serviette, erhob sich und verließ den Speiseraum. In der Halle wartete bereits ein Boy mit dem Gepäck. Als er Ferro aus dem Saal treten sah, trug er es ihm nach.
Ermano Ferro blieb stehen.»Wieso?«rief er und zeigte auf seine wegeilenden Koffer.»Ich denke, ich bekomme ein Zimmer mit Dame?«
«Prego, signore. «Der Geschäftsführer verbeugte sich mehrmals. Die Direktoren waren in ihren Privatbüros und betranken sich ob des herrlichen Sieges.»Das Zimmer ist im Nebenhaus. In unserem Schwesterunternehmen >Seeadler<.«
«Seeadler?«Ferro-Bornemeyer kniff das Auge fester zu. Das Monokel wäre ihm sonst gefallen.»Das nenne ich Glück. Wahrhaftig! Gehen wir!«
Doch bevor er dem Boy folgte, holte er aus der Rocktasche ein kleines, schwarzes Notizbuch und, gewissenhaft, wie es Dr. Portz von ihm verlangte, trug er in einer nur von ihm lesbaren Handschrift das meldungswürdige Ereignis skizzenhaft ein:
>12. - 22.10. Zimmerwechsel von der Schwalbe zum Adler. Ziehe in das gleiche Haus wie Frau S.S. Hoffe, sie heute noch zu sehen. Die Gelegenheit ist einmalige
Mit einem freundlichen Kopfnicken, ein fettes Trinkgeld wäre allen lieber gewesen, verabschiedete er sich von dem Geschäftsführer und dem Portier und ging dem draußen in der Nacht vor dem Haus wartenden Boy nach.
Es waren nur wenige Schritte. Aber Ferro nahm sie in Zeitlupe. Er kostete das Gefühl des Überlegenen aus.
Im >Seeadler< war man bereits auf alles eingerichtet. Wie nach langen Übungen am Reck vollzog sich die Kür.
Ermano Ferro sah bei seinem Eintreten im >Seeadler< gesenkte Köpfe, devot gekrümmte Rücken, einen anderen Geschäftsführer im schwarzen Anzug und zwei Boys, die seine Koffer über eine mit einem roten Teppich belegte Treppe nach oben trugen. Hinauf ins Doppelzimmer, hinein ins Paradies.